Das Zunfthaus zur Schmiden „Zum goldenen Horn“

Politisches Wirtschaftszentrum und Social-Hub des Mittelalters

Marktgasse 20, 8001 Zürich (Karte)

von Samuel Klipstein

Im Spätmittelalter bildeten sich in der Stadt Zürich aus den organisierten Handwerkerschaften die Zürcher Zünfte. Unter ihnen die Schmiden-Zunft, die bereits kurze Zeit darauf das Zunfthaus «zem guldin Horn» («Zum goldenen Horn») kaufte und dieses bis heute ihr Eigen nennt. In der Obhut der Schmiden-Zunft (be)handelten auch die Scherer und Bader, historische Vorfahren moderner medizinischer Berufsgruppen. Wir widmen uns in diesem Blog-Eintrag dem Zunfthaus zur Schmiden – und verleihen der frühsten Stätte der Zürcher Medizin-Politik etwas Sichtbarkeit.

Abb.1: Zunfthaus zur Schmiden „Zum goldenen Horn“ (2012)
Zunftentstehung und politischer Aufschwung

Das Jahr 1336 gilt in der Zunftgeschichte Zürichs als Gründungsjahr der alten Zünfte, mitunter auch der Zunft zur Schmiden. Diese Annahme stützt sich auf einen Stadtbucheintrag vom 7. Juni 1336, den sogenannten «1. Geschworerenbrief» (auch als «Brunsche Zunftverfassung» bezeichnet) sowie einen Brief des damalig herrschenden Kaisers Ludwig der Bayer vom 5. April 1337, indem er ebendiese anerkannte.

Die Handwerker stürzten angeführt durch Ritter Rudolf Brun die herrschende Stadtregierung und organisierten mit der neuen Verfassung den Stadtrat neu. Die Zünfte wurden gegründet und als Verterter der Handwerkerschaft im Parlament platziert. Der Bürgermeister wurde weiterhin von Adel, Rittertum und reichen Kaufmannsgeschlechtern (organisiert als «Gesellschaft zur Konstaffel») gestellt. Die Zünfte erlangten über die Jahrzehnte grosse politische Macht durch die in Bewegung gebrachte Strukturumwälzung und bestimmten das Geschick der Stadt Zürich bis zur französischen Besetzung um 1800 massgebend.

Zunfthaus zur Schmiden

Das Haus «zum goldenen Horn» erstand die Zunft im Jahre 1412, nachdem es 1277 zum ersten Mal erwähnt wurde. Es ist in der Stadt Zürich die Liegenschaft mit der längsten Zeit in einem Besitz. Vom Kauf zeugt der Kaufvertrag, der 2012 sein 600jähriges Jubiläum feierte. Das Zunfthaus wurde ursprünglich von einigen Zünfter-Familien bewohnt, war also Wohnraum und politisches Zentrum zugleich. Dieser Umstand macht die kommunale Lebensweise deutlich, die damals vorherrschte.

Abb. 2: Kaufvertrag Haus „zem guldin Horn“ (1412)

Nach dem Kauf 1412 richteten die Schmidenzünfter eine eigene Schmitte ein, die aber 1414 wegen Schäden am Gebäude bereits wieder abgebrochen werden musste. Übriggeblieben sind die Torbögen – sie bilden heute den Haupteingang.

Wie am Beispiel der Schmitte ersichtlich, wurde das Gebäude in seiner langen Existenz viele Male umgebaut, renoviert und erweitert. Es musste zahlreiche Schäden erdulden, etwa um 1802 im Strudel der europäischen Revolutionswelle durch helvetische Soldaten verursacht. Das Zunfthaus wechselte sein Gewand mehrmals und steht heute nicht nur als Erinnerung seiner Geburtsstunde, aber auch als Zeuge der letzten 750 Jahre im Zürcher Niederdorf.

