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Weinende Männer in der Sitcom «Friends». Eine Analyse anhand des Konzepts der Hegemonialen Männlichkeit nach Connell

Bachelorarbeit von Anina Fritz

Friends gilt als eine populäre Kultserie aus den 1990er Jahren und wird bis heute international rezipiert. Im Rahmen der vorliegenden Bachelorarbeit wird untersucht, wie weinende Männer in der Serie dargestellt werden und inwiefern dies deren Männlichkeit tangiert. Das Konzept der Hegemonialen Männlichkeit nach Connell, vornehmlich die darin diskutierten Positionen der Dominanz und Unterordnung, dient als hauptsächlicher Referenzpunkt der Analyse. Das Weinen von Männern wird in der Serie sowohl im heterosozialen als auch im homosozialen Kontext verhandelt. Auf beide Aspekte wird mittels codierter Dialogprotokolle von Schlüsselepisoden eingegangen. Dabei wird der Fokus besonders auf die Beziehungsebene gerichtet, da die Figuren je nach Verhältnis und Situation unterschiedlich aufeinander reagieren sowie miteinander agieren. Zuschreibungen fester männlicher Kategorien stehen bei dieser Arbeit nicht im Vordergrund. Vielmehr geht es um die Dynamik zwischen den einzelnen Figuren, die es ermöglicht, die Beziehungsgeflechte zu analysieren, die je nach beteiligten Akteur*innen unterschiedlich von der Dynamik um Dominanz und Unterordnung geprägt sind. Die hetero- sowie die homosoziale Ebene wirken dabei auf die Geschlechtervorstellungen, und insbesondere auf die Erwartungen an die Männlichkeit ein. Eine ständige Ambivalenz wird sichtbar, in der sich Männer bewegen, da sie einerseits ihre eigenen Erwartungen an ihre Männlichkeit zu erfüllen haben, und andererseits die teils widersprüchlichen Erwartungen anderer, sei es in der homosozialen oder der heterosozialen Auseinandersetzung.

Weinender Paul in Rachels Armen. In: Friends, S06;E23, [06:22]. In: Netflix (zuletzt abgerufen am 19.05.2023).

Weinender Sandy. In: Friends, S09;E06, [12:36]. In: Netflix (zuletzt abgerufen am 19.05.2023).

AfrikaBilder von Schweizer Jugendlichen. Am Beispiel einer Schwyzer Oberstufenschule.

Anina Widrig

Abb. 1: Poster mit Begriffen der Schüler*innen aus der Free-Listing Aufgabe zum Begriff ‚Afrika‘.

Zu Inhalt, Zweck und Ziel
Diese Bachelorarbeit thematisiert AfrikaBilder in deutschsprachigen Gesellschaften, Medien und insbesondere von Jugendlichen. Mit AfrikaBilder sind dabei Vorstellungen, Wahrnehmungen und mentale Konstrukte zu Afrika gemeint. Die Motivation für diese Arbeit war dabei, einen Beitrag an die Dekonstruktion von AfrikaBildern in unserer Gesellschaft zu leisten. Das Ziel für die Bachelorarbeit war deswegen herauszufinden, welche AfrikaBilder Schweizer Jugendliche äussern und wie sie dies tun.

Zum Vorgehen
Es wurden exemplarisch an einer Schwyzer Oberstufenschule mit sieben Jugendlichen Leitfadeninterviews und Free-Listing-Aufgaben über Afrika durchgeführt, welche anschliessend in einem eigen konzipierten Verfahren mit Rückgriff auf Elemente der Narrationsanalyse kodiert und kategorisiert wurden. Die Ergebnisse der Interviewanalyse wurden schliesslich einem deduktiven Ansatz folgend mit Ergebnissen aus der bestehenden Forschung abgeglichen, welche zuvor mittels einer Literaturanalyse erschlossen worden waren.

