Die Kleine Hexe

Wie Otfried Preusslers Kleine Hexe als Ausgangspunkt eines positiv konnotierten Hexenbildes in der Kinder- & Jugendliteratur gelten kann

Florence Wittwer

Das Wort Hexe stammt vom althochdeutschen Begriff Hagazussa und bedeutet ein auf Hecken oder Zäunen sitzender, lauernder Geist. Nach Hildegard Gerlach ist damit ein Dämon gemeint, der aus dem dämonischen in den menschlichen Bereich einzudringen versuchte, indem er über den trennenden Zaun vom Wirkungsbereich der bösen Geister in Haus und Hof zu klettern versuchte. Marco Frenschkowski konstatiert, dass sich der Terminus Hexereye anfänglich in einem Prozesskontext eines Verfahrens gegen einen Mann im schweizerischen Luzern im Jahr 1419 findet. Der Begriff Hexe breitete sich im 15. Jahrhundert allmählich aus, setzte sich aber erst im 16. Jahrhundert im Zuge der verstärkten Hexenverfolgungen endgültig durch.

Das Bild einer bösen, übeltätigen Hexe existiert bereits seit der Antike. Sie galt als wilde Figur, die zauberte, den Toten nahe stand und der Giftmischerin sehr ähnlich war. Zur Zeit des Mittelalters wurde die Hexe als Schadenszauberin, Teufelsbraut und Ketzerin und somit als negative Figur betrachtet. Auch in der frühen Neuzeit war das Hexenbild mit den eindeutigen Merkmalen: Treffen mit dem Teufel, Hexenflug auf Stöcken, Pakt und Buhlschaft mit dem Teufel sowie Schadenszauber ebenfalls negativ konnotiert. Das Hexenbild der Antike bis zur frühen Neuzeit, insbesondere zur Zeit der Hexenverfolgungen vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, war folglich weithin negativ besetzt.

In meiner Bachelorarbeit befasste ich mich mit dem Wandel des Hexenbildes in der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur. Dabei stand die Analyse der Figur der Hexe im Buch Die kleine Hexe von Otfried Preussler sowie im gleichnamigen Film von Michael Schaerer im Zentrum. Ich orientierte mich an den Fragen, inwieweit die Figur der kleinen Hexe im Buch und im Film charakterisiert wird und ob Preusslers Buch als Ausgangspunkt eines positiv konnotierten Hexenbildes in der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur gelten kann. Dazu dienten zwei einführende Kapitel zu Beginn der Arbeit, welche sich mit der Historizität des Hexenbildes sowie dem Wandel des Hexenbildes in der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur befassten, sowie der Hauptteil, der aus einer Literatur- sowie einer Filmanalyse besteht. Die Analyse wurde anhand der drei Kategorien Merkmale und Charaktereigenschaften, Aussehen sowie Verhalten und Interaktion durchgeführt.

koloriertes Bild der kleinen Hexe aus dem Buch von Otfried Preussler.

Die Figur der Hexe spielte insbesondere in den deutschsprachigen Märchen eine bedeutende Rolle. Das vorherrschende Bild der Märchenhexe war eine alte hässliche Frau, die aus Bosheit, Hass und Neid handelte. Sowohl Lutz Röhrich als auch Gerlach charakterisierten sie als negatives Frauenstereotyp. Das Bild der Hexe erfuhr in der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur jedoch einen eindeutigen Wandel. In den 1950er Jahren fand im Zuge der Pädagogisierungsdebatte ein Umdenken statt, welches dazu führte, dass das Böse aus den Kinder- und Jugendbüchern verbannt wurde. Als Ausgangspunkt einer gutmütigen, sanften, charakterstarken und entwicklungsfähigen Hexenfigur kann Otfried Preusslers Kleine Hexe gelten. Tanja Lindauer spricht dabei gar von der Geburtsstunde der guten Hexe in Deutschland. Ab da wurde die Figur der Hexe in Kinder- und Jugendbüchern nicht mehr a priori negativ konnotiert und als beliebte, liebenswürdige Identifikationsfigur dargestellt.

Die Analyse der Figur der Hexe im Buch und im Film zeigte, dass die kleine Hexe im Gegensatz zu den grossen Hexen sowohl auf der Text- wie auch auf der Bildebene als vielschichtige Figur mit positiven Charaktereigenschaften dargestellt wird. Äusserlich entspricht die kleine Hexe mit ihrer farbenfrohen Kleidung und dem freundlichen Gesicht nicht dem Aussehen der grossen Hexen und somit dem stereotypen Bild einer bösen Hexe. Ihr zuvorkommendes und hilfsbereites Handeln zeigt ihre Gutmütigkeit und ihr Unverständnis für Ungerechtigkeit und Gemeinheiten. Sowohl im Buch als auch im Film erscheint die kleine Hexe als entwicklungsfähige Figur, die mit verschiedensten Gefühlen und Charakteristika, ihrem Aussehen und ihrem Handeln nicht mehr einem negativ konnotierten Bild einer bösen, übeltätigen Hexe entspricht, wie es im Märchen üblich war.

Quellen

Bild:

Abb.: Otfried Preussler: Die kleine Hexe. URL: https://www.preussler.de/media/kleine-hexe.png (Abrufdatum: 13.06.2023).

Literatur:

Frenschkowski, Marco: Die Hexen. Eine kulturgeschichtliche Analyse. 2. Aufl. Wiesbaden: Marixverlag, 2016 (2012).  

Gerlach, Hildegard: Mitten in einem Walde wohnte eine alte schlimme Hexe. Kulturgeschichtliche Anmerkungen zur Gestalt der Märchenhexe. In: Märchenspiegel 5/2 (1994), 13–14.

Lindauer, Tanja: But I thought that all witches were wicked. Hexen und Zauberer in der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur in England und Deutschland. Diss. Bonn/Marburg: Tectum Verlag, 2012 (2011).

Röhrich, Lutz: «und weil sie nicht gestorben sind». Anthropologie, Kulturgeschichte und Deutung von Märchen. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2002.