von Elia Neidhardt, 25.11.2024
Der Begriff Poliklinik
Die Bezeichnung „Poliklinik“ leitet sich von den griechischen Wörtern „polis“ (Stadt) und „kline“ (Bett, Krankenlager) ab. Der Begriff wird für Einrichtungen verwendet, die ambulante medizinische Behandlungen anbieten und somit keine stationäre Aufnahme erfordern. Im Laufe der Zeit wurden Polikliniken zu zentralen Institutionen innerhalb des Gesundheitssystems, die sich durch ihre Zugänglichkeit und spezialisierte Versorgung auszeichneten. Die Poliklinik des Kinderspitals Zürich ist ein exemplarisches Beispiel für diesen Wandel, sowohl architektonisch als auch funktional.
Die Poliklinik des Kinderspitals Zürich: Entstehung und Funktion
Die Poliklinik des Kinderspitals Zürich wurde zwischen 1936 und 1939 im Zuge der umfassenden Neugestaltung des Klinikareals erbaut. Die Planung und Ausführung erfolgten unter der Leitung des Architekten Otto Rudolf Salvisberg, zu Beginn noch in Zusammenarbeit mit Richard von Muralt. Diese Bauphase war Teil eines ehrgeizigen Projekts, das von der Eleonorenstiftung finanziert wurde, um den steigenden Bedarf an kinderärztlicher Versorgung zu decken. Salvisbergs Gestaltung zeichnete sich durch klare Linien, funktionale Strukturen und eine moderne Ästhetik aus, die speziell auf die Bedürfnisse von Kindern und ihren Familien abgestimmt war.¹ (S. 22–24)
Neben der Kinderambulanz beinhaltete die Poliklinik auch einen Hörsaal mit Platz für 180 Studierende sowie Schlafplätze für Krankenschwestern. Der Hauptempfangsbereich und die Untersuchungsräume waren geschickt in einem L-förmigen Baukörper angeordnet, der den Zugang zu den einzelnen Gebäudetrakten erleichterte. Diese Struktur spiegelte den Fokus auf Effizienz und Funktionalität wider. Die Terrassen und großzügigen Fensterfronten sorgten für eine helle und einladende Atmosphäre, was besonders in der Kindermedizin von Bedeutung ist.² (S. 81–83)
Bild 1 und Bild 2 : Die schematische Darstellung des Gebäudes aus der Bauphase (erste Bildreihe aus der Quelle 1, S. 22).
Architektonische Besonderheiten und Wandel
Salvisbergs Poliklinik war nicht nur funktional, sondern auch architektonisch innovativ. Der Bau wurde in monolithischer Stahlbetonweise errichtet, was es ermöglichte, die Wandstärken zu reduzieren und gleichzeitig große Fensterflächen einzusetzen, um eine optimale Belichtung zu gewährleisten. Diese Bauweise war zu jener Zeit in der Schweiz revolutionär. Die Fassade wurde mit weiß lasierender Mineralfarbe versehen, wodurch die klare und moderne Ästhetik unterstrichen wurde.¹ (S. 23–24)
In den 1980er Jahren erfuhr die Poliklinik jedoch erhebliche Veränderungen. Die Fassade wurde verputzt, und nahezu alle Fenster wurden ausgetauscht. Der Hörsaaltrakt wurde bis auf geringe Reste der Außenmauern abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Einige originale Elemente blieben erhalten, darunter der Eingangsbereich mit seinen charakteristischen Blumenfenstern.¹ (S. 24–25)
Selbst nach der Unterschutzstellung des Gebäudes im Jahr 1995 wurden Teile der ursprünglichen Ausstattung entfernt. Dazu zählten Einbaumöbel sowie die über das gesamte Gebäude verteilten Kleiderhaken und Ablagen. Diese Veränderungen verdeutlichen den Spannungsbogen zwischen Denkmalpflege und der Anpassung an moderne Anforderungen.¹ (S. 25–27)
Bild 3: Der Hörsaal und die ursprüngliche Innenausstattung (Quelle 1, S. 24).
Medizinische und gesellschaftliche Bedeutung
Die Poliklinik spielte nicht nur architektonisch, sondern auch medizinisch eine zentrale Rolle. Sie war ein Ort der Innovation und Ausbildung, an dem Studierende der Medizin erste praktische Erfahrungen sammelten. Zudem war sie für viele Familien der erste Anlaufpunkt bei medizinischen Anliegen. Die räumliche Trennung von infektiösen und nichtinfektiösen Patienten spiegelte die Fortschritte im Umgang mit ansteckenden Krankheiten wider.² (S. 112–114)
Mit der Zeit wandelte sich die Funktion der Poliklinik: Von einem Zentrum der ambulanten Versorgung hin zu einem Gebäude, das zunehmend durch neue Anforderungen und technische Entwicklungen geprägt wurde. Dieser Wandel ist exemplarisch für die ständige Weiterentwicklung des Gesundheitswesens und die damit verbundenen Herausforderungen.² (S. 112–114)
Bild 4: Poliklinik Eingangshalle Westseite an der Steinwiessstrasse 1939 und 2020 (Quelle 1, S. 28).
Fazit
Die Poliklinik des Kinderspitals Zürich ist ein herausragendes Beispiel für die Verbindung von Architektur, Medizin und Gesellschaft. Ihre Geschichte verdeutlicht, wie eng bauliche Gestaltung und medizinische Versorgung miteinander verknüpft sind und wie diese Beziehung den Anforderungen der Zeit angepasst wurde. Trotz der Veränderungen bleibt das Gebäude ein Zeugnis für den Pioniergeist seiner Erbauer und die Bedeutung des Kinderspitals Zürich als medizinische Institution.
Quellen
- Das Kinderspital in Zürich-Hottingen von Otto Rudolf Salvisberg mit Richard von Muralt (1930–1939). Seiten: 22–28.
- Wiesmann, Matthias (2018). 150 Jahre Kinderspital Zürich. Seiten: 80–85, 112-114.