Zu den Ergebnissen
Folgende Hypothesen zu möglichen AfrikaBildern der Schwyzer Schüler*innen wurden basierend auf die Literaturanalyse formuliert:

  • Hypothese 1: Die befragten Jugendlichen schildern simplifizierte und undifferenzierte AfrikaBilder.
  • Hypothese 2: Die befragten Jugendlichen weisen bei der Schilderung von AfrikaBildern eine Mangel- beziehungsweise Defizitorientierung auf und skizzieren demnach AfrikaBilder, die von Negativismus geprägt sind.
  • Hypothese 3: Aus den AfrikaBildern der befragten Jugendlichen lässt sich ein Überlegenheitsgefühl gegenüber Afrikaner*innen herauslesen; die AfrikaBilder dienen den Jugendlichen gleichzeitig zur positiven Konstruktion des Selbst.
  • Hypothese 4: Die AfrikaBilder der Jugendlichen wurden aus eurozentristischen Perspektiven verfasst.
  • Hypothese 5: Afrikaner*innen und Afrika als Kontinent werden von den befragten Jugendlichen als fremd und exotisch charakterisiert und von Europäer*innen und Europa abgegrenzt.
  • Hypothese 6: Modernität beziehungsweise Gegenwartsbezüge kommen in den AfrikaBildern der befragten Jugendlichen nicht vor.
  • Hypothese 7: Die befragten Jugendlichen schildern AfrikaBilder, bei denen Aspekte der Lebensweisen in Afrika romantisiert werden.


Einschub: Beispielhafte Analyse von zwei Interviewausschnitten

«B5: Ja, ich nehme es an, es wird dort nicht so viel Klassenräume haben, sondern einfach ein einfaches Haus. Eine Klasse oder zwei, drei Klassen, und dann wird dort einfach so ein wenig, das Wichtigste unterrichtet, das man halt wissen muss. Wahrscheinlich ein bisschen anders als bei uns, noch irgendwie, ein wenig Überlebenssituationen oder Sachen, über die wir gar nicht mehr studieren müssen.
I: Mmh. Also was kannst du dir vorstellen, was wir nicht darüber studieren müssen und sie schon?
B5: Ja, vielleicht irgendwie. Wie verhalte ich mich, wenn ich irgendwie von einem wilden Tier angegriffen werde oder so, was wir ja da nicht so haben (lacht).»
(Ausschnitt aus dem Interview 5, 19.04.2023, Zeilen 664-671)

Inhalte: einfach > Abwertung der afrikanischen Lebensweise // noch > B5 erwartet für Afrika eine gleiche Entwicklung wie für die Schweiz // wir gar nicht mehr > Abgrenzung zur Schweiz // Überlebenssituationen > Afrika als Krisenkontinent // wilden Tier > Afrika Stereotyp
Formen: Annahmen, Beurteilung, Vergleiche



«B7: Ich finde es einfach so wichtig mal zu wissen im Vergleich wie wir leben. Und manchmal beschweren wir uns so. Und dann denke ich mir im Nachhinein ‘Ich beschwere mich wegen einer schlechten Note, aber ich weiss nicht mehr, wie sie es dort haben’. So.
I: Mhm. Also es hilft dir jeweils. Dieser Vergleich hilft dir jeweils, dass du lernst zu wertschätzen, das was du hast. Also, dass es uns besser geht?
B7: Ja. Und mein Vater spricht auch viel darüber ‘Wir sind in der Schweiz’. Und die Schweiz ist sicher eigentlich. Und du siehst, was wir alles da haben. Auch wenn wir jetzt nicht das grösste Haus haben. Wir haben trotzdem so eine Wohnung, in der wir wohnen können. Und wir leben nicht auf der Strasse oder so.»
(Ausschnitt aus Interview 7, 26.04.2023, Zeilen 1266-1273)

Inhalte: aber ich weiss nicht mehr, wie sie es dort haben > Abwertung der afrikanischen Lebensverhältnisse // Ja > Vergleich mit Afrika dient der Aufwertung vom Leben in der Schweiz // Vater > Wissensquelle
Formen: Vergleiche


Fazit
Beim Abgleich der Ergebnisse aus der Interviewanalyse mit den Hypothesen zeigte sich, dass die AfrikaBilder der befragten Jugendlichen in unterschiedlichen Graden durch Rückgriff auf Stereotypen simplifiziert, undifferenziert, pessimistisch, eurozentristisch, abgrenzend und damit teilweise von kolonialistischen Denkweisen geprägt sind.
Es stellte sich also heraus, dass die AfrikaBilder der befragten Jugendlichen viele Übereinstimmungen mit den Bildern aus der allgemeinen Gesellschaft und den Medien aufweisen. Dadurch bestätigt sich, dass AfrikaBilder in deutschsprachigen Gesellschaften statisch scheinen. So wurden von den hier befragten Schweizer Jugendlichen ähnliche Aussagen gemacht wie von deutschen Jugendlichen in einer Befragung vor fünfundzwanzig Jahren.

