Mascha Kaleko

NOVEMBER IM SÜDEN

 

Im November reist „man“ nicht nach Askona. Seit ich hier bin, weiß ich auch warum. Die Nachsaison ist vorbei, die Vorsaison noch nicht da. Und was bietet Ascona im Winter? Romantik – vielleicht. Und Stille: Doch die ist nicht sehr gefragt.

Und so sitze ich denn, Fremdling unter Eingeborenen, in meiner „Casa Bertolli“, und Ascona gehört mir. Mir und dem Restbestand übriggebliebenen Herbstgästen. Ab und zu gesellt sich zu uns ein neugieriger Autofahrer, der im Vorüberrasen auf einen Tag mal hereinguckt. Ascona ist ganz unter sich. Man nimmt sie kaum wahr, die paar Ortsfremden.

Aber blinzelt die Sonne hervor, kommt alles auf die Piazza herausgeflattert. Mit Jacke und Schal, versteht sich. Aber immerhin „geflattert“, wie die Tauben auf dem Marktplatz. Hat man Glück, scheint die Sonne vom Zehnuhrkaffee an bis zum Espresso um drei. Dazu ist sie ja vertraglich verpflichtet.  (Siehe Reiseprospekt, unter Rubrik: „Anzahl der sonnenreichen Tage in Tessin“).

[…] plötzlich überfällt einen der Abend. Blaugrau hängt er sich über den Lago Maggiore.

[…] Schon hat die Bucht den herbstlich sanften Nebel um die Schultern geschlungen und die Berge ringsum schweigen. Sie sind verlassen und haben sich damit abgefunden, wie alte Frauen.

Den See hat man nun ganz für sich, und siehe da, er ist ein herrlicher See, wenn man ihn nicht mit parkenden Autos umstellt. Ein vereinzeltes Boot huscht wie ein Schatten vorbei. Darüber nun, gelblich-perlmuttern, das erste Viertel des Mondes, die Sense – ein japanischer Holzschnitt wie es im Buch steht.

Dämmerstunde, aus Schwermut gesponnen, mit Heimweh durchwirkt für den einsamen Fremden. Alles, außer ihm, eilt nun heim an den Herd der Familie.

[…] Nun singt Giovanni, wie allabendlich um diese Stunde! Niemand singt heutzutage noch so wie dieser junge Kalabreser. Als hätte er noch nie ein Radio gehört, als wüßte er nichts von Schallplatten und Musikautomaten – mechanischen und zweibeinigen. Ah, wie voll altmodischer Wehmut ist sein Lied und doch nicht ölig; mit einer Innigkeit aus vergangenen Jahrhunderten, die ausgestorben scheint im Zeitalter des „Rock’n’Roll“ – das die jungen Tessiner hier nicht minder gepackt hat als ihre Altersgenossen in Manhattan oder an der Spree…

[…] Und dann die Glocken. Ohrenbetäubend, denn die Kirchen sind sozusagen im Dorfe geblieben, und man entflieht ihnen nicht. Sie rufen aus dem tiefen Frühschlaf zur Messe, sie gehören zu Ascona, wie der eigenartige Duft zu diesem Dorfe gehört. Tag um Tag das gleiche: zur Stunde, da es Zeit wird, dem – hoffentlich – gewärmten Zimmer zuzueilen, duftet das ganze Dorf. Wohltuend-anheimelnder Geruch, aus Urväterzeiten. Wonach riecht es? Nach würzigem Holz, das jetzt in den Kaminen Funken sprüht, und nach den violett-blauen Ticino-Trauben im Weidekorb. Nach trocknenden Kamillenkränzen und Minzenkraut auf dem Balkon. Nach herbem Abendnebel und Krautrauch von den Feldern […]

[…] Das alles steuert seinen Anteil bei der Tessiner Duftmischung, die man wohl am besten beschreibt mit den Worten: Es riecht nach Ascona…

[…] Es findet, nämlich, liebe Freunde, zur Zeit eine Jahreszeit hierorts statt, die es eigentlich gar nicht gibt. Zu grün für Winter, zu kahl für Sommer.

