Die alte Hebammenschule

Wie sich das Hebammenwesen in Zürich im Verlauf der letzten Jahrhunderte verändert hat

Huttenstrasse 46, 8006 Zürich (Karte)

von Annika Hodel

Hebammen sind für angehende Mütter und ihre Partner nicht wegzudenken. So ist es heute und war es vor 500 Jahren. Ihre Ausbildung hat sich stark gewandelt und ihre Funktion im Gesundheitswesen hat sich entsprechend angepasst. Anstatt, wie früher, sie nur für „normale“ oder „einfache“ Geburten eingesetzt wurden, weil sie nicht mehr Verantwortung haben durften, haben sie heute eine weiterführende Aufgabe für die Vorbereitung und Beratung von Schwangeren während der Schwangerschaft und im Wochenbett.

Abb. 1: Die alte Hebammenschule noch vor der Renovierung, Foto aus IMA Finanzvermögen in Zürich Huttenstrasse 46, Zürich Sanierung Gebäudehülle, Projektdokumentation mit Kostenvoranschlag, Ansicht von Nordwesten
Abb. 2: Die alte Hebammenschule, Aufnahme März 2023

Hebammenkunst vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert

Bereits im Mittelalter gab es so genannte Matronen, die den gebärenden Frauen zur Seite gestanden sind und sie durch ihre Geburt begleitet haben. Diese frühen Hebammen wurden von den religiösen Autoritäten befugt den werdenden Müttern zu helfen. Meistens waren es ältere, erfahrene Frauen.
Früher wurden die Hebammen von den Städten angestellt und trugen deshalb auch eine Berufstracht. Die Ausbildung dieser Frauen wurde aber nicht als wichtig empfunden und es gab bis ins 18. Jahrhundert keine richtige Ausbildungsstätte für Hebammen.

Am Anfang (16./17 Jhr.) war die Geburtshilfe eine Aufgabe, welche fast ausschliesslich von Frauen ausgeübt wurde. Der Umgang mit Schwangeren und Gebärenden wurde von Frauen an Frauen weitergegeben. Mit der Zeit begann sich ein autonomer Hebammenstand zu formen, welcher von den bekanntesten geprägt wurde. Lehrbücher erschienen unter anderem von Louise Bourgeois und Mutter Justine Siegemundin. Mehr zu Louise Bourgeois, Mehr zu Justine Siegemund

Die Geburtshilfe „konnte“ früher nicht von männlichen Ärzten durchgeführt werden, da in den meisten Kulturen der „weibliche Körper mit seinen Ausflüssen, vom Ruf der Unreinheit umgeben“ war. Nur in besonders schweren Geburten wurden Chirurgen gerufen, um Eingriffe vorzunehmen. Offenbar war es aber auch von der Seite der Frauen aus, so gewollt, dass das Hebammenhandwerk in Kontrolle der Frauen blieb. Dazu gehörte nicht nur die Geburt sondern auch Antikonzeption und Abtreibungen.

Die Wandlung des Hebammenwesens im 19. Jahrhundert

Von 1803 bis 1815 haben sich Hirzel (Hebammenlehrer), P. Usteri (Arzt und Politiker), J.H. Rahn (Forscher) und vermutlich noch einige mehr dafür eingesetzt, dass der Hebammenunterricht vereinheitlicht wird und Hebammen einen „respektablen“ Sitz im Spital zu sichern.

Durch die neue Hebammenverordnung von 1815 wurden alle Hebammen in Zürich gleich unterrichtet, was zu einer gleichmässigeren und so besser kontrollierbaren Hebammenausbildung führte. Sie lernten mit einfachen Geburten umzugehen und bei Schwierigkeiten Ärzte oder Geburtshelfer zu rufen. Nur wenn keine Geburtshelfer in nächster Nähe waren und die Gebärende in unmittelbarer Not stand, durfte die Hebamme eingreifen.

