„Könnte mich auch bei Ihnen vorstellen.“

Eine Untersuchung von Bewerbungsschreiben um eine besondere Stelle im Jahr 1940.

Vera Bruggmann

In meiner Bachelorarbeit habe ich die 29 Bewerbungsschreiben aus dem Jahr 1940 der Scharfrichterkandidaten im Fall Hans Vollenweider untersucht. Ziel der Arbeit war die Konzeptualisierung einer für den untersuchten Quellenkorpus geltenden Bewerbungstheorie. Die Bewerbungsschreiben befinden sich im Staatsarchiv Obwalden unter der Signatur [StAO]: D.03.0083.02.

Die Verfasser der 29 Bewerbungsschreiben sind alle männlich und bilden eine sehr heterogene Gruppe hinsichtlich Alter, Beruf und Wohnort. Die Bewerbungsschreiben weisen in Bezug auf Form, Sprache und Inhalt implizite Muster auf. Diese legen nahe, dass die Bewerber ein kollektives Wissen über das Verfassen von Briefen bzw. Bewerbungen haben mussten. Da die Bewerber dieses Wissen individuell anwenden, sind die Bewerbungsschreiben gleichzeitig ähnlich und unähnlich. Weiter zeigt die Arbeit auf, dass bereits 1940 dezidierte Normen existieren, wie eine Bewerbung formell, sprachlich und inhaltlich aufgebaut ist. Teilweise werden diese Normen von den Scharfrichterkandidaten in ihren Bewerbungsschreiben umgesetzt. In Bezug auf den Inhalt verlangen diese Bewerbungsnormen die Formulierung eines Bewerbungsgrundes. Diese inhaltliche Norm wird in den Bewerbungsschreiben der Scharfrichterkandidaten nur bedingt implementiert. Die in den Schreiben angegebenen Gründe können in zwei Metakategorien eingeteilt werden. Die Bewerbungen aus wirtschaftlichen Gründen sind dabei hauptsächlich durch eine finanzielle Entschädigung motiviert. Bei der emotional motivierten Bewerbung wird die Tätigkeit des Scharfrichters als sinnstiftende Aufgabe verstanden. 

Bewerbungsschreiben – Normen – Wissen – Bewerbungsgrund

Entstehung der Stelle

DOK-Kriminalfälle thematisiert in der Episode vom 30. Juli 2007 den Fall Vollenweider. Ein Klick auf das Bild führt direkt ins Archiv von SRF-Play.

Drei Bewerbungsschreiben

Abbildung 1 [StAO]: D.03.0083.02: Bewerbung von E.W. aus S. vom 22.09.1940.

Im Bewerbungsschreiben von E.W. aus S. vom 22.09.1940 werden diese Normen teilweise sichtbar. Es finden sich die bewerbungstypischen Standardangaben und Formulierungen. Zum Beispiel ist der Ort und das Datum angegeben, eine Empfängeranschrift ist ersichtlich und es wurde die Anrede „Sehr geehrte Herren! angefügt. Jedoch ist das sprachlich korrekte Schreiben inhaltlich stark reduziert. E.W. belässt es bei einer schlichten Meldung, ohne spezifische Gründe anzuführen, weshalb er die Stelle als Scharfrichter antreten möchte.

Abbildung 2 [StAO]: D.03.0083.02: Bewerbung von E.G. aus S. vom 14.10.1940.

Der Bewerber E.G. aus S. setzt in seiner Bewerbung vom 14.10.1940 die Bewerbungsnormen hinsichtlich der Form, Sprache und Inhalt idealtypisch um. Er nimmt Bezug auf die Stelle als Scharfrichter in Sarnen, erläutert seine aktuelle Situation und fügt seinen Bewerbungsgrund an: er ist arbeitslos und benötigt eine Arbeitsstelle.

Abbildung 5 [StAO]: D.03.0083.02: Bewerbung von A.W. aus Z. vom 16.10.1940.

Das Bewerbungsschreiben von A.W. vom 16.10.1940 entspricht grösstenteils den gängigen Bewerbungsnormen. Dabei erklärt er gleich zu Beginn, dass er bereits konkrete Erfahrung als Scharfrichter vorweisen kann: er habe bereits die Hinrichtung von Paul Irniger 1939 durchgeführt. A.W. lässt diese Aussage für sich sprechen und verzichtet auf weitere Ausführungen diesbezüglich. Seine Bewerbung ist emotional motiviert – er möchte mit der Hinrichtung das Recht in die eigene Hand nehmen. Der Tod ist für ihn die adäquate Strafe für die Verbrechen des Vollenweiders.

Die Absage

Wer im Fall Vollenweider die Stellenzusage erhielt, ist nicht bekannt. Den archivierten Bewerbungsschreiben ist eine Absage vorangestellt. Wie es scheint, hat keiner der Bewerber den Zuschlag für die Stelle bekommen.

[StAO]: D.03.0083.02: Absage von Justizdirektion Obwalden vom 19.10.1940.

Quellenverzeichnis

[StAO]: D.03.0083.02: Absage von Justizdirektion Obwalden vom 19.10.1940.
[StAO]: D.03.0083.02: Bewerbung von A.W. aus Z. vom 16.10.1940.
[StAO]: D.03.0083.02: Bewerbung von E.W. aus S. vom 22.09.1940.
[StAO]: D.03.0083.02: Bewerbung von E.G. aus S. vom 14.10.1940 .
Wohlwend, Max: Kaufmännischer Briefstil. 3. Aufl. Zürich: Verlag des Schweizerischen Kaufmännischen Vereins, 1942.

Literaturverzeichnis

Amos, Sigrid Karin: Standardisierung und Beschleunigung: Zur Beziehung von spätmodernen Gesellschafts- und Subjektverhältnissen. In: Assmann, Heinz-Dieter; Baasner, Frank; Wertheimer, Jürgen (Hg.): Normen, Standards, Werte – was die Welt zusammenhält. Baden-Baden: Nomos Verlag, 2012, S. 35-49.
Luks, Timo: In eigener Sache. Eine Kulturgeschichte der Bewerbung. Hamburg: Hamburger Edition HIS Verlagsges. mbH, 2022.
Miloš, Vec: Alle Weltworte streben nach Standardisierung. Vereinheitlichung und Vereinheitlichungskritik in historischer Perspektive. In: Assmann, Heinz-Dieter; Baasner, Frank; Wertheimer, Jürgen (Hg.): Normen, Standards, Werte – was die Welt zusammenhält. Baden-Baden: Nomos Verlag, 2012, S. 11- 33.
Suter, Stefan: Guillotine oder Zuchthaus? Die Abschaffung der Todesstrafe in der Schweiz. Basel: Helbing & Lichterhahn Verlag AG, 1997.

Medienverzeichnis

DOK-Kriminalfälle: Hans Vollenweider – Die letzte Hinrichtung in der Schweiz. In: SRF-Play, Version vom 30.07.2007. URL: https://www.srf.ch/play/tv/redirect/detail/1a5f0378-543d-4b6e-91ba-552052e1a145 [abgerufen am: 2.06.2023]

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