Universität Zürich – Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft ISEK

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Maka Mamporia

„Die Natur war ganz klar auch mein Spielplatz“

Eine empirische Forschung über das Kultur- und Naturverständnis in der Alltagswelt

Diese Arbeit hat zum Ziel, die Beziehungen zwischen Mensch, Kultur und Natur auf empirischer und theoretischer Ebene zu untersuchen. Dabei beleuchte ich das altbekannte Begriffspaar Natur/Kultur in einer historisch-vergleichenden Perspektive und untersuche es in verschiedenen theoretischen Denksystemen und Konzepten[1], denn jede kulturhistorische Zeitspanne hat ihre eigenen Deutungsmuster des Natur- und Kultur-Verständnisses. Um sich in das Thema zu vertiefen, ist es wichtig, verschiedenen Interpretationsebenen von Natur und Kultur nachzugehen: Wird Natur als wohlgesetzte göttliche Ordnung oder als bedrohliches Chaos, pure Gewalt, als Gegensatz zur Kultur, als etwas, was es zu bändigen gilt, aufgefasst?

Abbildung 1: Anonym: Gott konstruiert die Welt mit dem Zirkel. Miniatur 13. Jh.

Dient die Natur als Vorbild und Grundlage für gesellschaftliche und geschlechtsspezifische Ordnungen? Wird Natur als Landschaft und Ländlichkeit im Unterschied zur Stadt und Verstädterung begriffen? Oder haben wir es mit einer hybriden Welt zu tun, in welcher die natürliche und die kulturelle Ordnung ineinander verschränkt sind, menschliche, nicht-menschliche Lebewesen und technische Entitäten als Akteur*innen auftreten und sich netzwerkartig verbinden? Das Verhältnis zwischen Natur und Kultur als Untersuchungsgegenstand blickt auf eine lange Tradition in der Kulturwissenschaft zurück, weswegen sich die Frage stellt, welche Relevanz es dann hat, dieses noch einmal zu untersuchen. Eine neuerliche Erforschung bietet sich an, da wir uns in einem neuen Erdzeitalter befinden, in welchem die Erde gravierende Veränderungen bzw. Zerstörung erfährt, welche auf menschlichen Einfluss zurückzuführen sind. Kurz gesagt: Willkommen im Anthropozän! Das Anthropozän macht deutlich, dass natürliche und soziokulturelle Phänomene zusammen gedacht werden müssen.

Abbildung 2: Das Bretherton-Diagramm zur Integriertheit der menschlichen Wirkungsmacht auf den Planeten in einer vereinfachten Darstellung.[2]

In den Zeiten des Anthropozäns, in der die menschliche Handlungsmacht einer Naturgewalt gleicht, wo der Mensch nicht nur als biologischer oder sozialer, sondern als ein geologischer Faktor fungiert «[…] und das Erdsystem in seiner Gesamtheit verändert, […] verliert die Scheidung von Natur und Kultur ihren Sinn»[3] – so Horn. Somit leitet das Anthropozän einen Perspektivenwechsel und einen Bruch ein mit den bisherigen Denkmustern in Bezug auf die Verhältnisse zwischen Natur und Kultur, zwischen Mikro- und Makrokosmos, zwischen Natur- und Geisteswissenschaften und führt zu einer Aufhebung dieser dichotomischen Sichtweisen.

Empirischer Zugang

Der empirische Hauptfokus der Arbeit liegt auf dem Verhältnis von Mensch-Natur-Kultur in einem subjektiven Kontext. Dabei soll innerhalb subjektiver Deutungsmuster erforscht werden, wie sich z.B. diese Verhältnisse im gelebten Alltag manifestieren. Anhand leitfadengestützter Interviews wollte ich folgende Forschungsfragen beantworten: Wie artikulieren sich Natur-Mensch-Kultur-Beziehungen in der Lebenswelt der Akteure*innen? Was sagt die subjektive Deutung dieser Beziehungen über das gegenwärtige Mensch-Natur-Verhältnis aus? Den Fokus setzte ich auf den beruflichen Alltag. Aus diesem Grund traf ich eine Auswahl an Akteur*innen, welche auf verschiedene Weise in ihrem Berufsleben mit Natur in Berührung kommen. Die Interviewpartner*innen waren: 1) Ursula, eine Qi Gong-Lehrerin mit langjähriger Tanzerfahrung, 2) Kaspar, Umwelt-Naturwissenschaftler mit dem Tätigkeitsfeld Natur- und Landschaftsschutz, Erhalt und Förderung der Biodiversität, 3) Wu, eine Graphikdesignerin, die mit Biophilic Design arbeitet und deren Designkonzepte mehrheitlich von der Natur inspiriert sind und 4) Jonas, ein Hortbetreuer im Waldkindergarten, dessen Hauptkonzept darauf basiert, den Wald als Spielort für sinnliches Erfahren und motiviertes Lernen für Kinder zu nützen

Die Interview-Daten zeigen die persönliche Geschichte in Bezug auf Naturempfindungen, wie z.B. Kindheitserlebnisse. Die prägende Rolle der Kultur in der Wahrnehmung der Natur manifestiert sich besonders interessant im Fall der aus China stammenden Graphikdesignerin Wu. Sie spricht von einer asiatischen und einer europäischen Art, Natur wahrzunehmen. „Ich bin in Shanghai geboren. Ich kenne nur big City, City… und dann kam ich hier in die Schweiz… und ich musste wie so lernen wie man mit der Natur umgeht, also die erste Wanderung war für mich nicht lustig, oder ich konnte die Natur nicht wirklich geniessen, weil ich das nicht kannte.

Dabei zeigen die Erzählungen, wie das Nachgehen bestimmter Tätigkeiten Wissen und Verständnis von und über die Natur vertiefen. Die durch die Ausübung bestimmter Tätigkeiten erlangten Einsichten, der Wissensbestand, sowie das verkörperte Wissen führen zu unterschiedlichen Schwerpunkten in der Naturauffassung sowie im Zugang zur Natur. Die Natur als Inspiration und Basis für Designideen, grafische Konfiguration und Materialität (im Fall von Wu), Vertiefung in den eigenen Körper, langjährige Qi Gong Praxis und unmittelbare Erfahrungen darüber, wie sich Natur im eigenen Körper manifestiert, sowie Konzentration auf Sinneserfahrungen, Atem und Verbindung der körperlich-leiblichen und seelischen Dimensionen durch Erspüren und Beobachten (im Fall von Ursula), Zugang zur Natur einerseits auf der persönlichen Empfindungsebene und zugleich Beschäftigung mit der Natur auf naturwissenschaftlicher, ökologisch-umweltpolitischer und wirtschaftlicher Ebene, eine berufliche Praxis, um Natur mit der Intention zu erleben, mehr Raum sowie Lebensqualität für die Artenvielfalt zu schaffen und verschiedene Ökosysteme miteinander zu vernetzen (im Fall von Kaspar), Natur im Fokus pädagogisch-erzieherischer Tätigkeiten, Beobachtungen, wie sich die Kinder im Waldkindergarten, während sie in der Natur sind, entwickeln, was sie wahrnehmen und was sie von der Natur und in der Natur lernen (im Fall von Jonas). Anhand der Interviewdaten konnten die Verschränkungen von natürlichen und kulturellen, wirtschaftlichen und sozio-politischen Ordnungen sichtbar gemacht werden. Dabei betonen alle Interviewten die Rolle der wirtschaftlichen Präferenzen, des Konsums und des Profitdenkens in der Übernutzung und Zerstörung der Natur sowie die Rolle des Erziehungswesens für die Sensibilisierung im Umgang mit der Natur schon im Kindesalter.

