Friedaustrasse 12, 8003 Zürich
Nathalie Kaiser
An der Friedaustrasse 12 im Stadtquartier Wiedikon steht ein unscheinbares Haus mit mehreren Wohnungen für Familien. Von aussen würde man fast nicht glauben, dass hier hunderte von Kindern zur Welt gekommen sind.
291/Wd 1736 Wohnhaus, 1910 erbaut – Friedaustrasse 11/Wd 1180 Wohnhaus, 1896 erbaut – Friedaustrasse 12/Wd 1743 Wohnhaus, 1910 erbaut
Gründung und Entwicklung
Geburtshäuser sind selbstständige, ausserklinische Organisationen für Familien, die eine Alternative zur Entbindung innerhalb von Krankenhauswänden suchen.
Im November 1989 beschliessen 5 Hebammen, sich zusammen zu tun und gründen kurz darauf das „Geburtshaus Delphy‘s“. Die Gründung wird dank einem Förderkredit der Alternativbank, Spenden und persönlichen Investitionen der beteiligten Hebammen möglich. Bei der Namensgebung orientierten sich die Frauen an der griechischen Sprache. So heisst «δελφύς» (delphys) auf deutsch «Gebärmutter».
Schnell finden die Hebammen in Oberengstringen eine Wohnung, die sie nutzen können. Es kommen erste Kinder zur Welt und das Geburtshaus Delphy’s scheint einen guten Start zu haben. Doch bald darauf findet die Idee eines Geburtshaus in den Medien ersten Widerstand, denn das Bild einer Geburt wird damals sehr engstirnig betrachtet. Geburten gehören ins Krankenhaus und nicht in irgendein Zimmer in einem Wohnquartier. Auch in der unmittelbaren Nachbarschaft beschweren sich immer mehr Menschen über den Lärm und das dauernde Ein- und Ausgehen von Fremden Leuten. Die ersten Schattenseiten des Konzeptes zeigen sich. Für einige ein Segen, für andere störend und befremdlich. So zwingen die Umstände das Geburtshaus Delphy‘s, sich einen neuen Standort zu suchen, den sie 1992 an der Friedaustrasse 12 im Stadtquartier Wiedikon finden. Mit der Zeit kommen dort immer mehr Kinder zur Welt. Die allgemeine Diskussion um ein Geburtshaus bleibt zuerst bestehen, wird aber mit den Jahren immer leiser, nicht zuletzt dank Zertifizierungen, beispielsweise von UNICEF oder die Aufnahme des Geburtshauses auf die zürcher Spitalliste. Letzteres hat den Vorteil, dass Familien die Aufenthalte nicht mehr selbst bezahlen müssen. Auch das Delphy’s wandelt sich. Die Wohnungen oberhalb werden nach und nach bezogen, es gibt mehr Platz und so wird nun auch mehr auf die Begleitung der Schwangerschaft und die nachgeburtlichen Versorgung eingegangen, beispielsweise durch eine Stillgruppe oder Rückbildungsturnen. Es wird sogar ein Wochenbett eingerichtet.
Abb.2: Geburtshaus Delphy‘s, Eingang
Der Geburtendiskurs damals
Bis ins 20. Jahrhundert waren Hausgeburten die dominierende Art, Kinder auf die Welt zu bringen. Hilfestellung leisteten Frauen; Bekannte, Nachbarinnen, Familie. Ärzte wurden nur selten und nur in besonders schwierigen Fällen dazu geholt, denn eigentlich waren Geburten Frauensache. Zudem war das Interesse an der weiblichen Gesundheit nur bedingt vorhanden und den Ärzten fehlte oft das nötige Wissen. Jahrhundertelang war die Medizin und damit die Geburtshilfe durch tief verankerte religiöse Vorstellungen geprägt. Das Leben galt als gottgegeben und musste in aller Form und Art so gesehen und gelebt werden. Aufgrund dieser Überzeugung wurden beispielsweise Sektionen an menschlichen Leichen lange verboten und erst ab etwa 1300 nur ganz bestimmten Angehörigen der Kirche gewährt und nur an Hingerichteten durchgeführt. Diese strengen Regulationen verlangsamten den Fortschritt und beeinflussten das Verständnis und die Entstehung des menschlichen Körpers enorm. Durch das Bild der Frau als unvollständiger und untergeordneter Mensch (als Mensch galt der Mann) wurde der Geburtshilfe lange nicht als sonderlich wichtig erachtet. Langsam, durch den Fortschritt der Medizin, wie etwa die Desinfektion, den Zuwachs an ausgebildeten Fachkräften und den Wandel der Gesellschaft und der Medizin als Wissenschaft, wurde die Idee einer Geburt innerhalb des Krankenhauses immer verbreiteter, bis es etwa ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gang und gebe war, Kinder in einem Spital zu gebären.
Nun galt es als unsicher und unhygienisch, dass ein Kind ausserhalb eines Krankenhauses zur Welt kam. Im Krankenhaus gab es die notwendige Infrastruktur sowie Ärzte und Ärztinnen, die jederzeit helfen können. Auch die vorgeburtlichen Untersuchungen wurden alle im Krankenhaus oder in einer Arztpraxis durchgeführt. Zur Zeit der Gründung des Geburtshaus Delphy‘s im Jahr 1989 war diese Denkweise also tief in der Gesellschaft verankert und ein Geburtshaus eher befremdlich. Gleichzeitig begann gegen Ende des 20. Jahrhunderts eine Gegenbewegung. Man wünschte sich vermehrt Geburten in einem weniger klinischen Umfeld, welches trotzdem sicher und hygienisch war. Aus dieser Bewegung entstanden erste Geburtshäuser als Mittel.
Abb. 3: „lllustration aus einer um 1480 entstandenen Abschrift des Werks Regimen sanitatis des Heinrich Laufenberg (Zentralbibliothek Zürich, Ms. C 102b, Fol. 111v). […]„
Und heute?
Nach einigen erfolgreichen Jahren zieht das Delphy‘s 2014 in die Kalkbreite bei der Badenerstrasse 177 um. Der Wohn- und Gewerbebau Kalkbreite wird 2014 eröffnet und ist ein Abbild sozialer und ökologischer Baukunst in Zürich, umgesetzt durch moderne Architektur. Ein sehr geeigneter Ort für ein noch immer mit Skepsis betrachtetes Konzept, wie das Delphy‘s, denn die Umgebung der Kalkbreite wird als neumodisch, grün und fortschrittlich angesehen.
Bis heute hat das Geburtshaus Delphy‘s seinen Standort bei der Kalkbreite. Das Angebot hat sich stetig erweitert und bezieht nun auch vermehrt die Väter mit ein. Doch trotz der Entwicklung des Gesundheitssystems und der Gesellschaft, sowie der Eröffnung weiterer Geburtshäuser in der ganzen Schweiz, wird das Konzept der ausserklinischen Geburtshäuser noch immer mit Skepsis angesehen und die Hebammen kämpfen noch immer um vollständige Anerkennung.
Bildquellen
Abb. 2: https://www.tagesanzeiger.ch/die-siedlung-mit-eigenem-geburtshaus-259432571437
Abb. 3: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/016114/2010-11-02
Literatur
https://www.kalkbreite.net/wp-content/uploads/2018/12/Projektdoku_2014.pdf