Der Operationssaal im Burghölzli. Das Skalpell des Wahnsinns.


Lenggstrasse 31, 8032 Zürich (Karte)

Am bewaldeten Hügel des Burghölzlis, der Psychiatrischen Universitätsklinik, würde man keinen Operationssaal erwarten. Psychiatrie ist seit jeher nicht mit operativen Eingriffen assoziiert, jedoch gab es genau dies am Burghölzli und an zahlreichen anderen psychiatrischen Standorten der Schweiz. Der Operationssaal des Burghölzlis, worüber heutzutage nahezu keine Informationen mehr zu finden sind, und hinzukommend auch im Burghölzli selbst nicht lokalisierbar ist, diente zur Durchführung von psychochirurgischen Eingriffen, allen voran der Lobotomie.

Ein verhängnisvolles Selbstverständnis

Die Lobotomie galt in der Nachkriegszeit zwar als kontrovers diskutierte, jedoch auch als ausgesprochen progressives Verfahren für die Minderung der Symptome von PatientInnen im schizophrenen Formenkreis. Im damals vorherrschenden Selbstverständnis des damaligen Direktors des Burghölzlis Manfred Bleuler war die Psychiatrische Universitätsklinik eine sogenannte ‚Heilanstalt‘. Die Exzellenz und das Selbstverständnis des Status des Burghölzlis als Institution Menschen zu heilen war sicherlich auch mitunter ein Hauptgrund, weshalb die meisten Lobotomien in der Schweiz an ebendieser Anstalt durchgeführt wurden.

Die Lobotomie: Revolutionäre Psychochirurgie mit schweren Folgen

Die 1936 erstmals an Menschen durchgeführten Lobotomie bezeichnet den einschneidenden Eingriff, bei dem die Nervenbahnen zwischen Thalamus, als Sammelstelle nahezu aller Sinneseindrücke, und Frontallappen, welcher unter anderem für Funktionen des komplexen Denkens verantwortlich ist, durchtrennt werden. Für diese schwerwiegenden Operation, mit teils tiefgreifenden Nebenwirkungen wie Apathie und Persönlichkeitsänderung mit Störung des Antriebs und der Emotionalität, gab es für den portugiesischen Neurologen António Egas Moniz 1949 den Nobelpreis für Medizin.

Abb 1. Die Transorbitale Lobotomie nach Watts

Unbefugte Eingriffe

Die, wegen eines ‘Aufregungszustands’ im Jahre 1946 in das Burghölzli eingewiesene, Patientin Johanna R., wurde im November 1947 vom damalig hoch geachteten Professor für Neurochirurgie und Leiter der neurochirurgischen Abteilung Hugo Krayenbühl lobotomiert. Sie teilte die Indikation einer Lobotomie mit 91 anderen PatientInnen aus dem Burghölzli im Zeitraum von 1946-1970, meist ohne ein persönliches Einverständnis vonseiten der behandelten Personen.

Lobotomie am Burghölzli

Johanna R. litt unter starken Nebenwirkungen ihrer durchgeführten Lobotomie, welche ab Oktober 1946 generell vom damaligen Direktor des Burghölzlis Manfred Bleuler veranlasst, und regelmässig in einem hauseigenen Operationssaal durchgeführt wurden. Zwar hatte sie nach ihrem Eingriff keine grossen Probleme, jedoch erwies sie sich als sehr apathisch.

„Seit der Lobotomie nicht mehr aggressiv, zu stumpf dazu (…). Macht im Übrigen auf der Abteilung gar keine Schwierigkeiten, wenn man sie in Ruhe lässt (…).“ 

Arzteintrag in Krankengeschichte der Patientin Johanna R, 1947/48

Der behandelnde Arzt schrieb in der Krankengeschichte dazu: „Seit der Lobotomie nicht mehr aggressiv, zu stumpf dazu (…). Macht im Übrigen auf der Abteilung gar keine Schwierigkeiten, wenn man sie in Ruhe lässt (…).“  Dies war wohl mitunter einer der Hauptgründe für das Veranlassen einer Lobotomie: Ruhe und Ordnung in der Anstalt. Denn es wurden im Burghölzli fast ausschliesslich PatientInnen mit „affektiven Störungen“ oder Zwangssymptomen lobotomiert, die als unheilbar krank galten. Jedoch war oftmals die entscheidende Frage, ob das Verhalten der PatientInnen die Anstaltsordnung und somit die Sicherheit gefährdeten. 

Abb. 2 Der Operationssaal des Burghölzlis

Das Ende der Geschichten

Letztlich bleiben vielerlei Fragen offen. Wieso waren von all den lobotomierten PatientInnen am Burghölzli ca. 73% Frauen? Wieso wurden im Burghölzli fast doppelt so viele Lobotomien durchgeführt wie an der Klinik Rheinau, wobei Rheinau einiges mehr PatientInnen hatte? Wieso konnte die Lobotomie so lange an Schweizer Kliniken, darunter auch das Burghölzli, überleben? Denn schon am Ende der 1940er Jahre war der Höhepunkt der durchgeführten Lobotomien in der Schweiz mit über 100 dokumentierten Eingriffe pro Jahr. Während der 50er Jahren kam es dann zur raschen Abnahme der Lobotomie assoziierten Operationen, obwohl noch mehrere, damals noch so genannte, Anstalten sie bis in die 1960er Jahren weiterführten. Die letzte dokumentierte Lobotomie in Zürich war 1971.

Abb. 3 Der Haupteingang des Burghölzlis im Jahr 2022

Zu dieser Zeit war Johanna R. schon nicht mehr am Burghölzli. Im Januar 1948 wurde Johanna R. aus dem Burghölzli entlassen, daraufhin jedoch drei Monate später wieder eingewiesen, um ein Jahr später wegen Platzmangels in eine Klinik in der Ostschweiz zu kommen. Johanna R. regenerierte sich weder von der Lobotomie noch von ihrer Erkankung. Sie verbrachte ihre letzten Tage in der Psychiatrischen Klinik in Rheinau, wo sie 1997 im Alter von 77 Jahren verstarb.

Quellenangabe

Illustrationen:
Abb. 1: Meier, M. et al.: Zwang zur Ordnung: Psychiatrie im Kanton Zürich, 1870-1970. Zürich 2007, S. 234, STAZH, PUK Nr. 34.
Abb. 2: Schultz, S., Grafik nach Phill Anderson, zm-online, 2015. https://www.zm-online.de/news/nachrichten/hirnschaden-als-heilmethode/
Abb. 3: Linus Kamber.

Literatur:
Meier, M.; Bernet, B.; Dubach, R.; Germann, U.: Zwang zur Ordnung. Psychiatrie im Kanton Zürich 1870-1970. Zürich 2007.