Trotz eines komplexen Bildes des Forschungsfeldes und des Datenmaterials, lassen sich eine Tendenz des Naturverständnisses und Lösungsvorschläge für die aktuelle Umweltprobleme beobachten,

  1. Separation von der Natur, vor allem im Zuge des technischen Vorschritts. «Landwirtschaftliche und industrielle Revolution habe dazu beigetragen, dass der Mensch (sich) immer stärker, ja, als eben nicht ein Bestandteil der Natur wahrgenommen hat. Heute ist dieses Denken massiv in unserem Denken verankert», Kaspar. «Am Anfang der Menschheitsgeschichte war (der Mensch) ein Teil der Natur, er ist immer noch Teil der Natur, (aber) er ist nicht einfach ein Teil, der sich mitbewegt, sondern ist der Teil, der steuert», Jonas.
  2. Der Mensch als Teil der Natur: Interviewpartner*innen, welche die Separation des Menschen von der Natur ansprechen, formulieren als eine Lösung aus der Krisensituation, dass der Mensch wieder stärker als Teil der Natur wahrgenommen wird bzw. diese Sichtweise stärker ins Bewusstsein gerückt wird.
  3. Mit der Natur verbunden sein: Möglichst naturverbunden arbeiten, ist das Designkonzept von Wu. Dass die Menschen sich mit dem Anderen, mit der Umwelt verbunden fühlen und eine mitfühlende Haltung einnehmen, ist für sie entscheidend.
  4. Selbst die Natur seinLeib, die Natur, die wir selbst sind[4]: Diese Auffassung bietet noch eine weitere Möglichkeit, das Mensch-Natur-Verhältnis zu deuten. Das ist ein phänomenologischer Zugang zum Körper, eine bewusste Wahrnehmung davon, wie uns das Natursein durch unseren Leib geschieht. Welches ist besonders im Fall von Ursula in der gelebten Erfahrung der Qi Gong Praxis zu erkennen ist.

Abbildung 3: Mensch und Natur sind eins – Huang Yan: «Chinese Landscape – Tattoo, No. 7», 1999, C-Print

Quellen:

Böhme, Gernot. Leib: die Natur, die wir selbst sind. Berlin: Suhrkamp, 2019.

Horn, Eva und Hannes Bergthaller. Anthropozän zur Einführung. Hamburg: Junius, 2019.

ttps://www.researchgate.net/figure/The-Bretherton-diagram-simplified-version_fig2_257588246 – abgerufen am 2.4.2021

Schlagwörter: Natur, Kultur, Dichotomie, hybride Welt, Ökosysteme, Anthropozän, Naturalismus, Kulturalismus, Phänomenologie, anthropozentrische Wende, Ökologie, Artenvielfalt, Körper-Leib-Seele, sinnliche Wahrnehmung, Konsum, Umweltpolitik, wirtschaftlichen -und sozio-politischen Ordnungen.


[1] Hier sind gemeint: Naturkonzepte der Vormoderne und der Moderne, naturalistische, kulturalistische und phänomenologische Theorieansätze, anthropozentrische Wende und Akteur-Netzwerk Theorie.

[2] ttps://www.researchgate.net/figure/The-Bretherton-diagram-simplified-version_fig2_257588246 – abgerufen am 2.4.2021

[3] Horn 2019, S. 59.

[4] Böhme, Gernot. Leib: die Natur, die wir selbst sind, 2019.

Terence Winkler

«Szene isch Stadi – eine kulturwissenschaftliche Analyse des (Jugend)Raums Stadelhofen

Wir schreiben das Jahr 2021. Vor einem Jahr verursachte ein kleiner Virus aus einem chinesischen Labor eine globale Pandemie, die etliche Menschen das Leben kostete. So wie diese Pandemie Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit hatte, so hatte sie auch einen Einfluss auf das gesellschaftliche Leben. Isolation, Social Distancing und Quarantäne waren während ungefähr einem Jahr an der Tagesordnung.

Nimmt man eine Lupe zur Hand und betrachtet in dieser globalen Situation die Schweiz, genauer: Zürich, stellt man fest, dass sich mediale Berichte über eine Konsequenz der Covid-19-Massnahmen häufen. Es sind Berichte über Ansammlungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Ansammlungen, welche sich nicht an die Massnahmen halten wollen und sich vereinzelt auch gegen die Behörden stellen.

Meine Bachelorarbeit wurde durch diese Ereignisse inspiriert. Ich wollte herausfinden, wie kulturelle Transformationen geschehen, wovon sie abhängen, welche Konsequenzen sie haben. Wie beeinflussen sie das Denken und Handeln der Menschen? Und wie hängen sie mit dem städtischen Raum, genauer dem Raum Stadelhofen, zusammen?

Die Bachelorarbeit besteht aus einer theoretischen Einführung in die kulturwissenschaftliche Raumthematik, Stadtforschung und Jugendforschung. Es folgt darauf ein Kapitel zur kultur-historischen Entwicklung des Raumes Stadelhofen, welche anhand von historischen Karten vergleichend erforscht wurde. Zum Schluss folgt ein Kapitel zur aktuellen Situation am Stadelhofen. Dabei wurde anhand von qualitativen Interviews und teilnehmender Beobachtung versucht, eine Momentaufnahme der ansässigen Jugendgruppen zu machen.

Die Bachelorarbeit zeigt die Verbindung zwischen Konzepten aus den Kulturwissenschaften mit einem realen Raum, die baukulturelle Entwicklung eines Stadtquartiers vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert und alltagskulturelle Eigenheiten einer Zürcher Jugend. Von Otto I. über Calatrava zu Young Gustav. Von Raumtransformationen über Revolutionen und Artilleriefestungen zu TikTok und Vodka mit Eistee.  

Abbildung: Der Bahnhof Stadelhofen im März 1995. Fotos: Werner Huber

Rebecca Ritzal

Erlebnisraum Robinson-Spielplatz Wetzikon

In meiner empirischen Arbeit gehe ich der Frage nach, welche Funktion Robinson-Spielplätze (Abenteuerspielplätze) in der Alltagskultur der Kinder einnehmen. Ich habe exemplarisch am Robinson-Spielplatz Wetzikon gearbeitet, von wo aus grössere Zusammenhänge, Themen und Problematiken sichtbar wurden.

Für meine Arbeit habe ich den Robinson-Spielplatz Wetzikon während den Monaten März bis Mai 2021 regelmässig besucht, Interviews geführt und aktiv am Spielplatz-Geschehen teilgenommen. Ich durfte bei Arbeiten auf dem Platz mithelfen, viele unterschiedliche Kinder und Erwachsene kennenlernen und miterleben, was es alles auf dem Platz zu tun und zu erkunden gibt.

Die Auswertung der Beobachtungen und Interviews bilden das Kernstück meiner Arbeit, welche ich mit raumtheoretischem aber vor allem mit psychologischem und pädagogischem Gedankengut zu stützen versucht habe. Weiter habe ich mich auch zeitlichen Veränderungen rund um die Spielplatzgestaltung gewidmet. Bspw. stammt die Idee des Abenteuerspielplatzes vom Landschaftsarchitekten Carl Theodore Sørensen aus den 1940er-Jahren (Dänemark).

Die Spiel- und Erlebnismöglichkeiten auf dem Robinson-Spielplatz Wetzikon gehen über die räumlichen Strukturen (z.B. Hütten, Holzwerkstatt, Wasserstelle etc.) hinaus und zeigen sich vor allem in der Interaktion mit anderen Kindern und Erwachsenen auf dem Spielplatz.

Der Spielplatz ermöglicht es Kindern und Jugendlichen selbständig und eigenverantwortlich zu spielen, Gruppenerfahrungen zu machen und handwerkliche Fähigkeiten zu erlernen.

