Vorwort

Das vorliegende Pressbook stellt das Resultat des 4-semestrigen Lehrprojekts Interkomprehension: Spracherwerb BKMS-Russisch dar. Dieses kompetitive Lehrprojekt wurde Ende 2019 von der Universität Zürich gutgeheissen und über vier Semester hinweg (FS 2020 – HS 2021) durchgeführt. Am Projekt waren zwei Sprachlektorinnen und zwei Tutor*innen beschäftigt. Für die aktive, sehr inspirierende und fruchtbare Beteiligung unserer Studierenden, die unsere Veranstaltungen und den Workshop besuchten, möchten wir uns explizit schon an dieser Stelle bedanken.

Jelena Gall (BKMS-Sprachlektorin) und Jovanka Antić (unsere Russisch/BKMS-Tutorin) haben im Januar 2021 dieses Pressbook, auf dem zuvor nur ein Teil unserer H5P-Übungen und Unterlagen zum Workshop zu finden waren, endgültig gestaltet und das ganze Material hochgeladen.

Interkomprehension:

Der Begriff «Interkomprehension» wird in der europäischen Sprachwissenschaft seit den 1990er-Jahren im Zusammenhang mit der insbesondere im Bereich der Sprachdidaktik behandelten Mehrsprachigkeit verwendet und bedeutet «das Verstehen einer fremden Sprache, ohne diese zuvor formal erlernt zu haben» (Meißner 2004).

Der Interkomprehensionszugang in der universitären Lehre bedeutet konkret, dass die Studierenden Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den verwandten Sprachen unter die Lupe nehmen, um die grammatikalischen Strukturen der einzelnen Sprachen besser zu verinnerlichen, sowie einen sicheren Umgang mit häufig identischen oder sehr ähnlichen Formen des Grundwortschatzes einzuüben. Aufgrund dieses vergleichenden Zugangs entwickeln die Studierenden ausserdem die Fähigkeit, Texte in der Sprache, die sie weniger beherrschen, schneller und ohne Fehlschlüsse lesen zu können. Zugleich wird der erwünschte retroaktive Transfer gesichert, da die Studierenden mit Hilfe des Interkomprehensionszugangs die Strukturen der Sprache, in der sie Vorkenntnisse haben, auch besser verstehen. Der grösste Gewinn eines solchen Zugangs ist die Entwicklung eines reflektierten Umgangs mit Sprachen und ein schnellerer und sichererer Einstieg in das Fachstudium.

Slavische Interkomprehension:

Die Grundlagen der slavischen Interkomprehension im deutschsprachigen Raum legte in den späten Neunzigerjahren Prof. Dr. Lew Zybatow (Slavistik Innsbruck), der unter anderem das Projekt «EuroComSlav» leitete, welches im Rahmen des grossen EU-Projekts «EuroComprehension» entstand.[1] Die Teilergebnisse dieses slavistischen Projekts sind allerdings im Gegensatz zu den Ergebnissen der anderen EuroCom-Projekten, vor allem der romanischen Sprachen, online leider nicht mehr abrufbar.

Einen nächsten Meilenstein setzte das Buch Slavische Interkomprehension von Karin Tafel (2009), da es in der deutschsprachigen Slavistik das erste umfassende Lehrmittel dieser Art darstellt, viele Beispiele bietet und fünf slavische Sprachen behandelt.

(Für genaue Angaben und weitere Literatur und Hilfsmittel siehe Bibliographie.)

Slavisches Seminar der Universität Zürich:

Viele Studierende am Slavischen Seminar der Universität Zürich bringen herkunftssprachliche Vorkenntnisse in unterschiedlicher Ausprägung in der einen oder anderen slavischen Sprache mit. Gleichzeitig lernen die Studierenden am Slavischen Seminar meistens mehr als nur eine slavische Sprache, und zwar in der Regel nacheinander, was bedeutet, dass sie beim Einstieg in die zweite Sprache meistens schon gewisse bis sehr gute Vorkenntnisse in der ersten slavischen Sprache haben.

In der ersten Phase des Erlernens einer zweiten slavischen Sprache sehen sich die Studierenden mit für sie verblüffend häufigen Überschneidungen in zwei Sprachen konfrontiert: sehr ähnliches oder sogar identisches Vokabular, aber auch sehr ähnliche morphologische Muster und syntaktische Strukturen usw. Daher neigen sie nicht selten dazu, zunächst von identischen Bedeutungen der ähnlichen Vokabeln und identischen Flexionsparadigmen in beiden Sprachen auszugehen. Da sie dabei schnell auf einige «falsche Freunde» stossen, werden sie nach der anfänglichen Freude oft verunsichert und wissen nicht mehr, wie sie weitere stets auftauchende Ähnlichkeiten einordnen und die Kenntnisse einer Sprache produktiv und sicher beim Erlernen der zweiten Sprache nutzen können. Hier setzt unser Interkomprehensionsprojekt an.

BKMS und Russisch:

Der Entscheid, uns im Rahmen des zweijährigen Projekts auf die Sprachen BKMS und Russisch zu fokussieren, basierte auf der Tatsache, dass diese Sprachenkombination besonders häufig gewählt wird und die Studierenden der Slavistik oft herkunftssprachliche oder anderweitige Vorkenntnisse in einer dieser beiden Sprachen vorweisen.

Digitale Materialien, Pressbook und weitere slavische Sprachen:

Wir haben bewusst eine digitale Form für unsere Materialien gewählt, da diese Form auch nach Ablauf des Lehrkredit-Projekts den Mitarbeiter*innen des Slavischen Seminars die Möglichkeit gibt, das Konzept im BKMS- und Russischunterricht fortzusetzen und auch auf andere slavische Sprachen, die am Slavischen Seminar unterrichtet oder in der Forschung behandelt werden, zu übertragen und auszuweiten. So kann aus diesen ersten sprachpraktischen Materialien zur Interkomprehension bei zwei Sprachen ein Interkomprehension-Archiv für das Slavische Seminar entstehen.

Darüber hinaus kann das Modell auf weitere, nicht am Slavischen Seminar der UZH angebotene Sprachen wie Ukrainisch, Weissrussisch, Slowenisch, Mazedonisch, Bulgarisch etc., die auch in Forschungsprojekten am Slavischen Seminar eine zentrale Rolle spielen, übertragen werden.

 

Jelena Gall, Lektorin für BKMS

Anna Möhl, Lektorin für Russisch

Jovanka Antić, Tutorin

Domagoj Odrljin, Tutor

 


  1. http://www.eurocomprehension.info/, zuletzt aktualisiert 2008

Lizenz

Interkomprehension BKMS-Russisch Copyright © Jelena Gall; Anna Möhl; Jovanka Antić; und Domagoj Odrljin. Alle Rechte vorbehalten.

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