Das Wohnhaus zweier ganz unterschiedlicher Medizin-Professoren

Plattenstrasse 52, 8032 Zürich (Karte)

von Lea Sophie Tschaggelar

In ein und demselben Haus wohnten ein geflüchteter, jüdischer Pathologe und ein antisemitischer Chirurg. Das Haus das für Theodor Billroth erbaut wurde, wurde Jahrzehnte später zum Zufluchtsort für Philipp Schwartz.

Abb. 1: Das Haus an der Plattenstrasse 52 in heutigem Zustand.
Abb. 2: Das Wohnhaus in der Plattenstrasse.


Theodor Billroth (1829-1894)

Theodor Billroth wurde 1829 auf Rügen in eine Pastorenfamilie geboren. Bevor er mit seinem Studium der Medizin begann, studierte er Musik in Greifswald. Später wechselte er an die Universitäten von Göttingen und Berlin. Nach seiner Promotion 1852 arbeitete er in Wien und Paris, bevor er wieder nach Berlin zurückkehrte, um als niedergelassener Arzt zu praktizieren. 1856 wurde Billroth Dozent für Chirurgie und pathologische Anatomie. 1858 heiratete Billroth Christel Michaelis. Zusammen hatten sie drei Töchter und einen Sohn. 1860 ging er als Professor für Chirurgie nach Zürich. In Zürich begann Billroth mit seinen Forschungen und mikroskopischen Untersuchungen. Nebenbei verfasste er Publikationen mit Berichten über geglückte und misslungene Operationen. 1867 wurde er nach Wien berufen und wurde dort Direktor einer staatlichen Einrichtung zur Weiterbildung von Chirurgen. 1872 war Billroth Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Bekannt wurde Billroth nicht nur durch seine pathologischen Arbeiten, sondern machte sich auch als Lehrer einen Namen. In seinen Werken zur Lehre an Universitäten zeigten sich seine deutschnational-antisemitischen Ansichten, was nicht ohne Widerspruch blieb, jedoch den Ansichten verschiedener Gelehrten zu dieser Zeit entsprach. 1894 verstarb Billroth im heutigen Kroatien.

Abb. 3: Theodor Billroth

Billroth und der Antisemitismus

1867 wurde Billroth an die Universität Wien berufen. Er bildete ein Zentrum der „deutschen“ Chirurgie mit einer „deutschen“ medizinischen Elite. Billroth grenzte sich von denjenigen, die nicht zur deutschen Kulturnation gehörten, ab und trat für eine strikte Trennung der „Rassen“ ein. Er verfasste Studien, in welcher er den durch die Regierung zugelassenen „ostjüdischen“ Zustrom an Medizinstudenten kritisierte. Zudem forderte er ausdrücklich Massnahmen, welche jüdische Studenten generell benachteiligte. Die Folge waren Konfrontationen zwischen „deutschen“ und „jüdischen“ Studenten an der Universität. Indem der anerkannte Chirurg Theodor Billroth diese Ansichten vertrat, verhalf er dem „modernen Antisemitismus zum Nimbus wissenschaftlicher Seriosität.“ Obwohl er die Chirurgie revolutionierte, trug er auch massgeblich zu Nationalisierung der Medizin bei.

«eine scharf ausgeprägte Nation [und] doch eben nur zufällig deutsch redende, zufällig in Deutschland erzogene Juden»

Theodor Billroth,
https://geschichte.univie.ac.at/de/artikel/furor-teutonicus-und-rassenhass

Phillip Schwartz (1894-1977)

Phillip Schwartz wurde 1894 in Ungarn geboren. Er begann 1912 sein Medizinstudium in Budapest und promovierte 1919. Danach wurde er Assistent am pathologischen Institut der Frankfurter Universität. Er befasste sich mit Komplikationen bei der Geburt und deren Ausmass auf postnatale Behinderungen und wurde somit ein Wegbereiter der modernen Schwangerschaftsvorsorge. 1927 wurde er zum Professor ernannt und erhielt 1930 die deutsche Staatsbürgerschaft. Aufgrund seines jüdischen Glaubens musste er mit seiner Familie 1933 nach Zürich fliehen. Hier gründete er dir „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland“. Im Anschluss nahm er in Istanbul einen Lehrstuhl an. Er leitete als renommierter Neuropathologe eine Forschungsanstalt für Geriatrie in Warren, Pennsylvania wo er 1977 verstarb. Die Stadt Zürich ehrte ihn 2014 mit einem Ehrengrab.