[…] Eine äußerst günstige Atmosphäre also für den schöpferischen Künstler, nicht wahr? Fruchtbarer Boden für keimende Poeten und derlei Volk. – Sollte man meinen. „Keinesfalls“, sagt zu diesem Thema Erich Maria Remarque, der sein Ascona seit gut einem Vierteljahrhundert kennt und dessen Bücher in den anderthalb Buchhandlungen des Ortes wohl die einzigen sind, die stets auf Lager gehalten werden… „Ascona“, sagt er, „regt die Leute nicht zum Schaffen an, sondern zum Nichtstun. Haben sie eine Idee, so verschwatzen sie sie auf der Piazza, bei ihrem hellroten Campari. Wie viele habe ich schon kommen sehen, alle mit dem guten Vorsatz, das ‹Werk› zu schaffen, zu vollenden…! Bald aber saßen sie mit all den anderen im Sonnenschein vor dem Albergo und blickten fleißig auf den Lago Maggiore.“

[…] Trägt nicht jeder von uns tief in sich vergraben einen alten Ortsnamen mit sich herum, als etwas „Unerledigtes auf dem Kalender“, das irgendwann nachzuholen wäre: Mein „Ascona“ war so ein Ortsname. Ascona, das hieß Else Lasker-Schüler, Josef Kastein, Georg Kaiser, Emil Ludwig, Erich Maria Remarque nebst Gefolge. Mein Ascona hieß auch: Jung, Buber, Suzuki; ferner: Psychologen, Astrologen und diverse andere „…logen“. Und davon ist auch etwas zurückgeblieben: alljährlich trifft sich ein auserwählter Kreis von Seelen- und Himmelsforschern zur Tagung der „Eranos“-Gesellschaft.

Dieser kleine Ort in Tessin war eine Zeitlang schlechthin das „Romanische Café“ am Lago Maggiore. Former und Reformer ließen sich hier nieder. Jede Richtung war vertreten, von der Rohkost bis zur Religion. Ascona – das war ein Eldorado für Vegetarier und Vegetierer. Hier lebten Sektierer (und andere „tierer“) ungehindert ihren Utopien und Idealen – ob sie nun auf Nussbutter schworen oder auf Nacktkultur. Das störte hier keinen. Zuallerletzt die einheimischen Tessiner, die ohnehin auf alles heruntersahen, was von da draußen hereingeschneit kam in ihre Berge und in das Dörfchen im Tal. Man entfloh der städtischen Zivilisation und den diversen geistigen Korsetten, fand hier billige Unterkunft (damals!), wusch sich am Steinbrunnen im Hof, unterm Bauernbildnis der Madonna, ließ sich einen fotogenen Bart stehen und trug sein Teilchen bei zum „pittoresken Kolorit“ der Künstlerkolonie, die bald berühmt wurde. Vorbei…

Ascona heute ist ein Mekka für Touristenbusse. Und ein „buen retiro1 für Erfolgreiche. Die hypomodernen Villen haben mit dem alten Tessiner „Hüssli“ nichts mehr gemein. Die Außenarchitektur und drinnen die Teppiche und Stilmöbel lassen auf wohlfundierte Bankkonten schließen. Statt Künstlers Erdenwallen2 die Zahlungsfähigkeit des „Bestsellers“.

 

1 span.: Rückzugsort für den Ruhestand

2 das Gedicht „Des Künstlers Erdenwallen“ von J.W. von Goethe (das Schicksal    des verkannten Künstlers, der erst posthum berühmt wird)

 

 

Маша Калеко

НОЯБРЬ НА ЮГЕ (ФРАГМЕНТЫ)

 

В ноябре не путешествуют в Аскону. С момента моего приезда я знаю, почему. Пост-сезон кончился, пред-сезон еще не начался. И что может предложить Аскона зимой? Романтику – быть может. И тишину. Но она не пользуется большим спросом.

И так я сижу, чужая среди коренных жителей, в моем «Casa Bertolli», и Аскона принадлежит мне. Мне и остатку осенних гостей. Время от времени присоединяется к нам любопытный автомобилист, который останавливается здесь проездом на один день. В Асконе все свои люди. Пару чужих при этом почти не замечают.

Стоит выглянуть солнцу, как все выпархивает на площадь. С кофтой и шалью, понятно. Но тем не менее «порхая», как голуби на рыночной площади. Если повезет, сияет солнце от кофе в десять до эспрессо в три. К этому оно связано договором. (Смотри туристический проспект, под рубрикой: «Количество солнечных дней в Тессине».)

[…] нежданно настигает меня вечер. Серо-голубой, зависает он над Лаго-Маджоре.

[…] Уже набросила бухта на плечи осенний мягкий туман, а горы вокруг молчат. Они оставлены и смирились с этим: как старые женщины.

Озеро в моем полном распоряжении, и смотри-ка, оно прекрасно, если не запарковано автомобилями. Одинокая лодка мелькает, как тень, мимо. Над всем этим желтовато-перламутровая, первая четверть луны, серп – типичная японская деревянная гравюра.

Сумерки, сотканные из меланхолии, проникнуты для одинокого чужестранца тоской по Родине. Все, кроме него, спешит теперь домой к семейному очагу.

