Weibliche Körperbehaarung als queere Praxis

Sichtbarmachung der normativen Körperhaarentfernung

Muriel Progin

Das Entfernen der Körperbehaarung ist ein wesentlicher Bestandteil im Alltag vieler Frauen* im westeuropäischen Kontext – sei es die Frage nach der Haarentfernungsmethode oder das Planen und Integrieren der Praxis ins alltägliche Handeln. Gerade durch diese Selbstverständlichkeit bleibt diese normierte Praxis oft unsichtbar, unausgesprochen und unhinterfragt.

Abb. 1: Behaarter Bauch und Intimbereich.

Das gängige Erscheinungsbild des weiblichen Körpers besteht in seiner Haarlosigkeit – wird eine Abweichung wie behaarte Achseln oder Beine sichtbar, kann dies für Aufmerksamkeit, irritierende Blicke oder gar Empörung sorgen. Weibliche Körperbehaarung verstehe ich als queere Praxis, da sie sich als Gegenbewegung zu normierten Vorstellungen offenbart, wie ein Frauen*körper auszusehen hat. Den nachfolgenden Analysen und Überlegungen liegt die Vorannahme zugrunde, dass Normen und damit verbundene queere Praxen einen wandelbaren Charakter aufweisen und nicht einfach existieren, sondern dass sie gemacht werden. Findet ein Queering durch behaarte Beine oder Achseln statt, wird die Abweichung der Norm und damit verbunden die Norm selbst sichtbar gemacht.

Gegenstand der Analysen: Die Aushandlung im Alltag

Wie die Praxis der weiblichen Körperbehaarung und der weiblichen Körperhaarentfernung von Frauen* im Alltag ausgehandelt wird, ist Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. Das empirische Material besteht aus drei leitfadengestützten Interviews mit Frauen, welche die Praxis der Körperbehaarung oder Körperhaarentfernung unterschiedlich handhaben. Als Analysewerkzeug und Theoriehintergrund für das empirische Quellenmaterial dient Stuart Halls Modell «Kodieren/Dekodieren». Dabei wird der weibliche Körper als Zeichenträger verstanden, der mit dem Kode «behaart» oder «unbehaart» ausgestattet ist. Ein Kode geht Verbindungen mit unterschiedlichen Konnotationen ein, welche von gesellschaftlichen Werten und Normen beeinflusst werden.

Abb. 2: Behaarte Beine.

Aus den Interviews wurde zum einen herausgearbeitet, welche Konnotationen die Interviewpartnerinnen mit der Praxis der weiblichen Körperbehaarung und der weiblichen Körperhaarentfernung verbinden. Zum anderen werden wechselseitige Einflüsse aus den Alltagshandlungen der Gesprächspartnerinnen auf die Konnotationen aufgezeigt wie das persönliche Umfeld, Erfahrungen in der sozialen Interaktion, die Beziehung zu heterosexuellen Cis-Männern oder der öffentlich-mediale Diskurs.

Abb. 3: Ungezupfte Augenbrauen.
Abb. 4: Unrasierte Achseln.

Selbstbestimmung und Selbstverantwortung

In einem zweiten Analyseteil geht es um das Selbst innerhalb der queeren Praxis. Die Dialektik zwischen Freiheit und gesellschaftlichen Machtstrukturen, welche in den Gesprächen mit dem Begriff der «Selbstbestimmung» angesprochen werden, wird mit Michel Foucaults Konzept der «Gouvernementalität» umschrieben. Im Thema der «Selbstverantwortung» in Bezug auf ein Queering taucht Ulrich Bröcklings Figur des «Unternehmerischen Selbst» auf, da «Selbstverantwortung» und «Selbstliebe» in den Gesprächen als eine zu erbringende Leistung des Subjekts auftaucht, damit ein Queering gelingen kann. Abschliessend werden Settings aus den Gesprächen beschrieben, welche ein Queering ermöglichen und aufgezeigt, welche Potentiale darin innewohnen.

Quellen

Bilder:

Abb. 1: Billie Body Brand: Behaarter Bauch und Intimbereich, 26.06.2018. URL: https://unsplash.com/de/fotos/Cn3s6bVVHNo (Abgerufen: 06.06.2023).

Abb. 2: Behaarte Beine. Aufnahme von Muriel Progin, Winterthur, 01.06.2023.

Abb. 3: Billie Body Brand: Ungezupfte Augenbrauen, 26.06.2018. URL: https://unsplash.com/de/fotos/HMwg-4LJKyo (Abgerufen: 06.06.2023).

Abb. 4: Billie Body Brand: Behaarte Achseln, 26.06.2018. URL: https://unsplash.com/de/fotos/WBEQdSTSsBA (Abgerufen: 06.06.2023).

Literaturhinweise:

Bröckling, Ulrich: Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2007.

Foucault, Michel: Analytik der Macht. Hg. von Daniel Defert und François Ewald unter Mitarbeit von Jacques Lagrange. 6. Auflage. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2015 (2005).

Hall, Stuart: Kodieren/Dekodieren. In: Roger Bromley, Udo Göttlich, Carsten Winter (Hg.): Cultural Studies. Grundlagentexte zur Einführung. Lüneburg: Klampen Verlag, 1999, 92–110.

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