INTERVIEW MIT JEWGENIA KULAKOVA,

Mitarbeiterin des Memorials in St. Petersburg und einer der Organisator*innen der Solowki-Reise und der Sandarmoch-Tage

Was ist Memorial?

Eine der ältesten NGOs in Russland, gegründet noch 1988. Ausser dem Hochhalten der Erinnerungskultur an GULAG-Verbrechen (Errichten von Denkmälern und Gedenktafeln, Archivieren und Freischalten der KGB-„Nachlässe“ und Familienarchive von Verfolgten, Forschungsbeistand, Informieren über die GULAG-Geschichte) gibt es noch zwei Stränge: soziale Funktion – darunter Rehabilitierung und Unterstützung der ehemaligen Lagerinsass*innen und ihrer Familien – und menschenrechtlicher Aktivismus – juristische und aktivistische Hilfe den politisch Verfolgten.

Was haben die Solovki+Sandarmoch-Tage an sich?

Reise auf Solowki wurde in diesem Jahr schon zum 31. mal gemacht. Zunächst fuhren wir im Juni, nachher – als das Gruppenbegräbnis auf Sandarmoch von Jurij Dmitrijew und Irina Fliege entdeckt wurde, verschoben sich die Memorial-Tage und die Reise startet nun ab dem 5.08 – am Tag des Anfangs des großen Terrors – von Sandarmoch aus und führt weiter auf die Solowki. Das ist ein exklusives Angebot – nur hier erfährt man und vertieft man sich in die GULAG-Geschichte auf der Solowjetski-Insel. Anfangs nahmen die ehemalig Inhaftierten und ihre Kinder daran teil. Momentan sind die meisten schon verstorben und es wird sie immer weniger. Aber die Chance ergriffen Menschen, die sich für diese dunkle Geschichte interessieren, die dazu forschen oder sich damit auf privater oder beruflicher Ebene auseinandersetzen.

Was ist nun mit dem politischen Klima: Wird Memorial in dieser Initiative unterstützt oder stößt man auf Hürden?

Früher war die Unterstützung und die Teilhabe der verwaltenden und regierenden Organisationen Kareliens groß. Die Tendenz hat aber ab 2016 eine Gegenrichtung eingenommen. Immer weniger bis keine Präsenz der Menschen aus Verwaltung, seichtes Widersetzen gegenüber der Memorial-Initiative vonseiten der Kloster- und Verwaltungsleitung. Die Konferenz-Räume für unsere Reisegruppe werden verweigert, die Themen der Lagergeschichte tauchen im touristischen Angebot auf Solowki nicht auf. Dagegen veranstalten die historischen und Klosterorganisationen auf der Insel – im Juni wie früher die Memorial-Tage – eine Konferenz, die sich thematisch quasi auf die Lagergeschichte bezieht, aber kaum so eine Bedeutung und Resonanz erreicht wie die Gruppenreisen des Memorials. Für die Verwaltungsorganisationen war es aber der Grund genug, uns klar zu machen, dass ja bitte – es gebe doch schon ein Format der Erinnerungstage, was wolltet ihr bitte noch hier im August mit euren Reiseleuten. So die Tendenz.

Aber die Solowki+Sandarmoch-Tage werden doch von Medien nicht vernachlässigt oder?

Ja, es gibt immer gute Reportagen und seit einigen Jahren haben wir in die Solowki-Tage eine Blogger-Schule integriert, wo die Blogger*innen russlandweit eingeladen werden, sich mit Themen wie GULAG-Tourismus auseinanderzusetzen. Manche machen dann auch Features. Auch wir sammeln die medialen Berichte in unserem Memorial-Archiv, alles kann man auch auf fb nachlesen (z.B. 2016: https://www.facebook.com/events/236822946697984/?active_tab=discussion und aktuelles: https://www.facebook.com/events/335090167404339/)

Und sag noch kurz, wo kann man sich wegen dem Gerichtsverfahren um Jurij Dmitrijew informieren? Er wurde doch 2016 inhaftiert. Wo kommt man auf zuverlässige Informationen?

Am besten guckt euch vor allem diese zwei Seiten: die Zeitschrift 7×7 Horizontales Russland(gorisontalnaja Rossia) – sie hat einen Extradossier da auf dem Homepage erstellt, heißt Dmitrijew-Fall, und zweitens gibt es eine fb-Gruppe mit dem gleichen Namen.

https://7×7-journal.ru/tags/delo-dmitrieva

https://www.facebook.com/groups/delo.dmitrieva/

Danke fürs Interview!

durchgeführt am 25.08.2019 von Olessja Bessmeltseva, Saint Petersburg State University

 

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