Das Angebot richtet sich an verschiedene Alters- und Interessensgruppen und bindet Kinder in den Gestaltungsprozess des Areals ein. Kinder und Jugendliche werden somit als aktive und eigenständige Subjekte adressiert, deren Vorstellungen und Wünsche für den Spielplatz ebenso massgebend sind wie die der Erwachsenen.  

Besonders im letzten Jahr, in dem viele Kultur- und Freizeitorte wegen des Coronavirus nicht genutzt werden konnten, wurde deutlich, wie wertvoll solche sozialen Begegnungsorte sind. Die eigenen vier Wände bieten den Kindern nur begrenzt Möglichkeiten, abseits der elterlichen Aufsichtspflicht, zu spielen und mit verschiedenen Materialien zu werkeln. Die Robinson-Insel als vielfältig gestaltbaren und grossflächigen Aussenraum stellt somit eine wertvolle Ergänzung zu den Alltagsräumen der Kinder dar.

Jérôme Holbein

Was ist überhaupt der Zweck der Identitätskarte, wenn doch der Pass alles kann, was die ID kann, aber das Reisen in mehr Länder ermöglicht und dazu noch einen Chip trägt? Diese Frage habe ich mich irgendwann vor der Abstimmung zur E-ID im März dieses Jahres gefragt und daraufhin beschlossen, diese eigentlich simple Frage in meiner Bachelorarbeit weiter zu untersuchen. Denn selbst mit genauerem Googeln lässt sich diese Frage für unsere heutige Gesellschaft nicht beantworten. Gesetzlich sind sowohl die Identitätskarte als auch der Pass im Ausweisgesetz verankert und somit gleichgestellt. Somit musste ich historisch arbeiten und begann das Staatsarchiv des Kantons Zürich und das Bundesarchiv nach Antworten zu durchstöbern.

Die Wirren des Krieges waren die Umstände, unter welchen die Identitätskarte erstmals herausgegeben wurde. Offiziell eingeführt wurde die Identitätskarte am 18. Mai 1940, also noch während dem Zweiten Weltkrieg. Im Kreisschreiben vom EJPD an die Kantone, welches die Identitätskarte einführte, wurde dann auch gemahnt, dass ein Nicht-Einführen eines ständig mitgetragenen Ausweises sich besonders nachteilig auswirken würde. Warum das denn nun so nachteilig sein soll und was der Zweck eines solchen sich Ausweisens sein soll, wurde jedoch nicht geschrieben. Die Identitätskarte wurde auch zunächst nur als Alternative angeboten für Kantone, welche nicht bereits ein amtliches Dokument besassen, das den Vorgaben des EJPD genügte. Dies konnten beispielsweise Pässe, kantonale Identitätskarten oder Evakuierungsausweise sein. Da jedoch der Pass sehr wenig verbreitet war und nur wenige Kantone gleichwertige Ausweise kannten, übernahmen die meisten Kantone die staatliche Identitätskarte. Der Zweck, den diese neuen Identitätskarten erfüllten, blieb somit unklar, auch wenn sie oft als Evakuierungsausweise angepriesen wurden.[1]

Die Veränderung der Raison d’Être der Identitätskarte war bedingt durch ihre Verbreitung und das Ende des Krieges. Schon kurz nach ihrer Einführung gewann die Identitätskarte eine weitere Funktion. Da sie weit verbreitet war, musste das Departement der Post schon bald abklären, ob die neuen Ausweise, die nun alle auf sich trugen, auch verwendet werden konnten, um sich am Postschalter auszuweisen und somit Post empfangen zu können.[2] Mit dem Ende des Krieges wurde die Identitätskarte ausserdem zunehmends von Kantonen und bald auch vom Staat selbst als Passersatz bei Auslandsreisen akzeptiert.[3] Die Identitätskarte hatte somit das Mäntelchen des Evakuierungsausweises abgelegt und bestritt in der Nachkriegszeit neue Räume. Ausländische Grenzen, Postschalter, Kinokasse und viele andere akzeptierten nun je länger je mehr auch die Identitätskarte für ihre Leistungen. Ausserdem wurde die Identitätskarte in den 50er Jahren erstmals in ihrer Ausstellung in der ganzen Schweiz vereinheitlicht, was ihre überregionale und internationale Akzeptanz nochmals erhöhte. Dies bedeutete aber auch, dass sie immer mehr auch in Räume vordrang, die schon besetzt waren. Der Pass war ja schon Grenzpassierschein und eigentlich hatte der Heimatschein lange als Inlandsausweis fungiert. Diese Zweckkonflikte führten dazu, dass der Heimatschein in den 80er Jahren seinen Status als Inlandsausweis verlor und zur Familienstandsurkunde wurde und der Pass im Jahr 2001 mit der Identitätskarte als Inlands- und Reiseausweis gleichgeschaltet wurde.[4]

Die Gegenwart und die Zukunft könnten also wie aussehen? Die Identitätskarte besass also durchaus mal einen eigenen Zweck, der zwar amtlich nicht scharf vorgegeben war, aber dennoch klar an einen Kriegskontext gebunden war. Mit dem Verlust dieses Zweckes eignete sie sich aber neue Zwecke an und wurde so zum Pass Light, als welchen wir sie heute kennen. Da sie als solche heute abgesehen von ihrer Handlichkeit müssig ist, wird sie diesen Status wohl nicht länger halten können. Sowohl am RFID-Chip im Pass als auch an Gesichtserkennungs- und Fingerabdruckscan-Technologien zeigt sich, dass das Pass- und Ausweiswesen stark im Wandel ist. Der Ausweis der Zukunft könnte also eine gechipte Passkarte sein, welche die Mächtigkeit des Passes und die Handlichkeit der Identitätskarte vereint. Oder vielleicht dient ja der Körper selbst – über seine biometrischen Daten – bald als Ausweis und ein zusätzliches Dokument ist gar nicht mehr nötig.


[1]      Vgl. Dossier Identitätskarte für Schweizerbürger (Neue Ref.: 730.1) mit Signatur E4260C#1974/34#936* im Schweizerischen Bundesarchiv, 1939-1956.

[2]      Vgl. ebd.

[3]      Vgl. Rüegg, Ernst Das Passwesen. International rechtsvergleichende Studie zum schweizerischen Passrecht, S. 18.

[4]      Vgl. Verordnung über den Schweizerpass. In: Sammlung der eidgenössischen Gesetze. 27. Bern, 17. Juli 1959. S.581- 585. Zivilstandsverordnung. ZStV. In: Amtliche Sammlung des Bundesrechts. 211.112.2. Bern, 22. Juni 2004, S. 2915–2950, Bundesgesetz über die Ausweise für Schweizer Staatsangehörige. Ausweisgesetz, AwG. 143.1. Bern, 1. Jan. 2018.

Elena Gavric

Super 8 – analogue nostalgia und die Verwendung von analogem Film im digitalen Zeitalter

„The grass was greener, the light was brighter
The taste was sweeter, the nights of wonder
with friends surrounded, the dawn mist glowing
the water flowing, the endless river“[1]

Mit diesem Songtext vermittelt die Musikgruppe Pink Floyd schon in den 1990er Jahren den nostalgischen Nachgeschmack der Erinnerung an die guten alten Zeiten. Das Gras war grüner, das Licht greller – die Erinnerungen an vergangene Zeiten sind wie in einem Traum stets positiv dargestellt. In den 1990er Jahren, als nicht nur eine Jahrtausendwende bevorsteht, sondern sich die Welt auch langsam von analog in Richtung digital zu entwickeln scheint, geschehen viele Veränderungen. Nicht nur Pink Floyd und viele andere Musiker*innen thematisieren mit dem Song die grosse Veränderung und die damit verbundene Nostalgie nach dem Vergangenen, es kommt auch zu vielen grossen medialen Veränderungen in der Populärkultur. Neue Musikgenres und neue Subkulturen entstehen, der Personal Computer wird zum alltäglichen Haushaltsgerät und eine weitere wichtige Veränderung geschieht, als analoge Fotoapparate sowie Filmkameras von (halb-)digitalen Äquivalenten ersetzt werden. Doch mit Veränderungen kommt meist ein bitterer, nostalgischer Nachgeschmack – das Festhalten an der Vergangenheit – hinzu.

