Zesex, Beratungsstelle für Ehe und Sexualität

Hohlstrasse 35, 8004 Zürich

Alexandra Meier

Im Herzen des früheren Arbeiterquartier Aussersihl befindet sich ein Bauwerk, welches sich mit seinem neuartigen Baustil von den restlichen Gebäuden unterscheidet. Hier wurde die erste Sexualberatungsstelle der Schweiz eröffnet. Eine Institution, die nicht nur aufklärerisch wirkte, sondern auch eine tiefgreifende soziale Veränderung in der Schweiz vorantrieb.

Abb. 1: Der Kollerhof 1932. 1 Jahr bevor das Zesex eröffnete.

Zürich in den 30er Jahren. Nach dem Ersten Weltkrieg erlebte die Sexualreformbewegung einen neuen Aufschwung. Die „neue, arbeitende Frau“ gewann zunehmend an Unabhängigkeit, wählte den optimalen Zeitpunkt für eine Schwangerschaft und bedachte die finanziellen und gesundheitlichen Auswirkungen. Liebesheiraten nahmen im Gegensatz zu arrangierten Ehen zu. Wirtschaftliche Krisen trieben jedoch die Zahl illegal durchgeführter Abtreibungen in die Höhe. Die Notwendigkeit einer Anlaufstelle für Ehefragen und Aufklärung über Verhütungsmittel wurde immer deutlicher, insbesondere in den ärmeren Quartieren Zürichs. In genau einem solchen Quartier wurde im Januar 1933 die erste Beratungsstelle zu Fragen rund um Sexualität und Geburtenregelung eröffnet: Die Zesex.

Der Kollerhof: Ein Symbol des Wandels

Blockrandbauten reihten sich eng aneinander an den Strassen, mit Kleingewerbebetrieben in den Innenhöfen. Aussersihl befand sich in nächster Nähe zum Bahnhof und war dadurch weniger attraktiv zum Wohnen, aber preisgünstig. Hier lebten die Ärmsten von Zürich.

Umso mehr stach daher das rundlich konstruierte Gebäude hervor, das 1931 seinen Platz im Arbeitsviertel fand. Der sechsstöckige Kollerhof an der Kreuzung von Lang- und Hohlstrasse war mit seiner rotgefärbten Fassade nicht zu übersehen und stand im Ausdruck des Neuen Bauens. Seine dynamische Rundung und die durchlaufenden horizontalen Bänder, welche die Fenster umrahmten, sollten den modernen Verkehr repräsentieren, der sich durch die Stadt Zürich zog. Auch im Inneren war das Gebäude modern ausgestattet mit mehreren Schindler-Liften. Es wurde vom Architekten Hermann Weideli erbaut und für verschiedene Beratungsstellen genutzt, unter anderem für die Zesex.

Im Jahr 2006 unternahm die Architekturfirma huggen_berger einige Restaurationen am Gebäude, das der Stadt Zürich gehört. Heutzutage beherbergt der Kollerhof mehrere Quartierdienstleistungen für den Kreis 4, darunter das Kreisbüro, das Stadtammann- und Betreibungsamt, die Friedensrichter 4 + 5 sowie die Kreisschulpflege Limmattal.

Abb. 2: Der Kollerhof 2024

Hintergrund

Es herrschte Aufbruchsstimmung in den sexualreformerischen Kreisen. Man wollte sich für die Geburtenregelung und den vereinfachten Zugriff auf Verhütungsmittel einsetzen sowie das Abtreibungsverbot aufheben. Man war sich einig, dass vor allem die ärmere Bevölkerung zu wenig über Verhütungsmöglichkeiten aufgeklärt war und der Zugang dazu erleichtert werden sollte. Bis dahin lag es nur in der Hand der Ärzte, Pessare zur Verhütung zu verschreiben, und Kondome waren teuer und schwer erhältlich. An vorderster Front kämpfte das Ärzteehepaar Fritz und Paulette Brupbacher-Raygrodsky, welches im Arbeitsviertel Aussersihl praktizierte. Jedoch regte sich Widerstand aus den eigenen Reihen. Viele Ärzte befürchteten, ihren Expertenstatus in der Geburtenkontrolle zu verlieren. Konservative sahen die Institution der Ehe in Gefahr. Die Sexualität sollte auf die Ehe beschränkt sein und nur der Fortpflanzung dienen. Zudem würden Verhütungsmittel und Abtreibungen nur dazu führen, dass die ohnehin schon rückläufigen Geburtenzahlen weiter sinken.

