Bürgerasyl-Pfrundhaus

Leonhardstrasse 16

von Janis Sigg

Direkt neben der ETH thront das Gesundheitszentrum Bürgerasyl-Pfrundhaus über der Stadt Zürich, seines Zeichens das älteste Altersheim der Stadt. Es stammt aus einer Zeit, in der die Menschen begannen immer älter zu werden und das Bedürfnis nach Pflege und Unterkunft für alte Leute stetig wuchs. Die prächtigen Gebäude aus dem 19. Jahrhundert erzählen von der bewegten Geschichte der Altenpflege und stehen repräsentativ für einen Aufbruch in eine neue Ära der Altersversorgung..

Abbildung 1: Das Bürgerasyl (rechts) und Pfrundhaus (links) um 1879

Entwicklung der Altenpflege

Der Blick zurück in der Geschichte zeigt ein oft hartes Bild des Alterns. Grundsätzlich arbeitete man bis zum Tod. Alt war, wer aufgrund von Krankheit und Gebrechlichkeit den eigenen Lebensunterhalt nicht mehr aus eigener Kraft bestreiten konnte. So definierte sich das „Alt sein“ weniger über die Anzahl Lebensjahre, sondern mehr über eine schlechten Gesundheitszustand und eine schwierige Erwerbssituation am Lebensabend. Alte wurden in der Familiengemeinschaft beschäftigt und gepflegt, Alleinstehenden versuchten Kirchen und Kommunen unter die Arme zu greifen. Auch Spitäler nahmen damals als multifunktionale Einrichtungen betagte Bürger auf.

Die Altersversorgung stellte jedoch aufgrund der hohen Sterblichkeit kein relevantes Problem dar, so machten über 60-jährige im Mittelalter nur 2-3% der Gesamtbevölkerung aus. Mit der Industriellen Revolution stieg die Lebenserwartung und folglich auch der Anteil betagter Personen, so erreichte der Anteil der über 60-jährigen im Verlauf des 18. Jahrhunderts über 10%. In dieser Zeit zeigt sich auch eine allmähliche Differenzierung der caritativen Institutionen. Die Trennung der Altersversorgung vom Spital führte schliesslich auch zu spezialisierten, entsprechend ausgerichteten Bauten.

Die Gebäude

Der Ursprung des Pfrundhauses lässt sich bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgen. Damals lebten sogenannte Pfründer im Sondersiechenhaus St. Jakob. Mitte des 19. Jahrhunderts befand sich dieses jedoch in einem desolaten Zustand. Folglich entschied die Stadt Zürich, welche damals ca. 40’000 Einwohner zählte, einen grosszügigen Neubau zu errichten.

Das Pfrundhaus St. Leonhard wurde von 1840-1842 nach Plänen des Zürcher Architekten Leonhard Zeugheer erbaut, welcher auch für die Realisierung des Kantonspitals, dem heutigen Universitätsspital, zuständig war. Als Standort wurde das Gebiet der ehemaligen Schanzen (Zürcher Stadtbefestigung aus dem 17. Jahrhundert) gewählt. Hier entstanden in den folgenden Jahrzehnten neben dem Pfrundhaus u.a. ein modernes Spitalgebäude, die Blinden- und Taubstummenanstalt, die neu gegründete Kantonsschule, das Polytechnikum (ETH) und ein Museumsgebäude als Vorläufer des Zürcher Kunsthauses. Das Pfrundhaus erzählt somit vom Aufbruch in ein neues, besseres Zeitalter, welches Würde und Entwicklungsmöglichkeiten für alle Menschen in den Vordergrund stellen wollte. Zeugheer war folglich darum besorgt, die Bauten mit der neusten Infrastruktur auszustatten. So erwähnte die Zürcher Sektion des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) die «Pfrundanstalt zu St. Leonhard» in ihrer 1877 herausgegebenen Broschüre «Zürichs Gebäude und Sehenswürdigkeiten» ausführlich und lobend. Besonders hervorgehoben wurden dabei die beiden Badezimmer, die Speiseaufzüge und die damals äusserst erstaunliche Tatsache, dass die Zimmer der Pfründer durch eine Zentralheizung erwärmt wurden. Das prächtige Äussere und die moderne Infrastruktur liess sich die Stadt 277’000 Franken kosten. 1877 wurde das Bürgerasyl nach dem Vorbild des benachbarten Pfrundhaus unter der Leitung von Emil Schmid-Kerez errichtet.