Dieses nostalgische Verlangen nach dem Vergangenen, das sich in Form von verschiedenen medialen Praktiken und Produkten sowie Retrotrends äussert, wurde in meiner Bachelorarbeit erforscht.

Spezifisch setzte ich mich mit dem in den 1960er bis 1980er Jahren stark verbreiteten Super-8-Filmformat und der damit zusammenhängenden Nostalgie nach dem Analogen auseinander. Mein Forschungsschwerpunkt war es herauszufinden, wie und warum ein solches als veraltet geltendes Medium in der heutigen digital orientierten Welt verwendet wird und noch stark verbreitet ist. Es gilt grundsätzlich oft die Annahme, dass neue Medien – so wie in diesem Beispiel digitale Filmkameras – alte Medien ersetzen und den alten Medien die Obsoleszenz, also die Vergessenheit, droht. Doch bei Medien wie beim Super-8-Filmformat ist dies nicht der Fall. Es gibt da viele medienwissenschaftliche Ansätze, die argumentieren, dass alte Medien nicht durch neue ersetzt werden können und diesen alten Medien neue Systemplätze und Funktionen zugeteilt werden. Nun wird in meiner Bachelorforschung argumentiert, dass dies auch beim Super-8-Format der Fall ist und dass Super-8-Aufnahmen in der digitalisierten Welt des frühen 21. Jahrhunderts oftmals die Funktion haben, die Nostalgie nach dem Analogen zu erwecken. Mit der Analyse des Super-8-Videos Tokyo on Super 8[2], das auf YouTube hochgeladen ist, sowie dem Dokumentarfilm I for India[3], der im Super-8-Filmformat gefilmt worden und auf DVD erschienen ist, wird auf dieses Phänomen der analogen Nostalgie eingegangen und erklärt, welche audiovisuellen sowie diskursiven Merkmale diese analoge Nostalgie ausmachen. Des Weiteren erörtert, wie ältere Medienformate wie Super 8 mit neueren Medien interagieren.

Ästhetisch evozierte nostalgische Aura
vs.
inhaltlich-narrative Nostalgie

Die beiden filmischen Produkte, die ich in einer Analyse tiefgründig gedeutet habe, zeigen zwei komplett verschiedene Weisen, wie Super 8 im digitalen Zeitalter verwendet wird. Beide Analysen haben gezeigt, dass Super-8-Aufnahmen primär dazu dienen, eine gewisse Nostalgie bei den Rezipient*innen zu erwecken.

Beim Video Tokyo on Super 8 handelt es sich um eine bewusst konstruierte nostalgische Aura, die der Filmemacher mit filmästhetischen und für Super 8 typischen visuellen Merkmalen evoziert.

Verbeeck erschafft gekonnt eine analoge Ästhetik der Vergangenheit, indem er explizit mit dem analogen Filmmedium Super 8 filmt, das mit den bestimmten ästhetischen Merkmalen diese traumähnliche Aura konstruiert. Dadurch, dass das Video in einer sich so schnell entwickelnden und verändernden Stadt gefilmt wird, wirkt das Video wie ein flüchtiges Festhalten eines zeitlosen Moments und erinnert so an den künstlerischen Impressionismus des 20. Jahrhunderts. Das Video thematisiert die Nostalgie nach solchen zeitlosen Momenten der Vergangenheit, die wie Traumerscheinungen in den Erinnerungen aller Menschen schlummern und durch solche Videos erweckt werden.

Auf eine ganz andere Weise thematisiert I for India die Nostalgie – der Dokumentarfilm ist eine Assemblage von privatem home-movie-Filmmaterial der Familie von Yash Suri, die in den 1960er Jahren von Indien nach England migriert ist und knapp vierzig Jahre lang mit Super-8-Aufnahmen sowie Tonaufnahmen mit der Familie in Indien kommuniziert hat. Sandhya, die jüngste Tochter von Yash, schneidet dieses unzählige Filmmaterial aus einem grossen Familienarchiv zusammen und spricht auf narrativ-inhaltlicher Ebene die Nostalgie an. Suri thematisiert im Film oftmals die Nostalgie einer Familie, die sich nach ihrer Heimat sehnt und gleichzeitig akzeptiert, dass eine solche Heimat, wie sie aus nostalgischer Perspektive betrachtet wird, nicht existieren kann und unterstützt dieses Nostalgiegefühl mit selektiven Super-8-Fragmenten.

Die Forschungserkenntnis meiner Bachelorarbeit ist, dass analogen Medien wie dem Super-8-Format in einer Welt der digitalen Medien neue Systemplätze und Funktionen zugewiesen werden. Super 8 ist einerseits mit seinen formatspezifischen ästhetischen Merkmalen und der damit verbundenen nostalgischen Aura auf rezeptorischer Ebene ein die Emotionen und nostalgischen Gefühle anregendes Filmformat. Andererseits wird diese die Nostalgie nach dem Materiellen, Haptischen und Vergangenen nicht nur auf ästhetische Merkmale reduziert und kann auch anders verwendet werden, beispielsweise in einer narrativen oder inhaltlich thematischen Montage von Super-8-Filmfragmenten.


[1] Pink Floyd: High Hopes. Text und Musik: David Gilmour, Polly Samson, 1994. Interpretiert von Pink Floyd, The Division Bell. EMI/Columbia Records, 1994.

[2] Tokyo on Super 8 – Willem Verbeeck. USA/GB 2018, Willem Verbeeck (YouTube: Gauge Film).

[3] I for India. GB/DE 2005, Sandhya Suri (DVD: ICA Films/ Fandango/zero west).

Giulio Bozzini

Bedeutung und Macht der Plattformen im Alltag: Ein Überblick

Es kommt oft vor, dass ich in unpassenden Momenten auf mein Handy schaue, oder dass ich zwanghaft darauf schaue, in der Hoffnung, dass etwas passiert. Ohne meine Abhängigkeit rechtfertigen zu wollen, glaube ich sagen zu können, dass meine Sucht kein Einzelfall ist, sondern zur Norm wird: Man muss sich nur die Leute in irgendwelchen öffentlichen Verkehrsmitteln oder bei einer Apero mit Freunden ansehen. In meine Bachelorarbeit habe ich versucht, diese kontinuierliche Verbindung zu erforschen, nach der viele Menschen suchen, mit der Hypothese, dass im Design und in der Funktionsweise der Plattformen selbst Elemente eingefügt werden, die einen relevanten Effekt auf das tägliche Leben der Menschen haben können.