Vor diesem Hintergrund sollte man die Ornamente am Zunfthaus betrachten, sie wurden erst später ergänzt. Zum Beispiel zeigt das Ornament an der linken Seite des Zunfthauses im grösseren vorderen Teil eine um Schmieden-Werkzeuge gewundene Schlange mit einem Horn sowie im kleineren hinteren Teil ein Rasiermesser mit zwei gekreuzten Aderlass-Instrumenten.

Abb. 3: Ornamente an der linken Seite des Zunfthauses

Das Symbolik der Schlange ist sehr vielfältig, eine medizinische Bedeutung (international verwendet als «Äskulapstab» oder «Schlangenstab») kann dabei nicht ausgeschlossen werden. Die Präsenz der Rasiermesser (Werkzeug der Scherer) und Aderlass-Instrumente (Werkzeuge der Bader) weist jedoch eindeutig auf die enge Beziehung zwischen den medizinisch-chirurgischen Berufsgruppen und der Schmiden-Zunft hin.

Neben weiteren das Zunfthaus schmückenden Ornamenten verfügt die Schmidenzunft über Artefakte im Zunftschatz, von denen die 1718 gespendete «Bader Schale» den ältesten Schatz darstellt und die zünftige Verbindung markiert.

Auch die spätgotische Saaldecke des Zunfthauses zur Schmiden (1520) gibt Hinweis auf die enge Zusammenarbeit: «Im Jahre 1520 konnten es sich die dank dem Kohlenmonopol wohlhabend gewordenen ca. 60 Schmidenzünfter leisten, eine prächtige, mit farbigen Schnitzereien verzierte Holzdecke in ihrem Zunftsaal im 2. Stockwerk des Hauses zum Goldenen Horn einbauen zu lassen. Es wird vermutet, dass die Scherer und Bader die Decke als Beitrag für ihre Aufnahme in die Schmidenzunft gestiftet haben.» (Schmid Max, 2017)

Abb. 4: Deckenmedaillons an der spätgotischen Saaldecke (1520)
Scherer und Bader – Eingliederung mit Tragkraft

Den Überlieferungen zufolge wurden die Scherer und Bader erst 1433 in die Schmidenzunft eingegliedert, also gut 20 Jahre nach dem Kauf der Liegenschaft «zem guldin Horn». Da die von den Scherern und Badern verwendeten Werkzeuge geschmiedet werden mussten, machte deren Beitritt in die Zunft durchaus Sinn. Die Eingliederung in die Zunft bedeutete für die Scherer und Bader einen gewissen sozialen Aufstieg, wurden die Berufe erst im 16. Jahrhundert vor dem Reichstag in Augsburg als «zünftig und rein» erklärt. Mit dem Eintritt in die Zunft erhielten die Scherer und Bader auch politische Rechte und ein wirtschaftliches Monopol – zumal ein zünftiges Handwerk nur durch Mitglieder der entsprechenden Zunft betrieben werden durfte.

Im Mittelalter erhielt das Tätigkeitsfeld der Bader grossen Aufwind. Oftmals betrieben sie Badehäuser, die von allen Bevölkerungsschichten besucht wurden und als Ort des sozialen Austausches galten. Zusätzlich boten die Bader günstig Heilbehandlungen an wie Aderlässe oder Schröpfen. Auch Zähne konnten beim Bader gezogen und Wunden versorgt werden. Hierbei überschnitten sich die Tätigkeiten mit denen des Scherers. Dieser führte niedrige chirurgische Eingriffe durch oder renkte Glieder wieder ein. Wegen ihres überschneidenden Tätigkeitsbereichs wurden die beiden Berufe später zusammengefasst und künftig «Barbiere» genannt.

Abb. 5: Bader behandelt Badegäste, Stich von Jost Amman (1568)

1534 erwarben die Scherer und Bader eine eigene Liegenschaft («Haus zum schwarzen Garten») zur Ausübung ihres Berufs und gründeten die «Gesellschaft zum schwarzen Garten». Diese bestand bis 1834 und fungierte als erste medizinische Bildungsstätte Zürichs.