Ende der 1920er Jahre forderte Fritz Brupbacher vom Stadtzürcher Parlament finanzielle Unterstützung für eine Beratungsstelle. Der Stadtrat sollte sichere Schwangerschaftsverhütungen fördern, da nur so illegale und gesundheitsschädliche Schwangerschaftsabbrüche reduziert werden könnten. Vorstösse wurden jedoch abgelehnt mit der Begründung, die einfachen Leute seien genug informiert. Es fehle ihnen lediglich an Energie und am Willen, es umzusetzen. 1933 dann aber der Durchbruch: Über einen privaten Verein wurde die Zesex gegründet. Das Projekt wurde durch den Stadtrat Jakob Gschwend in die Wege geleitet, der Vorsteher des Wohlfahrtsamts der Stadt Zürich war. Später übernahm die Gemeinde die Subventionierung der Beratungsstelle.
Die Beratungsstelle war die erste ihrer Art in der Schweiz, jedoch nicht europaweit. In kürzester Zeit folgten ähnliche Stellen in den Städten Basel, Bern, Genf und Lausanne.

Auf dem Weg zur modernen Sexualberatungsstelle

Zunächst mussten aber noch einige Fragen geklärt werden, auf was die Beratungsstelle ihren Fokus legen sollte. Sollte die Zesex eine Informationsquelle sein bezüglich Verhütungsfragen oder aber auch eine Beratung zur Eugenik? Die Eugenik befasst sich mit „der Lehre vom guten Erbe“ und trägt die Idee der Rassenverbesserung in sich, was vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus seinen Höhepunkt erreichte. Durch eine Geburtenregelung könnte gesunder Nachwuchs gefördert werden, sei es zugunsten einer gestärkten Nation oder zur Lösung sozialer Probleme in Bezug auf die ärmere Bevölkerungsschicht. Man sprach von einer Aufwertung der Bevölkerung.

Schlussendlich entschieden die Zürcher Behörden, dass die Zesex eine Beratungsstelle zu Verhütungsfragen werden sollte. Im Gegensatz zu Beratungsstellen in anderen europäischen Ländern, wo Verhütungsmittel gratis oder vergünstigt herausgegeben wurden, müsse die Bevölkerung sich weiterhin an den Arzt wenden. Die Zesex vertrat eine zeitgemässe Auffassung der Sexualwissenschaften des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts, wo man sich unter anderem gegen die Verteufelung der Onanie wehrte. Es wurden regelmässig Vortragsveranstaltungen durchgeführt, welche über die Bekämpfung von Erbkrankheiten, Sexualerziehung und die Folgen der Ehescheidung für die Kinder handelten. Die Mitarbeiter standen den Hilfesuchenden bei psychischen Schwierigkeiten und Störungen des Geschlechtslebens bei, gaben Auskunft bei psychologischen und eugenetischen Fragestellungen und informierten über Verhütungsmethoden.

Die Hilfseinrichtung wurde gut besucht. Nach einem Jahr verzeichnete man 1’300 Beratungsgespräche, die meisten davon handelten um juristische Fragen und Geburtenregelung, aber auch psychologische Probleme waren immer wieder ein Thema. Es wurden viele Überweisungen an Ärzte und andere amtliche Stellen getätigt. Es dauerte nur einige Jahre, bis die Beratungsstelle komplett überlastet war. 1944 haben sich die Beratungsgespräche verdoppelt, die Mitarbeiter arbeiteten bis spät in die Nacht sowie am Sonntag, und es wurden Hausbesuche gemacht. Weiterhin mangelte es an Mitarbeitern, Räumlichkeiten und Geld, woraufhin der jährliche Kredit 1945 von 15’000 auf 25’000 Franken erhöht und eine Bürohilfskraft eingestellt wurde.

BILDQUELLEN

Beitragsbild: wie Abb. 1

Abb. 1: 1932 Kollerhof, Wohn-und Bürohaus in Zürich – WKP Bauingenieure AG (wkp-bauing.ch)

Abb. 2: Foto Alexandra Meier, 2024

LITERATUR

1 Gafner, Lina: “Mit Pistole und Pessar“ Sexualreform und revolutionäre Gesellschaftskritik im Zürich der 1920er- und 1930er-Jahre, Verlag Traugott Bautz, 2010

2 Der steinige Weg zur ersten Sexualberatungsstelle der Schweiz – Spectra – Gesundheitsförderung und Prävention (spectra-online.ch)

3 Umbau Kollerhof Kreisgebäude 4 – Stadt Zürich (stadt-zuerich.ch)

4 Das Aussersihl ab dem 19. Jahrhundert – Tellhof Blog