Platform Capitalism

Ausgangspunkt war eine kurze wirtschaftliche Analyse aus der Zeit vor der Digitalisierungsexplosion. Um es kurz zusammenzufassen: Von den zahllosen Investoren, die in den 1990er Jahren auf den Zug aufgesprungen sind (und von denen die grosse Mehrheit pleite gegangen ist), gibt es heute nur noch eine relativ kleine Anzahl wirklich relevanter Plattformen, die sich jedoch zu wirtschaftlichen Giganten entwickelt haben. Darüber hinaus ist der Plattformsektor, insbesondere seit der Krise von 2008, einer der wenigen, die stetig gewachsen sind, im Gegensatz zu vielen anderen, wie z. B. die Manufaktur, die seit den 1990er Jahren einen stetigen Rückgang zu verzeichnen haben: Plattformen sind heute einer der Haupttreiber des Wirtschaftswachstums weltweit. Doch wie haben die heute relevantesten Plattformen (Google, Facebook, Amazon, Spotify, etc.) diese marktbeherrschende Stellung erreicht? Laut Srnicek (2015), dessen Lektüre ich jedem, der sich mit Plattformen beschäftigen will, sehr ans Herz lege, handelt es sich im Grunde um einen Teufelskreis: Die Plattformen, die als erste das wirtschaftliche Potenzial des Data Mining und vor allem der Datenanalyse mittels Algorithmen erkannt haben, konnten einen dem Plattform-Kapitalismus innewohnenden Teufelskreis ausnutzen: Wer es schafft, als erster grosse Datenmengen abzugreifen, verschafft sich durch seine Algorithmen einen Wettbewerbsvorteil, der seine Plattform konkurrenzfähiger als die Konkurrenz und attraktiver für die Nutzer macht. Obwohl Plattformen wie Uber und Amazon in ihrer Struktur sehr unterschiedlich erscheinen mögen, ist das Ziel eigentlich dasselbe: immer mehr Daten abzugreifen und neue Wege zu finden, um sie zu bekommen. Die Plattformen versuchen, die Anzahl der Nutzer und die Zeit, die sie auf der Plattform verbringen, kontinuierlich zu erhöhen.

Plattformen als Akteure

Ausgehend von den ökonomischen Überlegungen habe ich hauptsächlich zwei theoretische Ansätze genutzt, nämlich die Akteur-Netzwerk-Theorie (Callon 1998) und die Affordanztheorie (Bareither 2020). Was diese beiden Ansätze gemeinsam haben, ist der Wunsch, die nicht-menschlichen Elemente eines Netzwerks als aktive Akteuren zu verstehen. Ich habe daher eine Reihe von Designelementen vorgestellt und versucht zu zeigen, wie sie einen wichtigen Einfluss auf verschiedene Ebenen der zeitlichen Wahrnehmung von Menschen haben können. Es gibt viele mögliche Verbindungen, aber diejenige, die ich während der Arbeit am meisten erforscht habe, beinhaltet Hartmuth Rosas Konzept der sozialen Beschleunigung (Rosa 2013) und den Infinite Scroll (die Möglichkeit, unendlich durch einen Feed zu scrollen, wie z.B. auf Facebook oder TikTok). Eine Hypothese, die ich in Bezug auf diese beiden Aspekte untersucht habe, ist die Hypermodulation von Dominic Pettman (2016). Ähnlich wie bei der von Rosa beschriebenen zunehmenden Fragmentierung der Erfahrungen argumentiert Pettman, dass es für die Nutzer beim Scrollen durch die Feeds sehr schwierig ist, die Wichtigkeit der Informationen zwischen den einzelnen Beiträgen zu unterscheiden, was die potenzielle Wirkung jeder progressiven Instanz, die in den sozialen Netzwerken zirkuliert, stark verringert:

“What if the problem, however, is not that we are all synchronized to the same affective networks and moments, but the objects of a more exquisitely sinister modulation? What if the herd is being directed into different pastures, for quite different reasons? What if the raison d’être of so-called social media is to calibrate the interactive spectacle so that we never feel the same way as other potential allies and affines at the same moment?” (Pettman 2016)

Es ist genau diese Hemmung der fortschreitenden Instanzen, die eigentlich meine ursprüngliche Wahl bestimmt hat, dieses Thema zu entwickeln. Ich hatte oft den Eindruck, dass soziale Netzwerke im Kontext unseres Themas zu neutral behandelt wurden, wobei Mikro-Praktiken des Widerstands und des Empowerments durch punktuelle Analysen temporärer Dynamiken zum Nachteil eines breiteren Blicks auf den Einfluss der Plattformen auf das Alltagsleben der Menschen gepriesen wurden. Ich kritisiere keineswegs Widerstands- oder Empowerment-Praktiken per se, nicht zuletzt, weil ich, wie ich eingangs sagte, der Erste bin, der Unmengen an Zeit mit seinem Smartphone vergeudet, und das sicher nicht aus besonders konstruktiven Gründen. Ich bezweifle, dass diese Praktiken tatsächlich durch die Struktur und das Design der Plattformen vollständig gedämpft werden, und ich denke, dass diesem Thema innerhalb unseres Fachs eine grössere Bedeutung beigemessen werden sollte.

Zitierte Quellen:

  • Bareither, Cristoph (2020) Affordanz. In: Heimerdinger, Timo; Tauschek, Markus (2020) Kulturtheoretisch argumentieren. Ein Arbeitsbuch.
  • Callon, Michel (1998) Actor-Network Theory – The Market Test. In: Asdal, Kristin; Brenna, Brita; Moser, Ingunn (2007) Technoscience. The Politics of Interventions. Oslo: Oslo Academic Press, Unipub Norway.
  • Pettman, Dominic (2016) Infinite Distraction. Paying Attention to Social Media. Cambridge: Polity Press.
  • Rosa, Hartmut (2013) Social Acceleration: A New Theory of Modernity. New York: Columbia University Press
  • Srnicek, Nick (2015) Platform Capitalism. Cambridge: Polity Press.

Andrea-Luca Bossard

Black Space(s)[1]

Wir befinden uns im Jahr 2020 und George Floyd wird in Minneapolis auf offener Strasse von zwei Polizisten ermordet. In der darauf folgenden Sendung der «SRF Arena» klang es so, als wäre Rassismus ein Novum in der Schweiz. Personen wurden beleidigt und es schien so, als hätte sich die ganze Schweiz noch nie mit diesem Thema auseinandergesetzt. Im Verlauf des Jahres kamen am Laufband Musikvideos raus, welche uns in Erinnerung riefen, dass Black Lives still Matter. Man denke hier zum Beispiel an das Video von Anderson .Paaks Lockdown oder an Stormzys Superheroes, welche die BLM-Thematik zum Zentrum ihrer Videos machten.

Ich habe mich mit ‘Black Music Videos’ auseinandergesetzt und versucht zu verstehen, aus welchen Perspektiven diese zu lesen sind. Mir sind dabei Musikvideos ins Auge gestochen, welche ‘traditionell Weisse’ Räume, hier Ausstellungsräume, zu dekonstruieren schienen. Daraus ergab sich das Thema meiner Bachelorarbeit «Black Space(s). Weisse Museen als Schwarze Musikvideoräume». Ich habe mir die Frage gestellt, inwiefern Weisse Ausstellungsräume als Schwarze Musikvideoräume zu lesen sind. Ich möchte hier betonen, dass ich nicht versucht habe, die Komplexität des Rassismus allumfassend zu verstehen, sondern ich habe mich vielmehr dem Thema über populäre Medien anzunähern versucht. Mir ging es in der Arbeit darum, ein Themenfeld zu bearbeiten, welches meiner Meinung nach viel zu wenig beforscht ist, aber auch darum, die Stimmen Schwarzer Forscher*innen zu verstärken. Aktuelle Forschungsfelder wie Afrosurrealismus[2] und Afropessimismus[3], aber auch Evergreens der Black Culture wie zum Beispiel der Afrofuturism[4], haben mich bei meinen Analysen von drei Musikvideos begleitet.  Musikvideos sind grundsätzlich ein junges und aktuelles Medium, welches sich perfekt für unser Fach als Forschungsobjekte anbietet. In den von mir untersuchten Videos spielen traditionell Weisse Räume wie zum Beispiel Kunstgalerien und Museen eine zentrale Rolle. Wem gehören diese Räume? Was sagen sie uns und wer darf darin sprechen?