Dieser erste einheitliche Hebammenunterricht wurde von Conrad Spöndli gehalten. Dieser Unterricht war zunächst nur für drei Jahre bewilligt worden, und es sollte neu beurteilt werden, nachdem die Prüfungen stattgefunden hatten. Zum Unterrichtsstoff gehörte unter anderem die weibliche Anatomie, Untersuchungsmethoden, Kindesentwicklung, die Lage des Kindes bei der Geburt und was bei regelwidrigen Geburten gemacht werden soll. Zudem kamen praktische Arbeit im Spital.
Als Lehrmittel wurde das „Handbuch für die Hebammen des Kantos Aargau“ von Dr. J. H. Schmuziger verwendet.

In 1822 wurde beurteilt, ob der Hebammenunterricht weitergeführt werden soll Der kleine Rath hat die Arbeit von Dr. Spöndli begutachtet und sie als gut genug empfunden, dass der Unterricht weitergeführt werden sollte.

Als sich Spöndli 1830 entschied, das Amt abzugeben, unterrichtete er Kurse und hielt Vorlesungen, was ihm allmählich zu viel wurde. Seine Stelle übernahm Salomon Horner, aber nur bis zur Gründung der Universität in 1833.

Die Gründung der Universität fiel zeitlich auf die Julirevolution in Frankreich, welche Unruhen in der Schweiz ausgelöst hatte. Und auch sollte die patrizische Vorherrschaft abgeschafft und eine repräsentative Demokratie eingeführt werden.
Dr. Spöndli wurde Professor für Gynäkologie und Geburshilfe. Die universitäre Gebäranstalt blieb aber unverändert. Die alte Gebärstube, die viel zu klein war, blieb, sowie die Ausbildungszahl blieb gleich.

Der Hebammenunterricht um 1850 wurde mehr Frauen angeboten, und der Unterricht wurde täglich für drei Stunden während acht Wochen abgehalten. Als Lehrmittel wurde das Buch von Elias von Siebold mit dem Namen „Lehrbuch der Geburtshülfe zum Unterricht für Hebammen“ genutzt.

Hebammen wurden für eine normale Geburt in 1857 mit 5 Franken entlöhnt, davor waren es drei. Neben der Bezahlung wurde auch die Anzeigepflicht von ausserehelichen Geburten in der Hebammenverordnung von 1857 eingeführt.

Zwischen 1858 und 1866 wurde das Wissen über Antisepsis in den Hebammenunterricht mit einbezogen. Die allgemeine Hygiene war lächerlich. Davon abgesehen, dass Hände ohne Handschuhe oder jegliche Desinfektion für alle Untersuchungen eingesetzt wurden, waren die Räumlichkeiten dreckig, verschmutzt, stanken und waren rückblickend eine Zumutung für jede Patientin, und wahrscheinlich auch Auszubildende. Kein Wunder also, dass das Kindbettfieber der Wöchnerinnen die häufigste Todesursache von jungen Frauen war. Ab 1861 wurde das Waschen der Hände in Chlorkalkmischung nach jeder Untersuchung eingeführt. Auch das regelmässige Lüften und trockenere Räume halfen das Kindbettfieber zu bekämpfen.

1881 wurden die Massnahmen zur Vermeidung von Puerperalfieber und Antisepsis in einer neuen Verordnung aufgeführt. Auch organisatorische Probleme wurden in dieser Hebammenordnung notiert.

Entwicklung des Frauenbildes in der Medizin & Emanzipation

Und schliesslich kam mit dem „neuen“ Frauenbild speziell der Hebammenberuf in Verruf, da diesen Frauen eben die weibliche Natur und die Familienplanung im weitesten Sinne zugänglich waren und sie damit die Selbstbestimmung der Frauen über ihren eigenen Körper wie auch ein freies Ausleben ihrer Sexualität ermöglichten.


