Ein Spital von Frauen für Frauen
Carmenstrasse 40, 8032 Zürich (Karte)
von Pascale Pfiffner
1901 wurde die Schweizerische Pflegerinnenschule mit Frauenspital in Zürich eröffnet. Bis heute gilt die “Pflegi” als Symbol für die Reform des Pflegeberufes, als Andenken an die bürgerliche Frauenbewegung und formt einen Teil Zürcher Stadtgeschichte.
1883 | Anna Heer beginnt das Medizinstudium an der Universität Zürich | |
1889 | Aufenthalt Anna Heer in England, „moderne Pflege“ nach Florence Nightingale | |
1896 | Erster Schweizer Kongress für die Interessen der Frau, Genf | |
1901 | Eröffnung Schweizerische Pflegerinnenschule mit Frauenspital in Zürich | |
1909 | Gründung „Krankenpflegeverbund Zürich“ durch Anna Heer | |
1910 | Gründung „Schweizerischer Krankenpflegebund“ durch Anna Heer | |
1914 | Der Erste Weltkrieg bricht aus und die Pflegi wird zu einem wichtigen Ausbildungsort für Krankenschwestern | |
1918 | plötzlicher Tod von Anna Heer durch Sepsis | |
Ende der 1990er Jahre | Auflösung Pflegi/ Fusion Zollikerberg |
Wie drei Frauen den Pflegeberuf in der Schweiz etablierten und ein Spital von Frauen für Frauen errichteten
Wie sollten junge Frauen in einer Zeit, in der sie nur unter wenigen Berufen wählen konnten, zu einer guten Ausbildung kommen? Was musste getan werden, um die Pflege vom aufopfernden Liebesdienst zu einer ernstzunehmenden beruflichen Tätigkeit aufzuwerten?
Diese Fragen stellte sich Frau Dr. Anna Heer, als eine der ersten Ärztinnen der Schweiz. Sie entwickelte die Idee zur Gründung eines Spitals mit Pflegerinnenschule zusammen mit Marie Heim-Vögtlin und Ida Schneider gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Ihr Ziel war es, eine konfessionell neutrale Einrichtung zu schaffen, die ausschließlich von Frauen geführt wurde und sich deren Bedürfnisse anpasste. (Mehr zu Marie Heim-Vögtlin hier)
Gründungsprozess
Die Pflegi entstand in einer Zeit des Umbruchs in Zürich. Sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich. In der um 1900 blühenden Wirtschaftsmetropole entstanden viele noch heute bekannte Bauten wie das Landesmuseum und das neue Stadttheater. Obwohl Zürich kräftig wuchs, gab es gleichzeitig auch viel Armut und die Krankenversorgung für den Grossteil der Bevölkerung war ungenügend. Es gab einen Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal. Kranke wurden oft zu Hause von Dienstboten oder weiblichen Angehörigen betreut, während in Krankenhäusern vorwiegend Ordensschwestern arbeiteten, von denen viele nur unzureichend ausgebildet waren. Selbst das genaue Befolgen ärztlicher Anweisungen war keine Selbstverständlichkeit.
In dieser Zeit durften Frauen in der Schweiz zwar Medizin studieren, es gab aber nur spärlich Assistenzstellen für sie. Von den männlichen Arbeitskollegen und Vorgesetzten wurde man als Frau belächelt. So bildete Anna Heer sich während und nach dem Studium im Ausland weiter. Während ihrem Aufenthalt in London lernte sie das englische Pflegewesen unter Florence Nightingale kennen und erkannte schnell, dass in ihrem Heimatland der Schweiz noch einiges für den Fortschritt getan werden musste.
So nahm sie Kontakt auf mit dem Schweizerischen gemeinnützigen Frauenverein (SGF) und stellte beim ersten Kongress für Fraueninteressen in Genf ein Programm zur Verbesserung der Ausbildung von Krankenschwestern vor. Sie beanstandete für die nötige Reformation ein eigenes Spital für die Ausbildung der jungen Frauen.
(…) Die Aufgabe ist gross. Noch grösser muss unsere Begeisterung für die Aufgabe sein. So lassen Sie uns als Schweizerinnen mutig an die Arbeit gehen. Sie gelte unseren Kranken, den Müttern und den Kleinsten. Sie diene einem edlen Frauenberufe und verschaffe ihm die Bedeutung und die Achtung, die er verdient. Der Geist der Humanität segne unsere Bestrebungen. 1
Rede von Anna Heer am Kongress
Die erste von noch vielen Herausforderungen bestand darin, die notwendigen finanziellen Mittel für den Bau des Spitals und die Einrichtung der Pflegerinnenschule zu beschaffen. Dies gestaltete sich als schwierig und auch in der Bevölkerung waren die Meinungen zum grossen Plan der Frauen gespalten.
Ein weiteres Hindernis stellte das Finden eines passenden Grundstücks für den Bau des Spitals. Nach längerem Suchen konnte schliesslich ein geeignetes Grundstück in Zürich-Hottingen erworben werden, das von der Stadt zu einem günstigen Preis verkauft wurde.