Weisse Räume?

Ich als Weisser Cis-Mann bin wahrscheinlich die letzte Person, die Rassismus im Alltag erfährt. Museale Räume wie Landesmuseen aber auch Kunstgalerien wie der White Cube scheinen an der Oberfläche ‘neutral’ und ‘öffentlich’ zu sein, sind aber durchzogen von Othering, Ausschluss und einer ‘westlich-Weissen’ Wissenstradition. Was wird ausgestellt, welche Geschichte wird dabei erzählt und wer darf diese Geschichte erzählen? Es geht darum, diese Räume als konstruiert und untrennbar von postkolonialen Debatten zu verstehen, was wiederum unweigerlich Fragen der Restitution aufwirft. Bis 1964 wurden in der Schweiz noch Menschen ausgestellt, die anders waren. Heute sind noch immer ‘andere’ und ‘orientale’ Objekte ausgestellt, welche eine vergangene und gegenwärtige Geschichte des Kolonialismus und der rassistischen Unterdrückung in sich tragen. Die koloniale Geschichte bildet mitunter das Fundament nationaler Museen. Die Modernistische Tradition des White Cubes ist ebenfalls nicht unbefleckt, sondern verschleiert hinter ‘Neutralität’ ihre wertende Haltung gegenüber ‘ornamentaler’ Kunst und der (Haut)farbe Schwarz als ‘primitiv’.

Schwarze Räume?

Der LA Rapper Westside Boogie verwandelt in seinem Video Nigga Needs einen White Cube in einen Raum Schwarzen Leids. Er stellt das afrosurreale Erleben von Rassismus im Alltag, die afrofuturistische Entfremdung durch Weisse Menschen und das ‘Ausgestellt-Sein’ als fremdes Schwarzes Wesen dar. Aus einer afropessimistischen Perspektive gelesen könnte man so weit gehen und ihn sogar als nicht-menschliches, sozial totes Wesen lesen, welches nur dazu dient, die dominante Weisse Mehrheitsgesellschaft in ihrer ‘Menschlichkeit’ zu bestätigen.

In Pa Salieus Raum des Musikvideos B***K finden wir uns in einem Schwarzen Museum wieder. Wir sind in einer Black Box, welche die Performanz der lebendigen Subjekte ins Zentrum stellt. Der Raum ist alles andere als tot. Wir sehen afrofuturistische Narrative in der Ästhetik eines vorkolonialen mystischen Afrikas, in vergangenen und gegenwärtigen Schwarzen Kämpfen gegen die Unterdrückung und in der Imagination einer pan-afrikanisch Schwarzen Zukunft. Wir befinden uns in einem zeitlich begrenzten Schwarzen Raum der Hoffnung und des Kampfes.

Im Musikvideo zu Apeshit wird der Louvre von den Carters (Beyoncé und Jay Z) erobert. Das Zentrum westlicher ‘Genialität’ wird von einem Schwarzen königlichen Powercouple eingenommen und so dekonstruiert. Vor Weisser Kunst findet Schwarze Performanz statt: Schwarze Frauen übertrumpfen Weisse Kaiser, Weisse Schönheitsideale werden dekonstruiert und der Körper der Schwarzen Frau wird entstigmatisiert.


[1] Ich verwende die Begriffe ‘Schwarz’ und ‘Weiss’ bewusst, da gerade ‘Schwarz’ als Selbstbezeichnung von unter Rassismus leidenden Person verwendet wird. Es wird dabei gross geschrieben, um die Konstruiertheit von Vorstellungen von ‘Rassen’ zu verdeutlichen.

[2] Spencer, Rochelle (Hg.): AfroSurrealism. The African diaspora’s surrealist fiction. London: Routledge, 2020.

[3] Wilderson, Frank B. III. (Hg.): Afropessimism. New York: Liveright Publishing corporation, 2020.

[4] Lavender, Isiah III. (Hg.): Afrofuturism Rising. The Literary Prehistory of a Movement. Columbus: The Ohio State University Press, 2019.

Claude Menzi

In meiner Bachelorarbeit habe ich mit dem Thema Essen befasst. Genauer interessierte ich mich für die Verbindung zwischen Kultur und Nahrung. Ich habe mich gefragt, inwiefern unterschiedliche Küchentraditionen zustande kommen und weshalb es Gerichte gibt, die für gewisse Regionen typisch sind. Um dem nachzugehen, habe ich eine spezifische Region als Fallbeispiel ausgewählt: die Bündner Gemeinde Vaz/Obervaz. Zudem ging ich davon aus, dass die Kultur des Ortes die dort typischen Speisen entscheidend mitprägt.

Meine Fragestellung beantwortete ich anhand qualitativer Interviews, deren Resultate ich mit Ergebnissen aus einer vorangegangenen Literaturrecherche abglich. Durch letztere stiess ich auf die Soziologin Eva Barlösius (2016), welche die Beziehung zwischen Natur, Kultur und Nahrung untersuchte. Ihre Ausführungen stellten so eine wichtige Grundlage für meine Bachelorarbeit und wurden anhand meiner eigenen Ergebnisse verglichen.

Ergebnisse

Die Analyse der Interviews stellten den Alltag der heutigen Bewohner in Bezug zu ihren Essgewohnheiten dar. Dabei konnten viele Aspekte, die die Küche der Gesprächspartner beeinflussen, herausgelesen werden. Einige dieser Aspekte sind von kulturellen Begebenheiten beeinflusst. Dazu gehört zum Beispiel die Erkenntnis, dass sie in ihrer Alltagsküche Rezepte und Methoden anwenden, die sie aus ihrer ursprünglichen Heimat mitgenommen haben. Durch dieses Erlernen der Zubereitungsweise der Gerichte nehmen sie gewisse kulturelle Werte, die ihnen durch das Zeigen mitgegeben wurde, mit. Ihre heutige Küche ist also von diesen beeinflusst und hat sich durch das Ankommen an einem neuen Ort durch die dortigen Produkte und Gerichte ergänzt. Dies zeugt davon, dass man heute nicht mehr von einer sogenannten One-Culture-Cuisine ausgehen kann (Tolksdorf 1993, S. 189). Es vermischen sich die Küchen verschiedener Regionen.

Weiter spielen die zur Verfügung stehende Zeit sowie die im Vorrat vorhandenen Produkte eine wichtige Rolle in Bezug darauf, was gekocht wird. Je nachdem, wie viel Zeit die Arbeit einnimmt, kann mehr oder weniger aufwändig gekocht werden. Dadurch, dass alle mit eigenen Produkten arbeiten, entwickelt sich mit der Zeit eine klare Linie, aufgrund der in der Küche gezaubert wird. Dies sorgt auch dafür, dass es immer wieder die gleichen Speisen gibt, was einerseits den Vorteil hat, dass Zeit eingespart werden kann, da man bereits weiss, wie man es zubereiten muss und andererseits sorgt es für Struktur im Alltag.

Die von der Natur geprägten Einflussfaktoren haben mit körperlicher Gesundheit zu tun.

Schliesslich lässt sich sagen, dass weder die Natur noch die Kultur allein dafür zuständig sind, wie sich das Essverhalten im Alltag der Bürger von Vaz/Obervaz ausgestaltet. Natur und Kultur sind wichtige Aspekte bei der Nahrungsaufnahme. Wo man jedoch Unterschiede feststellen kann, ist bei der Art des Bedürfnisses, welches sie erfüllen. Während die Natur eher biologische Abhängigkeiten befriedigt, ist die Kultur für die geistige Befriedigung zuständig. Schlussendlich sind aber beide von wichtiger Bedeutung im Alltag.