Zur Relevanz
Die Ergebnisse dieser Bachelorarbeit sind insofern relevant, als sie einen Handlungsbedarf im Umgang mit problematischen AfrikaBildern aufzeigen. Die Forschung zu AfrikaBildern war in der Vergangenheit stark auf den Inhalt der AfrikaBildern ausgerichtet. Nun ist es an der Zeit, Methoden zur Bekämpfung von problematischen AfrikaBildern zu erforschen und anzuwenden, sei es in der Gesellschaft, den Medien oder Schulen.

Quellenverzeichnis:
Interview 5, 19.04.2023. (Der Verfasserin transkribiert vorliegend)
Interview 7, 26.04.2023. (Der Verfasserin transkribiert vorliegend)

Abbildungsverzeichnis:
Abb. 1: Poster, erstellt von A.W. am 07.06.2023.

Von Menschen, Natur und Waffen

Analyse von Motiven und Charakterrollen in drei ausgewählten dystopischen Studio Ghibli Filmen

Von Melissa Fricke

Poster der untersuchten Filme

In meiner Bachelorarbeit habe ich die drei dystopischen Studio Ghibli Filme «Nausicaä aus dem Tal der Winde»[1], «Das Schloss im Himmel»[2] und «Prinzessin Mononoke»[3] hinsichtlich der Fragestellung untersucht, ob sich gemeinsame Motive finden lassen und welche Rollen die jugendlichen Protagonist*innen einnehmen. Um dieser Frage nachzugehen, wurde mit zwei verschiedenen Analysen gearbeitet: Zum einen wurden Schlüsselszenen definiert, welche für die Definition der Motive genutzt wurden. Zum anderen wurden die einzelnen Protagonist:innen genauer untersucht hinsichtlich ihrer Charaktereigenschaften. Diese zweite Analyse wurde zusammen mit den gefundenen Motiven genutzt, um den zweiten Teil der Fragestellung zu beantworten.

Gemeinsame Motive

Die drei Filme weisen sechs gemeinsame Motive auf, wobei vier davon als Hauptmotive und zwei als Nebenmotive definiert wurden, da sie nur am Rande der Handlung zu finden waren und nicht in allen Filmen gleich präsent waren. In diesem Blog werden nur die Hauptmotive vorgestellt. Es ist zu erwähnen, dass die jeweiligen Motive nicht immer gleich stark sind in allen Filmen, da die Inhalte der Filme sich stark unterscheiden.

Natur und Mensch oder Natur gegen Mensch

In allen drei Filmen wird die Beziehung zwischen Natur und Mensch dargestellt. Es lassen sich zwei Arten der Beziehung zwischen Natur und Menschen definieren: Zum einen haben wir die gewalttätige und sich wehrende Natur, die gegen die Menschen vorgeht und zum anderen haben wir eine harmonische und reinigende Natur, die den Menschen versucht zu helfen. In „Nausicaä aus dem Tal der Winde“ und „Prinzessin Mononoke“ findet man erstere und in „Das Schloss im Himmel“ zweitere. Die „böse“ Natur wird in Form von Insekten und dem Meer der Fäulnis oder wildgewordene Waldtiere dargestellt. In „Das Schloss im Himmel“ wird eine paradiesische und wilde Natur gezeigt, welche die Insel Laputa übernommen hat. Dieses Paradies ist aber auch in den zwei anderen Filmen zu finden, wobei aber nur die Protagonist:innen fähig sind, beides zu sehen. Alle anderen Menschen sehen nur das Schlechte und wollen dementsprechend gegen die Natur vorgehen.

Krieg, Waffen und Frieden

In allen drei Filmen ist Gewalt in Form von Krieg und Waffen allgegenwärtig. Dieses Motiv hat einen starken Zusammenhang zum vorherigen, da Krieg und Waffen Teil der Auseinandersetzung zwischen Natur und Mensch sind. In „Nausicaä aus dem Tal der Winde“ und in „Das Schloss im Himmel“ sieht man zusätzlich noch die Gewalt unter den Menschen selbst. Die dargestellten Waffen sind dabei sehr unterschiedlich: Sie reichen von Pfeil und Bogen bis hin zu Kampfrobotern.

