Wo der Ballonkatheter entwickelt wurde

Ein Durchbruch in der interventionellen Kardiologie

Haldenbachstrasse 2, 8006 Zürich (Karte)

von Nina van der Ploeg

Während heute moderne Forschungszentren nach ihm benannt sind, tüftelte er vor 50 Jahren zu Hause am Küchentisch. Andreas Grüntzig gilt heute als Revolutionär, Pionier und Retter der Herzen, doch der Weg dahin wurde ihm in Zürich keineswegs leicht gemacht.

Abb.1: Andreas Grüntzig, Arzt und Forscher 1978

Die Anfänge des Ballonkatheters

Der Ballonkatheter ist heute aus der interventionellen Kardiologie nicht mehr wegzudenken. Umso schwerer vorstellbar ist es, dass die Entwicklung davon nicht im Labor einer renommierten Universität stattfand, sondern in einer gewöhnlichen Wohnung an der Haldenbachstrasse 2 im Universitätsviertel der Stadt Zürich. Die allerersten Prototypen des Ballonkatheters wurden allerdings gar nicht in besagter Wohnung gebastelt, wie es so oft erzählt wird. Johannes Grüntzig kann sich noch genau daran erinnern, dass sein Bruder erst im Mai 1974 die unmöblierte Wohnung an der Haldenbachstrasse 2 bezog. Die weitere Entwicklung und Optimierung des Ballonkatheters hingegen fand durchaus dort statt. In unmittelbarer Nähe zu Andreas Grüntzigs offiziellem Arbeitsort, der kardiologischen Abteilung des Kantonsspitals, wurde seine Wohnung zu einem persönlichen Labor umfunktioniert. Nach Arbeitsschluss hantierte der junge Arzt zuhause mit Klebstoff, Schläuchen und Ballons aller Grössen und Formen, um seine Idee des Ballonkatheters zu verwirklichen. Andreas Grüntzigs Heimlabor wird gewiss in dem ein oder anderen Beitrag überspitzt dargestellt, denn der Küchentisch eignet sich hervorragend als Symbol für die Heimforschung.

Dieser Küchentisch hat sich einfach als Symbol eingenistet in unseren Hirnen und zwar zu Recht für Heimforschung. Für jemand, der kein Labor hat, der keine Unterstützung hat, der zuhause arbeitet.

Dr. Johannes Grüntzig

Heute ist „Homeoffice“ für viele Berufe die neue Normalität, doch damals und besonders für einen jungen Arzt und Forscher waren diese Umstände alles andere als normal. Es lässt sich nicht bestreiten, dass Andreas Grüntzig keine Labore oder andere Forschungseinrichtungen zur Verfügung gestellt wurden. Er musste daher einen anderen Weg finden und da war sein Küchentisch, an welchem er Pizza belegte, Kaffee trank und eben auch Ballonkatheter bastelte, nunmal geeignet.

Erste Erfolge und weitere Hürden

Andreas Grüntzigs Erfindung erwies sich als Erfolg. Im Jahre 1974 fand der erste Eingriff an einer verengten Beinarterie statt. Trotz gelungener Operation gestaltete sich die weitere Entwicklung seiner Vision nicht einfacher als bisher. Die Industrie hatte keine Interesse daran, sich an der Weiterentwicklung von Grüntzigs Innovation zu beteiligen und dadurch verzögerte sich der nächste grosse Erfolg um mehrere Jahre. Am 16. September 1977 war der Ballonkatheter endlich so weit optimiert, dass er für die Dilatation einer stenosierten Koronararterie zum Einsatz kam. Fortan fand Grüntzigs perkutane transluminale Koronarangioplastie (PTCA) weltweit Anklang, sodass 1978 der erste PTCA-Kurs stattfand. Die Besonderheit dieses Kurses und der vielen darauf folgenden Kurse lag darin, dass die Operation live in den Hörsaal übertragen wurde. Andreas Grüntzig konnte so weiter seinen Tätigkeiten als Oberarzt nachgehen, während er gleichzeitig ÄrztInnen aus aller Welt unterrichtete.

Gerade müssen sie sehen, wenn etwas schief geht. Wie reagiert der Operateur? Wie rettet er die Situation? Das ist eben Fortbildung.

Dr. Johannes Grüntzig

Während heute Livedemonstrationen im Medizinstudium ein übliches Mittel sind, waren sie damals eine Neuheit. Andreas Grüntzigs Methode bewies sich erneut und erreichte so ZuschauerInnen aus dem In- und Ausland. Eines blieb allerdings nach wie vor unverändert: die fehlende Infrastruktur. Die mittlerweile zahlreichen Patienten und Patientinnen konnten nicht alle aufgenommen werden, da Andreas zu wenige Betten zur Verfügung standen. Zürich hinderte den Arzt und Forscher an seiner Weiterarbeit im Bereich der interventionellen Kardiologie und somit fasste er im Jahr 1980 den Entschluss, die Schweiz zu verlassen. Seine 11-jährige Karriere am Kantonsspital Zürich nahm ein Ende und Andreas Grüntzig trat eine Stelle als Medizinprofessor und Direktor der interventionellen kardiovaskulären Abteilung an der Emory University in Atlanta an. In der USA forschte er weiter, bis er am 27. September 1985 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam.