Quellen

Tolksdorf, Ulrich: Das Eigene und das Fremde. Küchen und Kulturen im Kontakt. In: Wierlacher, Alois et al.: Kulturthema Essen: Ansichten und Problemfelder. Berlin: Akademie Verlag, 1993. S. 187-192

Barlösius, Eva: Soziologie des Essens. Eine sozial- und kulturwissenschaftliche Einführung in die Ernährungsforschung. 3. Auflage. Weinheim: Beltz Juventa, 2016.

Nina Baumann

Der Soziologe Hartmut Rosa entwickelte vor einigen Jahren in seiner Monografie Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung (2016)[1] aus dem physikalischen Resonanzphänomen eine sozialwissenschaftliche Kategorie zur Beschreibung von Beziehungsqualitäten, genauer gesagt von einem spezifischen Modus des In-Beziehung-Tretens zwischen Subjekt und Welt. Rosa versteht Resonanzerfahrungen als ein «momenthafter Dreiklang aus konvergierenden Bewegungen von Leib, Geist und erfahrbarer Welt»[2]. Im Bereich der Kunst entstehen Resonanzbeziehungen immer dann, wenn ein bestimmtes Werk die Rezipierenden zu berühren vermag. Diese Überlegungen stellen den Ausgangspunkt meiner Bachelorarbeit dar, in der ich mich der kulturanthropologischen Untersuchung von sinnlich-leiblichen und ästhetischen Resonanzerlebnissen mit Musik und Gesang widme. Als Musikbeispiele wählte ich Pop-Balladen auf Englisch, Deutsch und Koreanisch sowie ein kürzeres neoklassisches Instrumentalstück. Unterschiedliche Sprachen sollten es deshalb sein, weil ich annahm, dass der Grad der Vertrautheit mit der sprachlich-semantischen Ebene ein wichtiger Faktor beim Musikerleben sein könnte.

Musik und Weltverhältnis

Musikhören als Alltagspraktik bietet mehr, als nur ästhetische Erfahrungen: Es kann die existenziellen (Resonanz-)Sensibilitäten und Resonanzfähigkeiten der Menschen steigern, zur nachhaltigen Verbesserung ihrer subjektiven Weltverhältnisse beitragen und damit auch der zunehmenden Entfremdung entgegenwirken. Die Musik ist für viele zu einer wichtigen Resonanzsphäre geworden. Es ist nicht nur die Stimmung, die wir mit Musik beeinflussen können, es ist vielmehr die gesamte «Gestimmtheit», unsere aktuelle und situative Beziehung zur Welt, die sich beim Musikhören unter Umständen sehr schnell ändern kann. «Resonanz Management» durch Musik ist heute auch deshalb in gewissem Masse möglich, weil wir gezielt entscheiden und wählen können, was wir wann, wo und wie hören.

Aber wie genau können solche psychisch-emotionalen wie körperlichen «Be-Rührungs-momente» mit Vokal- und Instrumentalmusik erlebt und beschrieben werden? Und wie kann es gelingen, die subjektive Musikwahrnehmung und -rezeption in ihrer ganzen Vielschichtigkeit empirisch untersuchen und aufzeichnen zu können – wo doch das mit den Sinnen Wahrnehmbare, Empfindbare, Emotionale, Affektive und Imaginative meist gar nicht so leicht in Worte zu fassen ist?

Empirische Annäherungen an Musik- und Resonanzerlebnisse

Methodisch orientierte ich mich hierfür an systematischen Herangehensweisen zur strukturierten Erfassung von (Zu-)Hörerlebnissen, wie sie Patricia Jäggi in ihrer Auditiven Ethnographie zu Klang und Kulturpolitik des internationalen Radios (2020)[3] aufzeigt und durchführt. Mit Auto- und auditiv-sinnlicher Ethnographie, also im Grunde aktiv teilnehmend-beobachtend, können auch die sinnlich-leiblichen Aspekte des Musikerlebens beobachtbar und analysierbar gemacht werden. Zum einen arbeitete ich mit einfachen und (tabellarischen) komplexen Wahrnehmungsprotokollen – komplex deshalb, weil dabei die Musik unter Anwendung verschiedener Hörmodi (strukturell, kausal, semantisch, reduziert und assoziierend) mehrfach angehört wurde. Zum anderen führte ich zwei kollektive Hörexperimente (mit einer Fünfer- und einer Zweiergruppe) mit anschliessendem Gespräch durch (informeller Austausch, Möglichkeit für Anmerkungen, Rückmeldungen und Diskussionen). Das gesamte Experiment hindurch beobachtete ich jeweils die Teilnehmer*innen und hielt fest, ob auch innere Reaktionen und Regungen im Aussen ersichtlich waren – eine mögliche (unwillkürliche) Reaktion auf die «Einschwingung» kann z.B. ein «Sich-mit-der-Musik-mitbewegen» sein – und ob irgendeine Art von Interaktion unter den Partizipierenden stattfand.

Die Teilnehmer*innen der Hörexperimente sollten ihre Reaktionen auf das Gehörte, ihre auditiven, visuellen, taktilen und olfaktorischen/gustatorischen Wahrnehmungen, all ihre Assoziationen, Empfindungen und Eindrücke möglichst unzensiert notieren oder bildlich darstellen. Die – mangels einer adäquateren Bezeichnung von mir so genannten – «Aufgabenblätter» wurden wie folgt gestaltet:

Auf diese Weise erhielt ich einen Einblick in die multisensorischen, synästhetischen Musik- und Resonanzerlebnisse anderer und konnte diese mit den eigenen vergleichen.

Spannende Ergebnisse

Die Entitäten, die an einer musikalischen Resonanzbeziehung beteiligt sind – hier wären das primär Künstler*in bzw. Interpret*in, Musik bzw. Komposition und Rezipient*in – können je nach Individuum und situativem Weltverhältnis auf verschiedenste und oft auch unerwartete Weisen «miteinander schwingen» und so Resonanzerfahrungen von unterschiedlicher Intensität, Art, Form und Ausprägung hervorrufen. «Be-Rührungsmomente», beruhend auf dem Gehörten, dem beim Zuhören Wahrgenommenen, Empfundenen oder auch «Wiedererkannten» (Identifizierung) und «Reaktivierten» (Erinnerungen), können sich auf diverse psychisch-emotionale und/oder physische Arten manifestieren. Die Musik kann auch Auswirkungen auf den eigenen Herzschlag, die Körpertemperatur oder Atmung haben, was beispielsweise eine insgesamt «entspanntere Weltbeziehung» zur Folge haben kann.

Welche Sinne nebst dem Hörsinn beim Musikhören besonders beteiligt sind, scheint im Allgemeinen personen- und musikabhängig zu sein. Generell spielen aber neben hör-biografischen offenbar auch «seh-biografische» Bezüge für das individuelle Musikerlebnis eine wichtige Rolle. Bei den imaginären «Kopfkino-Sequenzen» (als eine mögliche Reaktion auf die Musik) scheinen ausserdem Musikvideo-, Drohnenfilm- und andere filmische Einflüsse im Spiel zu sein. Musikbeispiel-übergreifend werden auch immer wieder Natur- und Landschaftsszenerien beschrieben, was darauf hindeutet, dass beim Musikhören potenziell auch weitere Resonanzsphären involviert werden. Die Wahrnehmung spezifischer Farben scheint jeweils mit inneren (Sinn-)Bildern zusammenzuhängen oder eine Reaktion auf musikalische Besonderheiten und vermittelte Stimmungen zu sein.

