Das Sanatorium „Lebendige Kraft“

Von Stella Lucia Crevola

Keltenstrasse 48, 8044 Zürich (Karte) (Karte2)

Daher wächst die Notwendigkeit, die zur Heilung günstigen Bedingungen – wie Lebensordnung, zweckmässige Ernährung, Milieu, alle Mittel und Fähigkeiten zu ausreichender Untersuchung, Beobachtung und Behandlung – an einem Ort zu vereinigen und so ein organisiertes, der Aufgabe des Heilens genügendes Instrument in der Hand des Arztes – ein Sanatorium – zu schaffen.

Maximilian Bircher-Benner, Schweizer Arzt und Ernährungsreformer

Der Schweizer Arzt und Ernährungsreformer Maximilian Bircher-Benner ist vor allem für die Erfindung des Birchermüslis bekannt. In diesem Blog soll Licht auf die Geschichte seines ehemaligen Sanatoriums „Lebendige Kraft“ am Zürichberg mit bester Aussicht geworfen werden. Heute wie Gestern ein Ort mit Ausstrahlungskraft, der zum Verweilen einlädt.


Abb. 1: Gedenkstein zum Andenken des Gründer des Sanatoriums „Lebendige Kraft“

Das Birchermüsli

Das Sanatorium «Lebendige Kraft» des bekannten Schweizer Arztes Maximilian Bircher-Benner war, vergleichbar mit anderen Sanatorien und Privatkliniken des frühen 20. Jahrhunderts, Ort der konsequenten Anwendung von hygienischen und sozial-,1 beziehungsweise ernährungsreformerischen Konzepten, die sich als Antwort auf die prekäre Gesundheitslage zu Zeiten der industriellen Revolution der in die Peripherie gedrängten städtischen Unterschicht verstehen. Im Sanatorium Bircher-Benners wurde insbesondere grossen Wert auf die des Arztes entwickelte Rohkost-Lehre, eine naturnahe Lebensführung und viel Bewegung in der Natur gelegt. Seine «Apfeldiätspeise», dem Schweizer Publikum wohl eher als «Birchermüsli» bekannt,2 darf jedoch nicht als eine sich singulär entwickelte Revolution der Ernährungsreform betrachtet werden, sondern als Einreihung in bestehende Reformgedanken, die sich bereits aus meist vegetarisch orientierten Grundsätzen herausentwickelt hatten.3

Abb. 2: Max Bircher-Benner beim Genuss seiner „Apfeldiätspeise“

Touristische Attraktivität und prominente Gäste

Besucht wurde das Sanatorium aufgrund der touristisch attraktiven Lage am Zürichberg und der international steigenden Popularität Bircher-Benners nicht nur von einheimischen, sondern zunehmend auch von ausländischen Gästen. Darunter fanden sich prominente Persönlichkeiten wie der deutsche Schriftsteller Thomas Mann, der das Sanatorium in Anlehnung an das strikte Gesundheitsregimes Bircher-Benners als «hygienisches Zuchthaus»4 umschrieb, dem sich die Patienten jedoch stets freiwillig unterwarfen.

Abb. 3: Das Haupthaus im Jahre 1937

Die Bedeutung der Lage

Das im Jahre 1904 von Bircher-Benner erbaute Sanatorium «Lebendige Kraft» steht beispielhaft für das Spannungsverhältnis zwischen städtischem Flair und der Anknüpfung an eine vorindustrielle, bäuerliche Schweiz.

Die Lage des Sanatoriums am damals noch unverbauten Zürichberg mit Blick auf Berge und See, umgeben von Wiesen, Wäldern und Bauernhöfen,5 machten die von Bircher-Benner propagierte Nähe zur Natur, ja gar deren Anbetung möglich, ohne die Vorzüge der Proximität zur Stadt missen zu müssen. So war es den Gästen des Sanatoriums erlaubt das urbane Unterhaltungs- und Freizeitangebot zu nutzen, um am Abend wieder, zufrieden durch die dargebotene Abwechslung, einzukehren. Dieses Spannungsverhältnis zwischen städtischem Flair und der Anknüpfung an eine vorindustrielle, bäuerliche Schweiz, die durch die Industrialisierung zum nostalgischen Traum geworden war,6 macht sich auch in der Architektur der verschiedenen Gebäude bemerkbar. Der Kontrast erschliesst sich insbesondere bei der Betrachtung des im Heimatstil erbauten Haupthauses und den unweit im Chaletstil errichteten Stein- und Vollholzbauten, den sogenannten «Bernerhäuschen»,7 die den Klinikgästen dank ihren ansehnlichen Balkonfronten den Kontakt mit der Natur auf eine einzigartige Weise ermöglichten. So lässt sich zusammenfassend sagen, dass Bircher-Benner, der sich ebenfalls intensiv mit Psychosomatik beschäftigte, die an alpine Hütten erinnernden Gebäude errichten liess, um seinen Sanatoriumsgästen ein Gefühl von Eingebettetsein in der Natur zu vermitteln.8

Abb. 4: Das grösste der drei Chalets, die Wilhelmina, entstand 1912 und damit ganze sechs Jahre nach den beiden Chalets Alice und Marguerite

Abb. 5: Die einladende Balkonfront der Chalets mit Blick auf Berge und See

1994 wurde das Sanatorium „Lebendige Kraft“, welches Mitte des Jahrhunderts in „Privatklinik Bircher-Benner“ umbenannt wurde, geschlossen. Das Anwesen war damals in kantonalem Besitz. Heute befindet sich das Zurich Development Center an diesem geschichtsträchtigen Ort.9 Von Bircher-Benner bleibt uns seine „Apfeldiätspeise“, oder wie man im Schweizerischen Volksmund sagt, das Birchermüsli.


Abbildungsverzeichnis:

Beitragsbild: private Aufnahme

Abb. 1: Privataufnahme

Abb. 2: Archiv für Medizingeschichte, Universität Zürich

Abb. 3: https://baz.e-pics.ethz.ch/main/thumbnailview/qsr=Bircher-Benner

Abb. 4: Privataufnahme

Abb. 5: https://www.zurichdevelopmentcenter.com/z/general-information/gallery-downloads

Literaturverzeichnis:

Alle mit Fussnoten gekennzeichnete Textstellen und das Zitat stammen aus dem Werk: Wolff, E.: Lebendige Kraft. Max Bircher-Benner und sein Sanatorium im historischen Kontext. Baden 2010, „Lebendige Kraft – Max Bircher-Benner und sein Sanatorium im historischen Kontext“.

Zum 150. Geburtstag Maximilian Bircher-Benners gibt das SRF einen gelungenen Überblick zur Person und seinen Überzeugungen.

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