Lectio XXIV
Ein leidenschaftlicher Naturforscher
Gaius Plinius Secundus war nicht nur der Kommandant der am Golf von Neapel stationierten kaiserlichen Flotte, er war auch ein begeisterter Naturforscher und Schriftsteller. In 37 Bänden hatte er das Wissen vieler griechischer und römischer Forscher zusammengetragen. Diese Enzyklopädie heisst Naturalis historia, «Naturforschung», und ist ein faszinierendes Zeugnis des antiken Wissens, das ganz unterschiedliche Themen umfasst: Geographie, Geologie, Astronomie, Meteorologie, Botanik, Zoologie, Anthropologie, Anatomie, Heilkunde…
Als Plinius von seinem Haus in Misenum aus auf der gegenüberliegenden Seite des Golfs von Neapel eine riesige, seltsame Wolke über dem Vesuv entdeckt, beobachtet er sie zuerst aufmerksam. Dann beschliesst er, ein Schiff bereitzumachen, um das Phänomen aus der Nähe zu betrachten. Ausserdem hat eine Freundin ihm einen Hilferuf geschickt: Sie will sich vor den heftigen Erdbeben in Sicherheit bringen, sitzt jedoch in Stabiae fest, weil sie wegen des Gegenwindes nicht in See stechen kann und der Landweg durch den Vulkanausbruch blockiert ist. Plinius segelt also mit Rückenwind über den Golf nach Stabiae, um seiner Freundin zu helfen und gleichzeitig seine Neugier zu stillen.
Wir wissen von diesen Ereignissen, weil sein Neffe, Plinius der Jüngere, sie in einem Brief dem Historiker Tacitus schilderte. Dabei betont er vor allem, wie der Onkel sich durch die Katastrophe kaum beeindrucken liess, in Stabiae seelenruhig zu Bett ging und so tief schlief, dass sein Schnarchen sogar durch die Tür zu hören war, bis ihn die anderen weckten, weil der Zugang zu seinem Zimmer schon halb verschüttet war. Abgesehen davon wird erzählt, wie er trotz dem gefährlichen Geschehen um ihn herum seine Beobachtungen notierte und diktierte, wohl um diese Notizen später für seine Leser*innen ausarbeiten zu können.