[…] Наконец поет Джованни, как и каждый вечер в это время! Никто в наше время так ни поет, как этот юный калабриец. Как будто он никогда не слышал радио и ничего не знал о пластинках и музыкальных автоматах – механических и двуногих. Ах, какой старомодной печалью наполнена его песня и все же она не елейна; с задушевностью прошедших столетий, кажется вымершей во времена рок-н-ролла – которая увлекает юных тессинцев не менее, чем их современников в Манхеттене или на берегу Шпрее…

[…] И потом колокола. Оглушающие, потому что церкви, так сказать, остались в деревне, и их нельзя избежать. Они зовут из глубокого утреннего сна к мессе, они принадлежат Асконе, как неповторимый запах этой деревне. День за днем одно и то же: к часу, когда приходит время, поспешить – надеюсь – к натопленной комнате, благоухает вся деревня. Благодатно-жилищный запах, из древнейших времен. Чем пахнет? Запашистым деревом, которое теперь в каминах искрами сыплет, и фиолетово-синим виноградом в ивовой корзине. Сохнувшими венками из ромашки и мяты на балконе. Крепким вечерним туманом и травяным дымом с полей […]

[…] Все это составляет часть тессинской смеси запахов, которую можно, пожалуй, лучше всего описать словами: пахнет Асконой.

Сейчас, дорогие друзья, состоится здесь время года, которого, в принципе, не бывает. Слишком зеленое для зимы, слишком голое для лета.

[…] Крайне благоприятная атмосфера для творящего художника, не правда ли? Плодотворная почва для сеятелей-поэтов и им подобным. – Можно подумать. «Ни в коем случае», – говорит по этому поводу Эрих Мария Ремарк, который знает свою Аскону в течение четверти века и чьи книги являются единственными, пожалуй, в полутора книжных магазинах местности, которые постоянно находятся в запасе… «Аскона, – говорит он, – побуждает людей не к творчеству, а к ничегонеделанью. Есть у них идея – так они пробалтывают ее на площади, со своим светло-красным Кампари. Сколь многих я уже перевидал, всех с хорошим намерением создать, закончить ‹произведение’…! Вскоре, однако, сидели они со всеми остальными в солнечном сиянии перед Albergo и прилежно смотрели на Лаго-Маджоре…»

[…] Не носит ли каждый из нас глубоко запрятанное в себе старое название местности как нечто «не выполненное в календаре», что когда-нибудь следовало бы наверстать: моя «Аскона» является таковой. Аскона – это: Эльза Ласкер-Шюлер, Йозеф Каштайн, Георг Кайзер, Эмиль Людвиг, Эрих Мария Ремарк и их приверженцы. Моя Аскона звалась также: Юнг, Бубер, Зуцуки; кроме того: психологи, астрологи и различные другие «…логи». И кое-что в этом плане сохранилось: ежегодно встречается избранный круг душевных и небесных исследователей на конференции «Eranos»-сообщества».

Это местечко в Тессине было некоторое время типичным «Романским кафе» на Лаго-Маджоре. Здесь обживались формалисты и реформисты. Каждое течение было представлено, от сыроедения до религии. Аскона была Эльдорадо для вегетарианцев и прозябающих. Здесь беспрепятственно воплощали в жизнь сектанты (и другие «танты») свои утопии и идеалы – клялись ли они ореховому маслу или нудизму. Здесь это никому не мешало. В последнюю очередь местным тессинцам, которые и без того свысока смотрели на все, что заметало снаружи в их горы и деревеньку в долине. Сбежавшие от городской цивилизации и от различных духовных корсетов находили здесь дешевый приют (тогда!), мылись у каменного колодца, под крестьянской иконой Мадонны, отращивали себе фотогеничную бороду и вносили свою частичку в «живописный колорит» колонии художников, которая вскоре стала знаменитой. Все прошло…

Аскона сегодня является Меккой для туристических автобусов. И «buen retiro»1 для имевших успех. Гипер-модерновые виллы не имеют больше ничего общего со старым тессинским «Hüssli»2. Внешняя архитектура и внутри – ковры и стильная мебель – позволяют судить о солидных банковских счетах. Вместо земляных валов художника3 платежная способность «бестселлера».

 

1 Испан.: место отдыха состоятельных пенсионеров

2 Швейц. нем.: дом, хижина

3 Стихотворение «Земляные валы художника» И.В. Гете (судьба не признанного при жизни художника)

 

Первое издание: «Берлинская утренняя почта: от 30.11.1958, стр.46

Повторное издание: «Нюрнбергская газета» №260 от 7.11.1964, стр.4 под названием «Горы молчат уже… Ноябрьское письмо из Асконы»

 

Aus dem Deutschen ins Russische übersetzt von: Anna Krutsch, Educational Institution called „FAB gGmbH für Frauen Arbeit Bildung“, Friedberg

 

Edited by: Juliana Wiemer, University of Konstanz and Olga Burenina-Petrova, University of Zurich & University of Konstanz

 

 

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