Ganz im Gegensatz zu den gewalttätigen Handlungen der Filme stehen die Enden. Jeder Film endet mit einem relativ guten «Happy End». Die Konflikte werden am Schluss gelöst auf eine mehr oder weniger gute Art und Weise. Speziell zu erwähnen ist, dass die Protagonistinnen meist die leitenden Personen für diese friedlichen Ausgänge sind.

Liebe und Beziehungen

In den Filmen findet man jeweils ein Protagonisten-Paar, welches aus einem weiblichen und einem männlichen Charakter besteht. Zwischen diesen Paaren kommt es in wenigen Szenen zu Momenten, in welchen eine Dynamik entsteht, die Hinweise auf eine intimere Beziehung geben. Dabei muss man zwischen zwei Arten von Dynamiken unterscheiden: Zum einen helfen die Charaktere sich gegenseitig, indem sie sich füreinander einsetzen, damit die jeweils andere Person keinen Schaden nimmt. Zum anderen sind es eher intimere Momente, in welchen die Charaktere allein sind und daher frei miteinander reden können. Im Falle der ersteren Momente ist auffällig, dass meist die weiblichen Charaktere aktiv die männlichen Charaktere verteidigen oder beschützen.

Geschlechterrollen

Das Thema der Geschlechterrollen in den Filmen ist stark verknüpft mit den Beziehungen zwischen den Charakteren, da sich aus diesen Beziehungen Dynamiken erkennen lassen in Bezug auf das Geschlecht der Charaktere. Sowohl Nausicaä als auch San kann man als starke Heldinnen in ihren jeweiligen Filmen sehen. Beide handeln schon von Beginn des Filmes an selbständig und können sich, um ihre Ansichten zu vertreten, auch aktiv gegen ihren männlichen Gegenpart stellen. Die Protagonisten im Film nehmen keine solche starke Rolle ein wie die Protagonistinnen. Sie scheinen viel mehr eine unterstützende Funktion zu haben, damit die Protagonistinnen ihre Ziele erreichen können.

Zur Rolle der Protagonisten und Protagonistinnen

v.l.n.r.: Nausicaä und Asbel, Sheeta und Pazu, Ashitaka und San

Die Motive «Natur und Mensch oder Natur gegen Mensch» und «Krieg, Waffen und Frieden» sind Teil der Rahmenhandlung der Filme und daher haben die Protagonist:innen nicht unbedingt eine tragende Rolle bei der Erstellung der Konflikte. Sie haben jedoch einen Einfluss auf die Aushandlung der Motive.

Speziell das Motiv «Geschlechterrollen» wird von den Protagonist:innen getragen, da sie das Bild prägen, welches Dargestellt wird: «[…] Miyazaki’s films simultaneously deal in imaginative ways with gender and sexual relations, depicting intriguingly ambivalent characters that frequently transcend stereotypical notions of femininity and masculinity.»[4] Wenn man nun bedenkt, dass die Filme in den 80er und 90er Jahren produziert wurde, scheint diese Präsentation von Geschlechterrollen sehr futuristisch, da die Zeit der starken Frauen und der alternativen Frauenbilder erst spät in Filmen zu finden war.[5]

Kinder und Jugendliche, welche sich die Filme ansehen, sollen dazu angeregt werden, nicht immer alles als Gut oder Böse zu sehen, sondern die Perspektive der verschiedenen Charaktere einzunehmen und zu erkennen, welche Gründe sie haben, um so zu handeln, wie sie es tun. Hierzu eignen sich vor allem die kindlichen und jugendlichen Protagonist:innen, da es so einfacher ist für junge Zuschauer, sich in die Person zu versetzten, da sie es mit Menschen zu tun haben, welche in ihrem Alter sind und daher auch näher zu sein scheinen als Erwachsene. Dementsprechend spielen sie auch eine wichtige Rolle in der Darstellung der Motive, was die zu Beginn des Kapitels wiederholte Fragestellung beantwortet. Ohne die Protagonist:innen würden die Motive nur halb so gut bei den jungen Zuschauenden ankommen und die damit einhergehenden Probleme wären schwerer zu erkennen und zu verstehen.


