Zürichs barockes Waisenhaus

Bahnhofquai 3, 8001 Zürich (Karte)

von Vivian Maurhofer

Hinter dem heutigen Amtshaus 1, welches unter anderem das Polizeidepartement der Stadt Zürich beherbergt, verbirgt sich Zürichs ehemaliges barockes Waisenhaus.

Abb. 1: Das neue Waisenhaus von 1771
Die Geschichte des ersten Waisenhauses in Zürichs

Waisenhäuser sind einer der ältesten Zweige der Fürsorge. Bereits im Mittelalter beschäftigte man sich mit der Betreuung von elternlosen Kindern. Nach der Reformation entstand jedoch ein neues Verständnis von öffentlicher Verantwortung, da die Kirche ihre Rolle als Versorgerin verlor und der Staat einsprang. In Zürich entstand im Vergleich zu anderen deutschen Ländern spät das erste Waisenhaus. Dies wurde 1637 im ehemaligen Kloster Oetenbach gegründet. Die Tatsache, dass Waisenkinder von dem sozialen Umfeld vor allem ausgenutzt wurden, führte zum Druck, eine solche Institution zu gründen. Mit dem barocken Neubau von 1771 setzte Zürich ein deutliches Zeichen: Öffentliche Fürsorge sollte nicht nur funktionieren, sondern auch sichtbar werden. Die Nutzung dieses Gebäudes als Kinderheim endete 1911 und aus dem Gebäude wurde das heutige Amtshaus 1, welches unter anderem das Polizeidepartement der Stadt Zürich beherbergt. Das Waisenhaus Zürich änderte somit seinen Standort und die Waisenhäuser Entlisberg und Sonnenberg wurden die Nachfolger.

Abb. 2 Das gleiche Gebäude heute, das Amtshaus 1
Was heute noch sichtbar ist

Das barocke Gebäude am Limmatquai ist heute noch erhalten. Für die Verwandlung des Waisenhauses in das Amtshaus 1 wurden die Hügelflanke abgetragen und das Waisenhaus wurde gegen die Limmat hin mit einem Terassenanbau erweitert. Die Giacometti-Halle war der ehemalige Keller des Waisenhauses und wurde zum Eingangsgeschoss des Amthauses 1 umgebaut. Um die nicht optimalen Lichtverhältnisse zu optimieren, wurde Antonio Giacometti beauftragt, die Räumlichkeiten mit künstlerischen Mitteln aufzuhellen und so entstand die Giacometti-Halle oder auch Blüemlihalle genannt.

Abb. 3: Die Giocometti Halle

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die zentrale Lage des ersten Waisenhauses Zürichs. Diese unterstreicht, dass die Fürsorgeinstitutionen damals im Stadtleben eingebettet waren und nicht an den Rand geschoben wurden.

Das Zürcher Waisenhaus als Ort sozialer und medizinischer Kontrolle

Das Zürcher Waisenhaus war weit mehr als nur ein Ort der Versorgung. Es diente zugleich als Erziehungsanstalt, in der Disziplin, Ordnung und Gesundheitsüberwachung eine zentrale Rolle spielten. In ihrem Buch „Verwalten und Erziehen“ zeigt Maria Crespo eindrücklich, wie eng medizinische Kontrolle und pädagogische Konzepte miteinander verflochten waren: Sauberkeit, Körperpflege und Gehorsam galten als Ausdruck eines „gesunden“ Charakters. Der Körper wurde zum Spiegel der Moral. Die Kinder wurden regelmässig medizinisch untersucht, und Massnahmen wie Hygienevorschriften, Arbeitsdisziplin und strikte Tagesabläufe sollten einer drohenden „Verwahrlosung“ entgegenwirken. Aus heutiger Sicht ist das Waisenhaus damit ein frühes Beispiel für die Verbindung von sozialer Disziplinierung und Gesundheitsvorsorge. Ein Ort, an dem medizinische und gesellschaftliche Kontrolle Hand in Hand gingen.

Bildquellen

Abb. 1: Das neue Waisenhaus von 1771, https://swisscollections.ch/Record/991085406189705501#Sucheinstiege

Abb. 2: Das gleiche Gebäude heute, das Amtshaus 1, 2025, Vivian Maurhofer

Abb. 3: Die Giacometti Halle, https://de.wikipedia.org/wiki/Giacometti-Halle

Literatur:

Crespo, Maria: Verwalten und Erziehen. Kinderfürsorge und Anstaltserziehung in Zürich 1637–1837. Zürich: Chronos Verlag, 1990

Ziegler, August: Das Waisenhaus in Zürich im Wandel der Zeit. Zürich: Selbstverlag des Waisenhauses, 1937