Abb. 4: Phillip Schwartz, 1960

Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland

Schwartz erkannte die Notlage für Wissenschaftler im Deutschen Reich und gründete hier in Zürich die Gemeinschaft, welche sich als Beratungsstelle und Selbsthilfeorganisation entwickelte. In kürzester Zeit nahmen mehr als tausend Mitarbeiter von deutschen Universitäten die Hilfe in Anspruch. Ziel war nicht die finanzielle Unterstützung, sondern eine Stellenvermittlung. Noch im selben Jahr wurde Schwartz selbst nach Istanbul vermittelt. Die Gemeinschaft hatte mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen wie die Anerkennung gewisser deutscher Diplome oder Arbeits- und Niederlassungsverbote, die die Wissenschaftler hinderten, ihre Arbeit im Ausland wieder aufzunehmen. Ein Rat aus deutschen Professoren im Ausland informierte die Notgemeinschaft über freie Stellen an ihren Universitäten, worauf diese sich um die Vermittlung bemühte. Die „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland“ arbeitete eng mit anderen Komitees zusammen, vor allem der „Academic Assistance Council“ (AAC), eine Organisation für vertriebene Akademiker in London. Der Sitz der Notgemeinschaft wurde 1936 von Zürich nach London verschoben und 1946 nach Kriegsende aufgelöst. Alle Hilfesuchende fanden eine Anstellung, jedoch oftmals nicht mehr in ihrem vorherigen Arbeitsbereich.

Phillip Schwartz-Initiative für gefährdete Wissenschaftler:innen

Plattenstrasse 52 heute

Heute steht das Haus in welchem sowohl Theodor Billroth als auch Phillip Schwartz gewohnt haben noch. Das Gebäude und die Fassade wurden renoviert, der Stil entspricht jedoch noch dem Original. Es trägt nicht mehr die Funktion eines Wohnhauses, sondern beherbergt nun ein Schülerlabor der Rudolf Steiner Schule. Eine Gedenktafel an das Wirken von Phillip Schwartz befindet sich an der Strassenseite, an der anderen Hausseite die Tafel in Erinnerung an Theodor Billroth.

Erbaut wurde das Haus 1860 kurz vor Einzug Billroths. Es war ein verziertes dreigeschossiges Baumeisterhaus. Der Verandaanbau kam erst 1909 dazu. Seit 1931 wird es für Schulzwecke genutzt, zunächst als privates Maturitäts-Institut, danach als ETH-Vorbereitung und nun als „Labor für die Naturwissenschaften“. 1933 wurde in dem Haus die „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland“ von Phillip Schwartz gegründet. Die Eröffnung des Laborhauses 2019 folgte somit einer langen Tradition eines Unterrichtshauses.

Gedenktafeln

Beide Persönlichkeiten wurden mit einer Gedenktafel geehrt, dies jedoch auf unterschiedliche Weise. Während bei der Tafel in Gedenken an Theodor Billroth er selbst als Person und sein Name im Vordergrund steht, soll bei der Tafel in Gedenken an Phillip Schwartz das Errichten der Notgemeinschaft im Mittelpunkt stehen.

Abb. 5: Gedenktafel an Phillip Schwartz

Abb. 6: Gedenktafel für Theodor Billroth, angebracht Aug. 1988

Literatur

Theodor Billroth:

https://geschichte.univie.ac.at/de/personen/theodor-billroth-prof-dr

Billroth und der Antisemitismus:

https://geschichte.univie.ac.at/de/artikel/furor-teutonicus-und-rassenhass

Zitat Billroth:

https://geschichte.univie.ac.at/de/artikel/furor-teutonicus-und-rassenhass

Phillip Schwartz:

https://www.uni-frankfurt.de/54105892/Philipp_Schwartz

Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland:

Feichtinger, Johannes, „Wissenschaft zwischen den Kulturen. Österreichische Hochschuhllehrer in der Emigration 1933-1945“, Frankfurt am Main, 2001, Seiten 71-73

Mussgnug, Dorothee. “Ernst C. Stiefel/Frank Mecklenburg, Deutsche Juristen im amerikanischen Exil (1933-1950)“ Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Germanistische Abteilung, 1994, Seite 34-37

https://www.degruyter.com/document/doi/10.7767/zrgga.1994.111.1.749/html

Plattenstrasse 52 heute:

https://www.immorss.ch/immo-portfolio/plattenstr.-52

Bildquellen

Abb. 1: Das Haus an der Plattenstrasse 52 in heutigem Zustand., Eigenfotografie, 2022

Abb. 2: Das Wohnhaus in der Plattenstrasse., Baugeschichtliches Archiv, Creative commons BY SA 4.0, fotografiert von Hanspeter Dudli, 2015

Abb. 3: Theodor Billroth, Porträt von Christian Albert Theodor Billroth, fotografiert von J. Löwy, welcome images https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/0d/Christian_Albert_Theodor_Billroth._Photograph_by_J._L%C3%B6wy._Wellcome_V0026051.jpg

Abb. 4: Phillip Schwartz, 1960, 2. Januar 1960, ATIDEasso https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d8/MD_Philipp_Schwartz.png

Abb. 5: Gedenktafel an Phillip Schwartz, Eigenfotografie, 2022

Abb. 6: Gedenktafel für Theodor Billroth, angebracht Aug. 1988, Baugeschichtliches Archiv, Creative commons BS SA 4.0, fotografiert vom Kantonalem Hochbauamt Zürich