Zunftwesen heute

Als die Zunftgemeinschaft 1866 ihre letzte politische Bedeutung verlor, änderte sich deren Funktion massgebend. Die Zünfte bestehen heute als Vereine weiter. In Zürich wird die Zunfttradition hochgehalten und gepflegt, unter Anderem am jährlichen Sechseläutenumzug (erstmals gemeinsam durchgeführt 1839). Die Zürcher Zünfte stehen im aktuellen Zeitgeschehen mitunter in der Kritik, zum Beispiel weil die meisten Zünfte keine weiblichen Mitglieder zulassen. Diese sehr alten Institutionen nehmen bis heute einen festen Platz in der Zürcher Gesellschaft ein. Einst Treiber des Wandels, stehen sie heute vor neuen Herausforderungen.

Bildquellen

Abb. 1: Foto Zunfthaus zur Schmiden, veröffentlicht im Rahmen des Jubiläumsfolders „600 Jahre Zunfthaus zur Schmiden“, Zunft zur Schmiden, Zürich (2012)

Abb. 2: Foto Kaufvertrag Haus „zem guldin Horn“, veröffentlicht im Rahmen des Jubiläumsfolders „600 Jahre Zunfthaus zur Schmiden“, Zunft zur Schmiden, Zürich (2012)

Abb. 3: Foto Ornamente an der linken Seite des Zunfthauses zur Schmiden, Klipstein Samuel, Zürich (2023)

Abb. 4: Foto Deckenmedaillons Schedelsche Weltchronik, veröffentlicht im Rahmen des Jubiläumsfolders „600 Jahre Zunfthaus zur Schmiden“, Zunft zur Schmiden, Zürich (2012)

Abb. 5: Bader behandelt Badegäste, Stich von Jost Amman 1568, Regionalmuseum im Schloss zu Bad Frankenhausen, https://www.regionalmuseum-bfh.de/erste-versuche-max (abgerufen 02.05.2023)

Literatur

Bock Ernst: Alte Berufe Niedersachsens, Hildesheim, Gerstenberg (1985)

Illi Martin: Brun’sche Zunftrevolution, Historisches Lexikon der Schweiz (2004), https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/030735/2004-08-26/ (abgerufen 02.05.2023)

Schmid Daniel Max: Die spätgotische Saaldecke des Zunfthauses zur Schmiden, Archivar Zunft zur Schmiden, Zürich (2017)

Sigg Otto: Zunftherrlichkeit: die Zürcher Zünfte 1336 bis 1798 – aus der vom Zentralkomitee der Zünfte Zürichs 1986 zum Anlass „650 Jahre Zürcher Zünfte“ herausgegebenen Festschrift, Zentralkomitee der Zünfte Zürichs, Zürich (1986), https://www.zuerich-geschichte.info/pdfs/Zunftherrlichkeit.pdf (abgerufen 02.05.2023)

Troxler Irène: Das Vermächtnis der Schmiede, Neue Zürcher Zeitung (2012), https://www.nzz.ch/zuerich/das-vermaechtnis-der-schmiede-ld.836283 (abgerufen 02.05.2023)

Zunft zur Schmiden: Jubiläumsfolder „Jubiläum 600 Jahre Zunfthaus zur Schmide“, Zürich (2012), https://www.schmiden.ch/liegenschaft.lasso (abgerufen 02.05.2023)

Zunft zur Schmiden: Meilensteine zur Liegenschaft, Zürich, https://www.schmiden.ch/meilensteine.lasso (abgerufen 02.05.2023)

Zunft zur Schmiden: Zunftgeschichte, Zürich, https://www.schmiden.ch/zunftgeschichte.lasso (abgerufen 02.05.2023)

Zunft zur Schmiden: Zunftschatz, Zürich, https://www.schmiden.ch/zunftschatz.lasso (abgerufen 02.05.2023)

Zunft zur Schmiden: Zunftwesen, Zürich, https://www.schmiden.ch/zunftwesen.lasso (abgerufen 02.05.2023)