Mit der tatkräftigen Unterstützung von Marie Heim-Vögtlin, ihrem Mann Albrecht Heim und Anna Heers Pflegevater Stadtrat Kaspar Grob gelang das zunächst unmöglich Erschienene. Es halfen ihnen der Schweizerische Gemeinnützige Frauenverein und zahlreiche private Spender, die durch verschiedene Veranstaltungen und Spendenaufrufe gewonnen werden konnten.
”Welch ein Wunder!” so sagten unsere Mütter, “welch ein Ding der Verstiegenheit, der Unmöglichkeit”, so tönte es damals von unseren Vätern.”1
Trotz all dieser Herausforderungen wurde das Schweizerische Frauenspital mit angegliederter Pflegerinnenschule schließlich im Jahr 1901 eröffnet. Das Spital etablierte sich schnell als eine der führenden medizinischen Einrichtungen für Frauen und setzte Impulse in der Ausbildung von qualifizierten Pflegekräften. In der Stiftungsurkunde von 1899 wurde explizit festgehalten, dass eine Pflegerinnenschule mit Frauenspital errichtet und auch von Anfang an von Frauen geleitet werden soll. Hauptsächlich arbeiteten Ärztinnen dort und bis in die 1960er Jahre war es ein klares Frauen- und Kinderspital.
Insgesamt war der Gründungsprozess der Pflegi geprägt von einem hohen Engagement und Durchhaltevermögen der Gründerinnen und Unterstützerinnen, die trotz zahlreicher Herausforderungen ihre Vision umsetzen konnten.
Bedeutung für die Frauenbewegung Schweiz
Die Gründung der Pflegerinnenschule durch Anna Heer war ein grundlegender Schritt für die Frauenbewegung in der Schweiz. Durch die Schule konnten Frauen eine Ausbildung absolvieren und eine Karriere im Gesundheitswesen verfolgen. Die Schule war jedoch nicht nur ein Ort der Ausbildung, sondern auch ein Ort des Austauschs und der Vernetzung für Frauen. Viele Absolventinnen der Schule waren aktive Teilnehmerinnen der Frauenbewegung und kämpften für die Gleichberechtigung von Frauen in der Gesellschaft.
Oberin Ida Schneider und Anna Heer haben durch ihre Arbeit an der Pflegerinnenschule in Zürich das Bild der Krankenschwestern und der Frauen im Gesundheitswesen verändert. Sie haben eine Generation von Frauen ausgebildet, die ihre Karrieren in der Krankenpflege und der Medizin erfolgreich fortsetzten. Ihre Arbeit war ein grosser Beitrag zur Frauenbewegung in der Schweiz, indem sie Frauen eine professionelle Ausbildung und Karriere ermöglichte und damit die Geschlechtergrenzen in der Arbeitswelt erweiterte.
Schliessung Ende der 1990er-Jahre
Nach fast 100 Jahren “Pflegi” musste das Spital 1998 im Zuge der kantonalen Stadtplanung den Betrieb einstellen. Die Stiftung der Pflegerinnenschule fusionierte mit dem Diakoniewek Neumünster. Verschiedene Abteilungen wurden von der Carmenstrasse ins ehemalige Neumünsterspital und das heutige Zollikerberg Krankenhaus verlegt. Das Pflegi-Areal wurde umgenutzt und heute sind an der Carmenstrasse Wohnungen und Büroräume vorzufinden. Der Garten im Innenhof wird immer noch gerne von Kindern zum Spielen genutzt. Die Architektur im Stil der ‚neuen Sachlichkeit‘ erinnert noch vage an ein Krankenhausgebäude.
Hier erzählen ehemalige Mitarbeiter der Pflegi aus erster Hand. (SRF-Dok)
BILDQUELLEN
Abb. 1: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / FotografIn unbekannt / BAZ_114945 https://baz.e-pics.ethz.ch/catalog/BAZ/r/138161/viewmode=infoview/qsr=pflegerinnenschule
Abb. 2: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Wolf-Bender’s Erben/ BAZ_116961 https://baz.e-pics.ethz.ch/catalog/BAZ/r/137447/viewmode=previewview/qsr=pflegerinnenschule
Abb. 3: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Steiger Jonathan / BAZ_165195 https://baz.e-pics.ethz.ch/catalog/BAZ/r/405009/viewmode=infoview/qsr=pflegi
Video 1: https://www.youtube.com/watch?v=OSYZwmjNy2o (Stiftung Diakoniewerk Neumünster, 2023)
LITERATUR
- Müller, Verena E.: Anna Heer 1863-1918. Gründerin der Schweizerischen Pflegerinnnenschule, Wettingen 2019
- Bühler Caroline: Die Pflegi. Ein Spital für Frauen – von Frauen geschaffen und geprägt, Zürich 2007
- Müller, Verena E.: Chirurgin, Unternehmerin, – Pionierin der Krankenpflege. Schweizerische Ärztezeitung, 23.01.2019, <https://saez.ch/article/doi/saez.2019.17417>, Stand: 05.03.2023.