Die zeitliche Entwicklung

1958Andreas Grüntzig begann in Heidelberg Medizin zu studieren.
1969Der Assistenzarzt trat eine Stelle am damaligen Kantonsspital Zürich an und arbeitete auf der angiologischen, radiologischen und schliesslich auch auf der kardiologischen Abteilung.
1974Andreas Grüntzig betrieb Heimforschung an der Haldenbachstrasse 2, da ihm keine Labore zur Verfügung gestellt wurden.
1977Die erste erfolgreiche Koronardilatation mit Hilfe des Ballonkatheters wurde am Kantonsspital Zürich durchgeführt.
1978Erste Teachingkurse zur PTCA fanden statt, indem die Operation live in den Hörsaal übertragen wurde.
1980Andreas Grüntzig nahm eine Stelle als Professor und Direktor an der Emory University in Atlanta USA an.

Abb. 2: Haldenbachstrasse 2 in Zürich 2023

Der Geburtsort der interventionellen Kardiologie

Die bekannte „Kitchentableproduction“ an der Haldenbachstrasse ist heute, gleich wie vor 50 Jahren, immer noch eine unscheinbare Wohnung mitten in der Stadt Zürich. Vielleicht steht sogar noch der berühmte Küchentisch in einer Ecke? Andreas Grüntzig nutzte die Mittel, die er damals hatte und dies funktionierte auch für eine Weile, doch Heimforschung hat ein Limit. Diese Grenzen erreichte Andreas und ging sogar darüber hinaus.

An diesem medizinhistorischen Ort hat sich nicht viel verändert, doch am Universitätsspital Zürich, das nur wenige Gehminuten von der Haldenbachstrasse 2 entfernt ist, hat sich so einiges getan. Das „Andreas Grüntzig Clinical Research Center“ wurde in Gedenken an ihn gegründet und leitet heute etliche klinische Studien im Bereich der Kardiologie. Ausserdem wurden Herzkatheter-Labore nach Andreas Grüntzig benannt. Jährlich werden tausende Patienten und Patientinnen betreut, die nicht abgewiesen werden müssen, denn heute stehen genau die Mittel, welche Andreas Grüntzig verweigert wurden, zur Verfügung und ermöglichen die Behandlung.

Die PTCA hat sich über die Zeit natürlich auch weiterentwickelt und in Kombination mit Gefässstützen, sogenannten Stents, wurden enorme Fortschritte erzielt. Das USZ wird als Geburtsort der modernen, interventionellen Kardiologie angesehen und Andreas Grüntzig wird die Wertschätzung gegeben, die er vor so vielen Jahren schon gebraucht hätte.

Medizinische Forschung heute

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass heutzutage im Medizinstudium der UZH die medizinische Forschung gross angepriesen wird. Fokuswochen zum Thema Forschung und Vorlesungen zur Methodik der medizinischen Forschung gehören zum Stundenplan der Studierenden des dritten Semesters. Über den theoretischen Aufbau einer klinischen Studie bis hin zu Podiumsdiskussionen mit ForscherInnen aus unterschiedlichen Bereichen, das Programm ist sehr breit und dadurch werden bereits früh im Studium die Möglichkeiten, die ausserhalb der praktizierten Medizin liegen, präsentiert. Es wird klar, dass Nachwuchs in der Forschung gefragt ist. Durch die Unterstützung der Universität gestaltet sich der Weg zu Erfolgen im Bereich der medizinischen Forschung heute für StudentInnen und angehende ForscherInnen hoffentlich einfacher, als es bei Andreas Grüntzig der Fall war.


Video 1: Referat von Johannes Grüntzig vom 11.02.2022

Bildquellen

Abb. 1: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Vogt, Jules / Com_L27-0054-0001-0002 / CC BY-SA 4.0
Abb. 2: Nina van der Ploeg, 28.03.2023
Video 1: https://www.youtube.com/watch?v=PUj3n0D6Aak (Youtube)

Literatur
  1. Riebeling, Fee Anabelle: Retter der Herzen, swissinfo.ch, 29.07.21, <https://www.swissinfo.ch/ger/wissen-technik/andreas-gruentzig_retter-der-herzen/46531192> Stand: 03.03.23.
  2. Schlumpf, M.: 30 Jahre Ballonkatheter: Andreas Grüntzig, ein Pionier in Zürich, in: Schweizerische Ärztezeitung Vol. 85, No 7 (2004), S. 346-351, Online: <https://saez.ch/journalfile/view/article/ezm_saez/de/saez.2004.10284/5c48c2b914d8adfed9ce44f50b4d26377020bae7/saez_2004_10284.pdf/rsrc/jf>, Stand: 03.03.23.
  3. Straumann, Felix: Draufgänger aus Dresden, in: NZZ, 11.04.04, Online: <https://www.nzz.ch/article9G1LU-ld.297395>, Stand: 03.03.23.
  4. o.A.: Perkutaner koronare Herzkatheter und Interventionen (Ballon-Dilatation und Stent-Implantation), usz.ch, <https://www.usz.ch/fachbereich/kardiologie/angebot/perkutane-koronare-interventionen-ballon-dilatation-und-stent-implantation/>, Stand: 01.05.2023
  5. o.A.: Andreas Grüntzig Clinical Research Center, usz.ch, <https://www.usz.ch/fachbereich/kardiologie/forschung/andreas-gruentzig-clinical-research-center/>, Stand: 01.05.2023