Lectio XXV

Die Stoa: Suche nach dem glücklichen Leben

Was ist ein glückliches Leben? Oft werden wir fremdbestimmt durch Machtstreben, Ehrgeiz und Geldgier. Auch Furcht – vor allem die Todesfurcht – hindert uns daran, glücklich zu sein. Wie können wir uns von all dem befreien? Antworten darauf kann uns die Philosophie geben.

Das griechische Wort φιλοσοφία bedeutet «Liebe zur Weisheit». Während sich die vorsokratischen Philosophen vor allem mit dem Kosmos auseinandergesetzt haben, wird später im Hellenismus die Suche nach einem glücklichen Leben, nach der ἐυδαιμονία (eudaimonia), zum beherrschenden Thema der verschiedenen Philosophenschulen. Der Mensch und sein Leben und Handeln stehen nun im Mittelpunkt. Den Bereich der Philosophie, der sich mit der Frage, wie ein Mensch gut und glücklich leben kann, befasst, nennen wir Ethik.

Eine der wichtigsten Philosophenschulen dieser Zeit war die Stoa. Ihren Namen erhielt sie von der bunten Säulenhalle stoa poikile, einem zentralen Versammlungsort auf der Athener Agora. Die Stoiker waren der Meinung, dass die Vernunft das höchste Gut und Ziel des Lebens sei. Nur der Weise (lat. sapiens) verfügt über diese Vernunft, kann somit gut handeln und ist glücklich. Frei von Leidenschaften (apatheia) und im Besitz einer unerschütterlichen Seelenruhe (ataraxia) hat er Anteil an der Weltvernunft, die als feuriger Hauch den ganzen Kosmos und alle Menschen durchströmt. Dieses mächtige und göttliche Prinzip ist in allem lebendig und wirksam und ist gleichbedeutend mit Gott, Natur, Vorsehung oder Schicksal.

Die antike Stoa des Attalos in Athen (Rekonstruktion)

Alles geschieht deswegen mit einer Notwendigkeit. Der Mensch kann am äusseren Weltlauf nichts ändern, sondern nur innerlich auf unterschiedliche Weise dazu Stellung nehmen. Dadurch bestimmt er, ob er in glücklicher Harmonie mit sich selbst und mit der Natur lebt oder nicht. Der Mensch gleicht einem Hund, der an einen Wagen gebunden ist: Ist er klug, läuft er freiwillig und zufrieden mit. Wehrt er sich jedoch, wird er vom Wagen mitgezogen und leidet dabei. Der Sklave Epiktet – ein wichtiger Vertreter der Stoa – verwendet einen anderen Vergleich: «Denke daran, dass du Darsteller bist in einem Stück, das der Regisseur bestimmt, und zwar eines kurzen, wenn er es kurz, eines langen, wenn er es lang wünscht. Wenn er wünscht, dass du einen Bettler darstellen sollst, musst du auch diesen angemessen spielen, und so, wenn du einen Krüppel, einen Herrscher, eine Privatperson darstellen sollst. Denn deine Sache ist es, die zugewiesene Rolle ordentlich zu spielen; sie auszuwählen, ist Sache eines anderen.»

Das Ziel der Stoikerinnen und Stoiker ist, unter allen Umständen im Einklang mit der Natur zu leben. Frei von Leidenschaften führen sie ihr Leben in Ruhe und Gelassenheit. Sogar im Schmerz sind sie glücklich.

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