Brigitt Bohner, in Zur Ausbildung und Tätigkeit Zürcher Hebammen im 19. Jahrhundert (1989), S.121
Abb. 4: Die heutige Ausbildungsstette für angehende Hebammen: Die ZHAW in Winterthur
Die zeitliche Entwicklung
1554Hebammen werden durch eine Behörde und den Zürcher Stadtarzt überprüft.
1711Damit Hebammen ihren Beruf ausüben können, müssen sie eine Bittschrift an den Pfarrer und die Ärzte in Zürich verfassen. Dies kann erst erfahren, nachdem sie durch andere Hebammen angelehrt wurden und das Handwerk beherrschen.
1754Erstmals dürfen Hebammen dem Sezieren beiwohnen und werden in Anatomie unterrichtet.
1815Der erste zentrale Hebammenunterricht findet in Zürich statt. Der Unterricht wurde innerhalb von zwei Monaten abgehalten, wobei die angehenden Hebammen ein Mal pro Woche praktischen Unterricht im Spital hatten.
Die Hebammenordnung wird erneuert. Darin heisst es, dass neue Hebammen von der Gemeinde, dem Pfarrer oder der „Weibergemeinde“ gewählt werden muss, damit sie die Ausbildung beginnen kann.
Nach und nach wird die Ausbildungdauer auf sechs Monate erhöht.
1833Gründung der Universität Zürich
1883Als Führung der Ausbildung von Hebammen wird der alte Hebammenlehrer durch eine erfahrene Hebamme ersetzt. Die Theorie wird weiterhin von einem Arzt unterrichtet.
1894Gründung des Schweizerischen Hebammenverbandes, welcher sich für die Ausbildung von Hebammen einsetzt.
1899Es wird immer deutlicher, dass Hebammen zum medizinischen Hilfspersonal gehören. Trotzdem bekommen Hebammen nicht mehr Verantwortung. Ihnen wird beigebracht, wann eine Geburt einen Arzt benötigt, aber nicht, was in einer Gefahrensituation gemacht werden soll.
1948Die Hebammenschule in Zürich nimmt nur noch diplomierte Krankenschwestern in die Ausbildung auf. Die Ausbildung dauert nun ein Jahr.
1960Die erste „Schulphilosophie“ entsteht, welche einen Stoffplan, Reglement und Promotionsordung enthält.
1974Die erste Schulleiterin wird eingestellt, nachdem die Stelle nicht mehr alleinige Verantwortung der Oberhebamme ist.
1992Ein neues Curriculum wird verfasst
2001Hebammen und Lehrerinnen an der Hebammenschule erhalten nach 10 Jahren Bemühungen endlich einen fairen Lohn.
2005die kantonale Gesundheitsdirektoren entscheiden, dass die Ausbildung der Hebammen an Fachhochschulen angeboten werden soll.
2007Beatrice Friedli wird als erste Institutsleiterin des Instituts für Hebammen der ZHAW gewählt. Sie übernahm 1996 die Leitung der Hebammenschule in Zürich.
Sie beginnt mit der Ausarbeitung eines neuen Curriculum, wobei die Ausbildung neu vier Jahre dauern soll und sich nicht mehr an diplomierte Krankenschwestern richtet.
200860 Studentinnen beginnen den ersten Bachelorstudiengang des Hebammenwesens.
2009Bereits die letzten Hebammen werden an der Hebammenschule in Zürich diplomiert. Neu findet die Ausbildung (Bachelor, Forschung & Entwicklung, Master und Weiterbildungen) an der ZHAW statt.

Ort & Lage der Hebammenschule

Die heutige Huttenstrasse ist ein Wohnquartier wie jedes andere auch. Doch die Hebammenschule wurde dazumal wahrscheinlich nicht unbegründet an diesem Ort platziert. Nicht nur die heutige Klinik für Gynäkologie des USZ liegt nur 3 Strassen von der Huttenstrasse entfernt, sondern auch das Hauptgebäude des USZ ist in nächster Nähe. Die Lage musste strategisch ausgesucht worden sein, da die Ausbildung der Hebammen sehr viel mit Spitälern zu tun hat.

Abb. 5: Die Hebammenschule, Foto aus IMA Finanzvermögen in Zürich Huttenstrasse 46, Zürich Sanierung Gebäudehülle, Projektdokumentation mit Kostenvoranschlag, Ansicht von Südosten

[…] ein Zeugnis vom Bezirksarzt, dass sie die erforderlichen körperlichen und geistigen Eigenschaften, wie gute Sinne, eine gutgebaute, nicht durch Auswüchse, Steifigkeit einzelner Finger etc. verunstaltete Hand, gehörige Fassungsgabe, überhaupt gesunden Verstand besitze; im Allgemeinen einer guten Gesundheit geniesse, und dass sie endlich des Lesens und Schreibens ziemlichermassen kundig sei.