Bauwerke müssen in einem grösseren Zusammenhang betrachtet werden. Die Entstehungszeit des Pfrundhauses und des Bürgerasyls stand im Zeichen des Liberalismus. Der offene Zeitgeist, der generell dem Fortschritt verpflichtet war und der die Fürsorge als wichtige Aufgabe der öffentlichen Hand und der privaten wohltätigen Organisationen proklamierte, erklärt, warum beim Bau weder Kosten noch Mühen gescheut wurden. Doch mit grosser Wahrscheinlichkeit war Gutmütigkeit gegenüber Bedürftigen nicht allein der Grund für die kostspieligen Bauten. Sie boten der Obrigkeit der zunehmend reichen Stadt Zürich auch eine willkommene Gelegenheit zur Imagepflege und Selbstdarstellung.

Das Leben in Bürgerasyl und Pfrundhaus

Vor allem ärmere Leute wohnten im Pfrundhaus. Wer hier leben wollte, hatte seine Pfründe einzubringen, das heisst, sein gesamtes Hab und Gut abzutreten um dafür lebenslange Kost und Logis zu erhalten. Diese waren zum Beispiel Bedienstete der reichen Zürcher. Ihre Lebensumstände im Pfrundhaus standen in einem starken Kontrast zum grossherzigen und liberalen Bild, welches die Zürcher Regierung mittels der Bauten von sich vermitteln wollte. Sie mussten entsprechend ihrer Möglichkeiten in Haushalt, Küche und ebenso im grossen Garten sowie im unterhalb des Pfrundhauses und entlang der heutigen Weinbergstrasse gelegenen Weinberg mithelfen. Blumen und Gemüse aus dem Garten wurden auf dem Markt verkauft. Ebenso waren die Bewohner*innen einer strengen Hausordnung unterstellt. Nach 21 Uhr durfte das Haus ohne Erlaubnis nicht verlassen werden, um 22 Uhr war Lichterlöschen. Wer gegen die Hausordnung verstiess, wurde bestraft, zum Beispiel mit Entzug der Weinration oder des Wochenfrankens. Damals zählte das Pfrundhaus etwa 100 Bewohner*innen, welche von 8-10 Angestellten betreut wurden. Das Durchschnittsalter lag zu dieser Zeit bei etwa 62 Jahren.

Die gut betuchte Bevölkerung Zürichs dagegen kam im Bürgerasyl unter. Hier bestand keine Verpflichtung zur Mitarbeit und auch die Hausordnung führte weniger strenge Regeln. Hier lebten keine Pfründer. Die hier Ansässigen waren in der Lage, für Zimmer und Dienstleistungen zu bezahlen ohne ihr gesamtes Vermögen abtreten zu müssen. Für zwischen 1200 und 1800 Franken pro Doppelzimmer sowie 600-800 Franken für ein Einzelzimmer kamen die sogenannten „Kostgänger“ in den Genuss von deutlich mehr Angestellten. Eine Köchin sorgte für die Speisen, Mägde und Knechte bestellten den Haushalt. Auch ein Hausarzt sowie ein Pfarrer zählten zur Belegschaft. Für Möbel, Kleidung und Licht im Zimmer musste jedoch selbst gesorgt werden.