Literaturverzeichnis

[1] Nausicaä aus dem Tal der Winde (jap.: 風の谷のナウシカ Kaze no Tani no Naushika). Japan 1984, Hayao Miyazaki (Netflix: Studio Ghibli).Auf
[2] Das Schloss im Himmel (jap.: 天空の城ラピュタ Tenkū no Shiro Rapyuta). Japan 1986, Hayao Miyazaki (Netflix: Studio Ghibli).
[3] Prinzessin Mononoke (jap.: もののけ姫 Mononoke-hime). Japan 1997, Hayao Miyazaki (Netflix: Studio Ghibli).
[4] Cavallaro, Dani: The Animé Art of Hayao Miyazaki. USA: McFarland & Company, 2006.
[5] Lenzhofer, Karin: Chicks Rule! Die schönen neuen Heldinnen in US-amerikanischen Fernsehserien. Bielefeld: transcript Verlag, 2006.

Abbildungsverzeichnis

  • Prinzessin Mononoke Filmposter: https://www.filmposter-archiv.de/filmplakat.php?id=1090
  • Nausicaä aus dem Tal der Winde Poster: https://www.filmstarts.de/kritiken/40132/bilder/?cmediafile=1000000092
  • Das Schloss im Himmel Poster: https://www.filmposter-archiv.de/filmplakat.php?id=6667
  • Nausicaä und Asbel: https://www.deviantart.com/sango1994/art/Nausicaa-and-Asbel-880179928
  • Sheeta und Pazu: https://www.brightwalldarkroom.com/2017/03/13/the-nuclear-resonance-of-castle-in-the-sky/
  • San und Ashitaka: https://dotandline.net/princess-mononoke-quote-hayao-miyazaki-1d68ffdd5a2a/

„Könnte mich auch bei Ihnen vorstellen.“

Eine Untersuchung von Bewerbungsschreiben um eine besondere Stelle im Jahr 1940.

Vera Bruggmann

In meiner Bachelorarbeit habe ich die 29 Bewerbungsschreiben aus dem Jahr 1940 der Scharfrichterkandidaten im Fall Hans Vollenweider untersucht. Ziel der Arbeit war die Konzeptualisierung einer für den untersuchten Quellenkorpus geltenden Bewerbungstheorie. Die Bewerbungsschreiben befinden sich im Staatsarchiv Obwalden unter der Signatur [StAO]: D.03.0083.02.

Die Verfasser der 29 Bewerbungsschreiben sind alle männlich und bilden eine sehr heterogene Gruppe hinsichtlich Alter, Beruf und Wohnort. Die Bewerbungsschreiben weisen in Bezug auf Form, Sprache und Inhalt implizite Muster auf. Diese legen nahe, dass die Bewerber ein kollektives Wissen über das Verfassen von Briefen bzw. Bewerbungen haben mussten. Da die Bewerber dieses Wissen individuell anwenden, sind die Bewerbungsschreiben gleichzeitig ähnlich und unähnlich. Weiter zeigt die Arbeit auf, dass bereits 1940 dezidierte Normen existieren, wie eine Bewerbung formell, sprachlich und inhaltlich aufgebaut ist. Teilweise werden diese Normen von den Scharfrichterkandidaten in ihren Bewerbungsschreiben umgesetzt. In Bezug auf den Inhalt verlangen diese Bewerbungsnormen die Formulierung eines Bewerbungsgrundes. Diese inhaltliche Norm wird in den Bewerbungsschreiben der Scharfrichterkandidaten nur bedingt implementiert. Die in den Schreiben angegebenen Gründe können in zwei Metakategorien eingeteilt werden. Die Bewerbungen aus wirtschaftlichen Gründen sind dabei hauptsächlich durch eine finanzielle Entschädigung motiviert. Bei der emotional motivierten Bewerbung wird die Tätigkeit des Scharfrichters als sinnstiftende Aufgabe verstanden. 

Bewerbungsschreiben – Normen – Wissen – Bewerbungsgrund

Entstehung der Stelle

DOK-Kriminalfälle thematisiert in der Episode vom 30. Juli 2007 den Fall Vollenweider. Ein Klick auf das Bild führt direkt ins Archiv von SRF-Play.

Drei Bewerbungsschreiben

Abbildung 1 [StAO]: D.03.0083.02: Bewerbung von E.W. aus S. vom 22.09.1940.

