Lectio XI
Ein Mosaik aus Mythen
Der griechische Dichter Homer erzählt in seinem Epos Ilias vom Krieg der Griechen gegen die Trojaner — ein gigantischer Erzählkomplex, an den viele weitere mythische Episoden anknüpfen: Wie das Kriegsglück im Laufe der zehnjährigen Belagerung mehrmals wechselte und Gottheiten auf beiden Seiten eingriffen, um ihren Favoriten unter den Menschen zum Sieg zu verhelfen. Wie die Griechen sich schliesslich Zugang zur Stadt verschafften, indem sich die tapfersten Krieger in einem hölzernen Pferd versteckten, das die ahnungslosen Trojaner in ihre Stadt zogen, worauf die darin verborgenen Griechen des Nachts herauskletterten und die Stadttore von innen öffneten. Wie der Trojaner Aeneas seinen kleinen Sohn, seinen alten Vater und einige Götterstatuen aus der brennenden Stadt rettete und wie diese Vertriebenen schliesslich in Italien eine neue Heimat fanden.
Auch um die Vorgeschichte ranken sich viele Mythen. Sie alle münden in die Erzählung vom trojanischen Prinzen Paris. Dieser war als Gesandter seines Vaters zu Menelaos, dem König von Sparta geschickt worden, um einen erst kürzlich geschlossenen Friedensvertrag zwischen Troja und Sparta zu bekräftigen. Der junge Paris verliebte sich unglücklicherweise in Helena, die Frau seines Gastgebers. Helena, die als die schönste Frau der Welt galt, erwiderte seine Gefühle, verliess ihren Mann und segelte mit Paris zurück nach Troja. Zornig über den Betrug seiner Frau und die Unaufrichtigkeit seines Gastes wandte sich Menelaos an seinen Bruder Agamemnon, den mächtigen König von Mykene. Dieser wartete schon lange auf einen Vorwand, Troja anzugreifen, und versammelte alle Griechen, um über das Meer zu fahren und die wohlhabende Stadt Troja unter seine Herrschaft zu bringen. Diese Episode wird gemeinhin als Ursprung des Kriegs bezeichnet. Doch eigentlich beginnt die Geschichte schon viel früher, noch vor Paris’ Geburt.