„Das Bürgerasyl hat den Zweck, älteren ehrbaren Stadtbürgern beiderlei Geschlechts eine gesunde und einfache Wohnung mit bürgerlicher Kost gegen eine entsprechende Entschädigung zu bieten […]. Dasselbe ist besonders für einzelnstehende Personen bestimmt, die ein eigenes Hauswesen weder führen können noch wollen. Geisteskranke, sowie mit ansteckenden oder ekelerregenden Krankheiten Behaftete sind ausgeschlossen“

§1 der „Statuten für das Bürgerasyl“ aus dem Jahr 1883

Die Verwaltung lag bei der Bürgerasyl- und Pfrundhauskommission. Sie bestand aus zwei Unterkommissionen, eine pro Institution und war für die Aufsicht über den Betrieb, die Finanzen sowie das Personal zuständig. Ausserdem verfasste sie die Hausordnung und setzte diese durch.

Abb. 2: Pfrundhaus (links) und Bürgerasyl (rechts) 2024

Entwicklung bis heute

Mit der Zeit wurde die Hausordnung stetig gelockert. So durfte das Haus ab 1929 auch ohne Erlaubnis nachts verlassen werden und ab 1965 erhielten alle Bewohner*innen einen eigenen Schlüssel. Der letzte Pfrundvertrag wurde 1971 unterzeichnet. 1981 übernahm das Sozialamt der Stadt Zürich die beiden Altersheime, die heute beim Gesundheits- und Umweltdepartement angesiedelt sind. Fortan wurden Bürgerasyl und Pfrundhaus als reguläre Altersheime geführt.

Auch die Bausubstanz wurde im Lauf der Jahre stetig angepasst und modernisiert. 1961 wurden die Zimmer mit fliessend Warm- und Kaltwasser ausgestattet. In den 1970er Jahren drohte den beiden Gebäuden der Abriss, was jedoch von Denkmalpflege und Bevölkerung verhindert wurde. 1992 wurden beide Häuser gesamtsaniert und im Zuge dessen baulich sowie betrieblich zu einer Einheit zusammengefügt.

Heute ist das Bürgerasyl-Pfrundhaus ein modernes Altersheim mit deutlich weniger Regeln und mehr Privilegien. Insgesamt leben 100 Personen in den beiden Gebäuden, welche von 85 Angestellten betreut werden.

Die zeitliche Entwicklung
1842Das neue Pfrundhaus wird nach dreijähriger Bauzeit eröffnet.
1877Das Bürgerasyl wird in direkter Nachbarschaft nach Vorbild des Pfrundhauses errichtet.
1965Die strenge Hausordnung wird gelockert, alle Bewohner*innen sind von nun an frei im kommen und gehen.
1971Der letzte Pfrundvertrag wird unterzeichnet.
1981Das Departement Soziales übernimmt das Bürgerasyl und Pfrundhaus und führt es von nun an als reguläres Altersheim.
1992Bürgerasyl und Pfrundhaus werden renoviert und baulich zu einer Einheit zusammengefügt.
Bildquellen

Beitragsbild: Zürich, Pfrundhaus und Bürgerasyl. [Zürich] : Krebs Hans, 1979. ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Com_L28-0115-0001-0006 http://doi.org/10.3932/ethz-a-001289163


Abb. 1: Bürger-Asyl Zürich. [Zürich?] : [Verlag nicht ermittelbar], 1879. Zentralbibliothek Zürich. , Zürich G1, Universitäts-Qu., Bürgerasyl I, 1 https://doi.org/10.3931/e-rara-65638


Abb. 2: eigene Aufnahme

Literatur

100 Jahre Bürgerasyl der Stadt Zürich. (1977). In Neue Zürcher Zeitung.

Bürgerasyl, & Bürgerasyl. (1876). [Dokumentensammlung]. Bürgerasyl.

Schönauer, R. G. (1990). Einige historische Anmerkungen zum Pfrundhaus Zürich. In Schweizer Ingenieur und Architekt.

V.J.P.c.26. Bürgerasyl-Pfrundhaus. Akten, 1725-1998

Seiler, R. (2004). Hospiz – Pfrundhaus – Altersheim : Anmerkungen zur Geschichte des Wohnens im Alter. In Werk, Bauen + Wohnen (Swiss ed.) (Bd. 91, Nummer 1/2, S. 4-). Verlegergemeinschaft Werk, Bauen + Wohnen. https://doi.org/10.5169/seals-67712