Die Hebammenverordnung von 1837; was eine neu auszubildende Hebamme alles für Eigenschaften haben sollte (S. 47; Zur Ausbildung & Tätiigkeit der Zürcher Hebammen im 19. Jhr.)
Abb.6: Die alte Hebammenschule heute. Ganz unscheinbar und ohne Anzeichen, dass hier Medizingeschichte geschrieben worden ist.
Bildquellen

Abb. 1: Foto aus IMA Finanzvermögen in Zürich Huttenstrasse 46, Zürich Sanierung Gebäudehülle, Projektdokumentation mit Kostenvoranschlag, Ansicht von Nordwesten


Abb. 2: Fotographie von Annika Hodel, aufgenommen am 14.3.2023


Bildergalerie Abb.3:
Abb. 3a: Künstler unbekannt, evtl. Schwedischer, Finnischer Künster oder ein Französischer Künstler in Schweden: A mother giving birth to a baby, Åbo 1800, Wellcome Collection; Attribution-NonCommercial 4.0 International (CC BY-NC 4.0), <https://wellcomecollection.org/works/jeass7hf/items>, Stand 18.4.2023

Abb. 3b: 16. Jhr Lying-in-room, Switzerland: A woman in bed recovering from childbirth, a midwife washes the baby while another attendant looks after the mother. Ca. 1580, Wellcome Collection; <https://wellcomecollection.org/works/jjcba979/items>, Stand 18.4.2023

Abb. 3c: Eucharius Roslin, Woman seated on a obstetrical chair giving birth aided by a midwife who works beneath her skirts. Ca. 1513, Wellcome Collection; <https://wellcomecollection.org/works/zaaznhgh/items>, Stand 18.4.2023

Abb. 3d: Künstler & Datum unbekannt, Nativitas gloriosae Virginis Mariae, Wellcome Collection; <https://wellcomecollection.org/works/t2k9xbwt/items>, Stand 18.4.2023

Abb. 3e: A midwife presenting a new born royal (?) baby to its father and to the royal court. Etching. Wellcome Collection; <https://wellcomecollection.org/works/p3mhvkkq/items>, Stand 18.4.2023

Abb. 4: ZHAW Gesundheit, <https://www.zhaw.ch/en/health/> Stand: 18.4.2023

Abb. 5: Foto aus IMA Finanzvermögen in Zürich Huttenstrasse 46, Zürich Sanierung Gebäudehülle, Projektdokumentation mit Kostenvoranschlag, Ansicht von Südosten

Abb. 6: Fotographie von Iris Ritzmann, aufgenommen am 14.3.2023

Literatur

1 Bohner, Brigitt Yvonne: Zur Ausbildung und Tätigkeit der Zürcher Hebammen im 19. Jahrhundert, Dissertation, Universität Zürich, Zürich 1989

2 Hauser, Regula: Chronik zur Ausbildung der Zürcher Hebammen, ZHAW, Zürich 2018

3 Vouilloz Burnier, Marie-France: Hebammen, Historisches Lexikon der Schweiz HLS, 6.10.2014, <https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016397/2014-10-06/>, Stand: 6.3.2023

4 Dober, Laura; Walker, Wendy: Der Wandel der Hebammenkompetenzen und Ausbildung, Bachelorarbeit, ZHAW, Zürich 2017

5 o. A.: Die Hebammenschule bleibt in Zürich, Kanton Zürich, 28.06.2001, <https://www.zh.ch/de/news- uebersicht/medienmitteilungen/2001/06/119_hebamme.html>, Stand 6.3.2023

6 Jenzer, Hans: Die Gründung der Hebammenschulen in der Schweiz im 18. Jahrhundert (mit besonderer Berücksichtigung der bernischen Verhältnisse), in: Gesnerus: Swiss journal of the history of medicine and sciences 23, 1966, S. 67-77. Online: <https://www.e-periodica.ch/cntmng?var=true&pid=ges-001:1966:23::358>, Stand 6.3.2023

7 Marie-France Vouilloz Burnier: „Hebammen“, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 06.10.2014, übersetzt aus dem Französischen. Online: <https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016397/2014-10-06/>, konsultiert am 01.05.2023.