Die subjektiven, notizartigen Beschreibungen der synästhetischen Musik- und Resonanzerlebnisse wiesen vokabularisch wie inhaltlich viele Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten auf, auch bei der instrumentalen oder der (personenbedingt) fremdsprachigen Musik. «Be-Rührungsmomente» oder Gefühle des «Angesprochenseins» wurden immer wieder durch dieselben oder sehr ähnliche musikalisch-instrumentale und stimmlich-gesanglich-textliche Elemente, Eigenschaften, Sinnes- und Ausdrucksqualitäten ausgelöst, oder auch durch ein «empathisches Mitfühlen» bzw. ein Einfühlen in die jeweiligen Interpret*innen (oder in die Musik).

Das «Wie» von Gesang und Musik ist oftmals entscheidender als das «Was». Als Auslöser lassen sich immer wieder Besonderheiten, Dynamiken oder plötzliche Veränderungen in der Musik oder im Gesang bezüglich Lautstärke (manchmal im Zusammenhang mit der Bassstärke), «Textur»/«Färbung», Kraft und «(Klang-)Masse», Tonhöhe oder -länge und Tempo eruieren, aber auch eine «harmonische Mehrstimmigkeit», das Harmonieren der Stimmen oder des Gesangs im Zusammenspiel mit der Musik, eine bestimmte Melodie oder das Spiel einzelner Instrumente kann berühren. All diese Aspekte können in der Kombination die Wahrnehmung einer «Steigerung» ausmachen oder sich auf die Empfindung des «Eindringlichkeitsgrads» der Musik auswirken.


[1] Die resonanztheoretischen Ausführungen in diesem Beitrag beruhen auf Rosa, Hartmut: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp, 2016.

[2] Ebd., 290.

[3] Jäggi, Patricia: Im Rauschen der Schweizer Alpen. Eine auditive Ethnographie zu Klang und Kulturpolitik des internationalen Radios (Musik und Klangkultur, 46). Diss. Basel/ Bielefeld: transcript, 2020.

Nevena Marjanovic

Memes als Erzähler der Hamsterkäufe während der Corona-Pandemie

Abb. 1 – This is fine.

Wir alle haben das Meme gesehen: Das Bild eines anthropomorphisierten Hundes, der sich selber zu überzeugen versucht, dass alles in Ordnung ist. Er sitzt in einem Raum, umgeben von Feuer, und trinkt Kaffee. Diese Illustration wird oftmals benutzt, um eine Selbstverleugnung oder Akzeptanz in einer hoffnungslosen Situation darzustellen.[1] Anfang des Jahres 2020 wurde die Kaffeetasse mit einem Haufen WC-Papierrollen ersetzt, um zu thematisieren, wie öffentliche Panik bezüglich des Coronaviruses zu WC-Papiermangel geführt hat.

Menschen wenden sich oft an populäre Kultur und Humor, um Antworten zu sozialen Dilemmas zu finden.[2] Memes waren schon immer ein Teil der menschlichen Kultur, doch es ist ein relativ neues Phänomen, dass der Meme als ein Konzept entwickelt und akzeptiert wird, welches deskriptive und erklärende Wirkung in Bezug auf kulturelle Geschehnisse hat.[3] Ihre Viralität (bzw. schnelle Informationsweitergabe von Mensch zu Mensch) erlaubt, dass neue Perspektiven und neue Narrative unter vernetzten Individuen geteilt werden. [4]

In meiner Arbeit wurden Memes als postdigitale Medien gesehen, die als Erzähler eine Narration darüber wiedergeben, wie Menschen mit der neuen Normalität der Corona-Zeit, und darunter entstehenden Spannungen, umgehen und neue Bedeutungen erzeugen.

Inwiefern sind postdigitale Memes Erzähler der Hamsterkäufe, die während der Corona-Pandemie stattgefunden haben und welche Emotionen werden dabei getan?

Die Arbeit begrenzte sich auf Memes mit Bild-Text-Komposition und beachtete nicht die GIF’s. Für ein erleichtertes Verständnis wurde bei jedem Meme der Enstehungskontext geschildert. Ein weiterer Aspekt war die Narration, wobei die Rollen der dargestellten Figuren wichtig waren. Darauf aufbauend waren auch Fragen des Diskurses zentral, wie die Bedeutung von Memen, soziale Beziehungen und Werte, Überzeugungen und Weltanschauung, die mit dem Meme kommuniziert werden. Auch Aspekte der Emotionspraktiken (bzw. Wie wird eine Emotion in bestimmten Memen getan?) und die eingesetzten Humorstrategien wurden näher angeschaut.

Die Memes wurden thematisch in drei Gruppen mit jeweils vier Memen eingeteilt: Der Überlebenskampf, Der Wertgegenstand und Die Zukunft.

Abb. 2 – Der Überlebenskampf

Abb. 3 – Der Wertgegenstand

Abb. 4 – Die Zukunft

Bei der Bildreferenz wurden im Falle des Einkaufens und der Zukunft Filme eingesetzt, die ein düsteres Weltbild haben. Solche Referenzen haben zur Folge, dass die Corona-Situation als etwas Finsteres gleichgestellt wird. In Unterschied zu ihnen handelt es sich beim Wertgegenstand um eine alltägliche Szene – Verhandlung von Gütern. Somit ist sie nah an der Normalität vor und während der Corona-Zeit.

Bezüglich der Rollen nehmen beim ersten Blick alle Figuren die Rolle des Helden ein. Die Figuren riskieren ihr Leben, um Menschen zu helfen. Doch zugleich sind sie auch Opfer – Die Heldentat bringt mit sich die Gefahr vor Ansteckung. Alle Beispiele versuchen über gewisse Humorstrategien die Menschen, die gehamstert haben zu delegitimieren. Dabei wurden hauptsächlich Überspitzung, Ironie und Inkongruenz angewendet. Die übertriebene Panik wird ausgelacht, da sie ursprünglich zum Hamsterkauf geführt hat.

In meiner Arbeit wurde vorgeschlagen, dass Memes nur als «partial stories» verständlich und analysierbar sind. Wenn sie als Einzelne angeschaut werden, haben sie eine begrenzte Narration für die User*innen oder werden nur für bestimmte Gruppen oder User*innen begreifbar.[5] Wie es Saint Lauren und Kolleg*innen beschreiben: «However, when considered as a group and especially across time, memes offer valuable insights into developing plots used to make sense of a particular social and political reality like the Covid-19 pandemic which goes well beyond the realm of the biological or the medical»[6].

Quellen

Knobel, Michele und Colin Lankshear: Online Memes, Affinities, and Cultural Production. In: Dies. (Hg.): A new literacies sampler. New York: Peter Lang Publishing, Inc., 2007, 199–228. ISBN 978-0-8204-9523-1.

MacDonald, Shana: What Do You (Really) Meme? Pandemic Memes as Social Political Repositories. In: Leisure Sciences. An Interdisciplinary Journal 77/43(1-2) (2021), 143–151, https://doi.org/10.1080/01490400.2020.1773995 (Abgerufen: 18.05.2021).

Saint Lauren, Constance de, Vlad Glaveanu und Ioana Literat: Internet Memes as Partial Stories. Identifying Political Narratives in Coronavirus Memes. In: Social Media and Society 2021, 1-13.


[1] Knowyourmeme: https://knowyourmeme.com/memes/this-is-fine (Abgerufen: 29.06.2021).

[2] Vgl. Rushkoff, zit. nach Börzsei 2013, 23.

[3] Vgl. Knobel & Lankshear 2007, 203.

[4] Vgl. Mina, zit. nach MacDonald 2021, 144.

[5] Vgl. Saint Lauren et al 2021, 11.

[6] Ebd., 11.

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