Im Bewerbungsschreiben von E.W. aus S. vom 22.09.1940 werden diese Normen teilweise sichtbar. Es finden sich die bewerbungstypischen Standardangaben und Formulierungen. Zum Beispiel ist der Ort und das Datum angegeben, eine Empfängeranschrift ist ersichtlich und es wurde die Anrede „Sehr geehrte Herren! angefügt. Jedoch ist das sprachlich korrekte Schreiben inhaltlich stark reduziert. E.W. belässt es bei einer schlichten Meldung, ohne spezifische Gründe anzuführen, weshalb er die Stelle als Scharfrichter antreten möchte.

Abbildung 2 [StAO]: D.03.0083.02: Bewerbung von E.G. aus S. vom 14.10.1940.

Der Bewerber E.G. aus S. setzt in seiner Bewerbung vom 14.10.1940 die Bewerbungsnormen hinsichtlich der Form, Sprache und Inhalt idealtypisch um. Er nimmt Bezug auf die Stelle als Scharfrichter in Sarnen, erläutert seine aktuelle Situation und fügt seinen Bewerbungsgrund an: er ist arbeitslos und benötigt eine Arbeitsstelle.

Abbildung 5 [StAO]: D.03.0083.02: Bewerbung von A.W. aus Z. vom 16.10.1940.

Das Bewerbungsschreiben von A.W. vom 16.10.1940 entspricht grösstenteils den gängigen Bewerbungsnormen. Dabei erklärt er gleich zu Beginn, dass er bereits konkrete Erfahrung als Scharfrichter vorweisen kann: er habe bereits die Hinrichtung von Paul Irniger 1939 durchgeführt. A.W. lässt diese Aussage für sich sprechen und verzichtet auf weitere Ausführungen diesbezüglich. Seine Bewerbung ist emotional motiviert – er möchte mit der Hinrichtung das Recht in die eigene Hand nehmen. Der Tod ist für ihn die adäquate Strafe für die Verbrechen des Vollenweiders.

Die Absage

Wer im Fall Vollenweider die Stellenzusage erhielt, ist nicht bekannt. Den archivierten Bewerbungsschreiben ist eine Absage vorangestellt. Wie es scheint, hat keiner der Bewerber den Zuschlag für die Stelle bekommen.

[StAO]: D.03.0083.02: Absage von Justizdirektion Obwalden vom 19.10.1940.

Quellenverzeichnis

[StAO]: D.03.0083.02: Absage von Justizdirektion Obwalden vom 19.10.1940.
[StAO]: D.03.0083.02: Bewerbung von A.W. aus Z. vom 16.10.1940.
[StAO]: D.03.0083.02: Bewerbung von E.W. aus S. vom 22.09.1940.
[StAO]: D.03.0083.02: Bewerbung von E.G. aus S. vom 14.10.1940 .
Wohlwend, Max: Kaufmännischer Briefstil. 3. Aufl. Zürich: Verlag des Schweizerischen Kaufmännischen Vereins, 1942.

Literaturverzeichnis

Amos, Sigrid Karin: Standardisierung und Beschleunigung: Zur Beziehung von spätmodernen Gesellschafts- und Subjektverhältnissen. In: Assmann, Heinz-Dieter; Baasner, Frank; Wertheimer, Jürgen (Hg.): Normen, Standards, Werte – was die Welt zusammenhält. Baden-Baden: Nomos Verlag, 2012, S. 35-49.
Luks, Timo: In eigener Sache. Eine Kulturgeschichte der Bewerbung. Hamburg: Hamburger Edition HIS Verlagsges. mbH, 2022.
Miloš, Vec: Alle Weltworte streben nach Standardisierung. Vereinheitlichung und Vereinheitlichungskritik in historischer Perspektive. In: Assmann, Heinz-Dieter; Baasner, Frank; Wertheimer, Jürgen (Hg.): Normen, Standards, Werte – was die Welt zusammenhält. Baden-Baden: Nomos Verlag, 2012, S. 11- 33.
Suter, Stefan: Guillotine oder Zuchthaus? Die Abschaffung der Todesstrafe in der Schweiz. Basel: Helbing & Lichterhahn Verlag AG, 1997.

Medienverzeichnis

DOK-Kriminalfälle: Hans Vollenweider – Die letzte Hinrichtung in der Schweiz. In: SRF-Play, Version vom 30.07.2007. URL: https://www.srf.ch/play/tv/redirect/detail/1a5f0378-543d-4b6e-91ba-552052e1a145 [abgerufen am: 2.06.2023]