Was ist überhaupt der Zweck der Identitätskarte, wenn doch der Pass alles kann, was die ID kann, aber das Reisen in mehr Länder ermöglicht und dazu noch einen Chip trägt? Diese Frage habe ich mich irgendwann vor der Abstimmung zur E-ID im März dieses Jahres gefragt und daraufhin beschlossen, diese eigentlich simple Frage in meiner Bachelorarbeit weiter zu untersuchen. Denn selbst mit genauerem Googeln lässt sich diese Frage für unsere heutige Gesellschaft nicht beantworten. Gesetzlich sind sowohl die Identitätskarte als auch der Pass im Ausweisgesetz verankert und somit gleichgestellt. Somit musste ich historisch arbeiten und begann das Staatsarchiv des Kantons Zürich und das Bundesarchiv nach Antworten zu durchstöbern.

Die Wirren des Krieges waren die Umstände, unter welchen die Identitätskarte erstmals herausgegeben wurde. Offiziell eingeführt wurde die Identitätskarte am 18. Mai 1940, also noch während dem Zweiten Weltkrieg. Im Kreisschreiben vom EJPD an die Kantone, welches die Identitätskarte einführte, wurde dann auch gemahnt, dass ein Nicht-Einführen eines ständig mitgetragenen Ausweises sich besonders nachteilig auswirken würde. Warum das denn nun so nachteilig sein soll und was der Zweck eines solchen sich Ausweisens sein soll, wurde jedoch nicht geschrieben. Die Identitätskarte wurde auch zunächst nur als Alternative angeboten für Kantone, welche nicht bereits ein amtliches Dokument besassen, das den Vorgaben des EJPD genügte. Dies konnten beispielsweise Pässe, kantonale Identitätskarten oder Evakuierungsausweise sein. Da jedoch der Pass sehr wenig verbreitet war und nur wenige Kantone gleichwertige Ausweise kannten, übernahmen die meisten Kantone die staatliche Identitätskarte. Der Zweck, den diese neuen Identitätskarten erfüllten, blieb somit unklar, auch wenn sie oft als Evakuierungsausweise angepriesen wurden.[1]

Die Veränderung der Raison d’Être der Identitätskarte war bedingt durch ihre Verbreitung und das Ende des Krieges. Schon kurz nach ihrer Einführung gewann die Identitätskarte eine weitere Funktion. Da sie weit verbreitet war, musste das Departement der Post schon bald abklären, ob die neuen Ausweise, die nun alle auf sich trugen, auch verwendet werden konnten, um sich am Postschalter auszuweisen und somit Post empfangen zu können.[2] Mit dem Ende des Krieges wurde die Identitätskarte ausserdem zunehmends von Kantonen und bald auch vom Staat selbst als Passersatz bei Auslandsreisen akzeptiert.[3] Die Identitätskarte hatte somit das Mäntelchen des Evakuierungsausweises abgelegt und bestritt in der Nachkriegszeit neue Räume. Ausländische Grenzen, Postschalter, Kinokasse und viele andere akzeptierten nun je länger je mehr auch die Identitätskarte für ihre Leistungen. Ausserdem wurde die Identitätskarte in den 50er Jahren erstmals in ihrer Ausstellung in der ganzen Schweiz vereinheitlicht, was ihre überregionale und internationale Akzeptanz nochmals erhöhte. Dies bedeutete aber auch, dass sie immer mehr auch in Räume vordrang, die schon besetzt waren. Der Pass war ja schon Grenzpassierschein und eigentlich hatte der Heimatschein lange als Inlandsausweis fungiert. Diese Zweckkonflikte führten dazu, dass der Heimatschein in den 80er Jahren seinen Status als Inlandsausweis verlor und zur Familienstandsurkunde wurde und der Pass im Jahr 2001 mit der Identitätskarte als Inlands- und Reiseausweis gleichgeschaltet wurde.[4]

Die Gegenwart und die Zukunft könnten also wie aussehen? Die Identitätskarte besass also durchaus mal einen eigenen Zweck, der zwar amtlich nicht scharf vorgegeben war, aber dennoch klar an einen Kriegskontext gebunden war. Mit dem Verlust dieses Zweckes eignete sie sich aber neue Zwecke an und wurde so zum Pass Light, als welchen wir sie heute kennen. Da sie als solche heute abgesehen von ihrer Handlichkeit müssig ist, wird sie diesen Status wohl nicht länger halten können. Sowohl am RFID-Chip im Pass als auch an Gesichtserkennungs- und Fingerabdruckscan-Technologien zeigt sich, dass das Pass- und Ausweiswesen stark im Wandel ist. Der Ausweis der Zukunft könnte also eine gechipte Passkarte sein, welche die Mächtigkeit des Passes und die Handlichkeit der Identitätskarte vereint. Oder vielleicht dient ja der Körper selbst – über seine biometrischen Daten – bald als Ausweis und ein zusätzliches Dokument ist gar nicht mehr nötig.


[1]      Vgl. Dossier Identitätskarte für Schweizerbürger (Neue Ref.: 730.1) mit Signatur E4260C#1974/34#936* im Schweizerischen Bundesarchiv, 1939-1956.

[2]      Vgl. ebd.

[3]      Vgl. Rüegg, Ernst Das Passwesen. International rechtsvergleichende Studie zum schweizerischen Passrecht, S. 18.

[4]      Vgl. Verordnung über den Schweizerpass. In: Sammlung der eidgenössischen Gesetze. 27. Bern, 17. Juli 1959. S.581- 585. Zivilstandsverordnung. ZStV. In: Amtliche Sammlung des Bundesrechts. 211.112.2. Bern, 22. Juni 2004, S. 2915–2950, Bundesgesetz über die Ausweise für Schweizer Staatsangehörige. Ausweisgesetz, AwG. 143.1. Bern, 1. Jan. 2018.