Video-Teaser | Visual Anthroplogy | Dringlichkeit

Oder: Ein Methodenvorschlag für die Kulturwissenschaft

Bachelorarbeit von Arthur Sobrinho

Empirische Kulturwissenschaft, wie ich sie kenne, steht in regem Austausch mit dem Alltäglichen, dem Populären, dem Gelesenen, sowie dem Gesprochenen, dem Gelebten, dem Erlebten. Die Geisteswissenschaften, so scheint es mir, sind stets etwas träge in der Aufbereitung aktueller und relevanter Themen. Obschon der Begriff Relevanz in geisteswissenschaftlichen Publikationen eine zentrale Rolle spielt, nimmt Kulturwissenschaft eine etwas andere Perspektive ein, sie hat einen expliziten Gegenwartsbezug.

«Culture is lived experience: the texts, practices and meanings of all people as they conduct their lives»[1]

Dabei entstehen Texte mit und in verschiedenen Lebenswelten. Diese nischigen Blickwinkel laden charismatisch zum Perspektivenwechsel ein. Viele dieser Texte schaffen es aber nicht aus akademischen Dunstkreisen hinaus, obwohl sie leserlich und ansprechend wären. Ich behaupte, dass kulturwissenschaftliche Texte an Lebenswelten vorbei schreiben – nicht inhaltlich, sondern formal. Ich wende Intertextualität nicht nur auf das geschriebene Wort an, sondern auch auf Bilder, Bewegtbilder, Gesprochenes, Gelebtes. Meine Bachelorarbeit soll ein Angebot zur intermedialen Erweiterung kulturwissenschaftlicher Methoden sein. 

Mein ursprüngliches Forschungsinteresse galt der Frage, wie sich Kulturwissenschaft aus einer kommentierenden Rolle heraus, eher zu einer mitgestaltenden Rolle hin entwickeln könnte. Während eines Jahres entwickelte ich unter dem Arbeitstitel «Stigma» eine Eventserie, die experimentell und erörternd in den Diskurs eingreifen sollte. 40 Kompliz*innen aus Kunst und Forschung sollten einbezogen werden, um kollaborativ und interdependent produktive Perspektiven zu erarbeiten. Im Laufe des Prozesses wurde mir jedoch klar, dass ein solches Projekt den Rahmen einer Bachelorarbeit sprengen würde.

Es wurden einige Anpassungen vorgenommen, um das Konzept zu schärfen. Die vierwöchige Veranstaltungsreihe wurde zunächst auf eine Woche gekürzt, um dann vom multimedialen Ansatz wegzukommen und sich auf ein einziges Medium zu konzentrieren – das Video. Dabei folgte die Forschungsfrage: 

Inwiefern kann der Video-Teaser als kulturwissenschaftliche Recherchemethode die aktive Teilnahme der Populären Kulturen am öffentlichen Diskurs mitgestalten?

Der Video-Teaser entstand im Prozess zu Überlegungen dieses Methodenvorschlags. Er soll den Prozess, der rund um Fragen von Stigmatisierungen, kulturwissenschaftlichen Methoden und Relevanz kreiste, reflektieren.

Ich möchte hier meine Auseinandersetzung mit dem Begriff Relevanz vertiefen, denn er scheint für meine Forschung hinderlich. Der Begriff der Dringlichkeit scheint mir weitaus produktiver, sollte doch nicht nur Relevantes Gegenstand der Forschung sein – das sich oft genug mit Trends verschränkt. Ich finde es weitaus interessanter, bestehende Tendenzen und Problematiken in den Fokus zu nehmen; also Dringliches.

Relevanz und Dringlichkeit überschneiden sich in vielem. Nur stellt sich bei der Relevanz die Frage, für wen die jeweilige Forschung relevant ist. Hier unterläuft die Forderung nach Relevanz Gefahr, nach extrinsischen Motivatoren zu funktionieren. Dringlichkeit bietet eine weniger trendorientierte und kanonisierte Perspektive. Dringliches ist allgegenwärtig, meist unerschöpflich und alltäglich. Es sind die materiellen Bedingungen, wie sie mir bei meinen Recherchen zu Sexarbeit und Uber Services begegnet sind. Es sind aber auch die symbolischen Bedingungen, mit denen diese und weitere Felder behaftet sind. Dringlichkeit steht hinter jeder sozioökonomischen Darstellung, ist mit jedem hegemonialen Social-Media-Post verknüpft und formiert sich in jedem monolithischen Gremium.


[1] Barker, Chris: Cultural Studies. Theory and Practice, London etc. 2000, S.40f. zitiert nach: Lindner, Rolf: Konjunktur und Krise des Kulturkonzepts. In: Musner, Lutz/Gotthardt Wunberg (Hrsg.): Kulturwissenschaften. Forschung. Praxis. Positionen. Freiburg (2003), S.75-95, hier: 79. In: Musner, Lutz/Gotthardt Wunberg (Hrsg.): Kulturwissenschaften. Forschung. Praxis. Positionen. Freiburg: N.N., S. 75-95.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert