Spur der Hoffnung im Park des Drogenelends
Platzpromenade 5, 8001 Zürich (Karte)
von Joel Wiederkehr
Vor rund 30 Jahren trafen sich regelmässig Drogenabhängige – damals noch berhördlich toleriert – auf dem Platzspitzareal. Von zentraler Bedeutung war dabei das umfunktionierte, ehemalige Kiosk-Häuschen, welches täglich das Team vom Projekt ZIPP-Aids beschäftigte. Hier wurde durch verschiedenste Methoden wie Spritzenabgabe versucht, die Weitergabe von HIV einzudämmen.
Der Platzspitz fand weltweit unter dem Namen „Needle-Park“ grosse Beachtung, weil er damals die grösste offene Drogenszene war und die erste, der man nicht nur mit Repression, sondern vor allem mit Krankheitsprävention zu begegnen suchte. Für die einen war der Platzspitz der Ort einer Fehlentwicklung in der Bekämpung der Drogenepidemie, für die anderen der Versuch einer dringend notwendigen Öffnung im Umgang mit Drogen und Sucht, um aus der einseitigen Repression herauszufinden.
Dr. med Peter J. Grob, ehemals Leiter der Klinischen Immunologie am Universitätsspital Zürich
Medizinische und soziale Problematik im Umfeld der Drogenszene
Die langsam anrollende Drogenepidemie in der Schweiz hat seine Ursprünge bereits im Jahr 1967. Besonders durch die Konzerte der Rolling Stones in Zürich erlangten die Drogen wie Cannabis, aber auch das stark gefürchtete intravenös verabreichte Heroin öffentliche Aufmerksamkeit.
Ab dem Jahr 1971 wurden schrittweise neue Hepatitisviren entdeckt. Kurz darauf wurde aus einer Studie, welche das Universitätsspital Zürich in Kooperation mit anderen Kliniken durchgeführt hat, bekannt, dass sich besonders Bluttransfusions-Empfänger und die intravenös spritzenden Drogenbenützer damit infizierten.
Etwa 10 Jahre später, im 1982, erlangte eine ganz neue Krankheit, AIDS, die Aufmerksamkeit. Berichten aus den USA im 1981 deuteten auf eine besonders geprägte Ausbreitung unter Homosexuellen und i.v.-Drogenkonsumenten. Es erfolgten darauf diverse freiwillige Tests unter Drogenbenützer im Raum Zürich und die Analyse bestätigten mehrere positive HIV-Proben.
Im Jahr 1987 wurde die Anzahl i.v.-Drogenbenützer in Zürich auf etwa 3000-4000 geschätzt, wovon sich bereits 20-50% mit HIV angesteckt haben könnten.
Es wurde angenommen, dass ohne Massnahmen sowohl die Anzahl der HIV- aber auch der Hepatitis-Infizierten jährlich zunehmen und auch grosse volkswirtschaftliche Konsequenzen haben würden.
Gründung von ZIPP-Aids
1987 tat sich eine Gruppe aus verschiedensten Vereinen, und Institutionen zusammen und erarbeiteten ein Konzept für das Zürcher Interventionsprojekt gegen Aids für Drogengefährdete und Drogenabhängige (ZIPP-AIDS). Die Kampagne fokussierte sich unter anderem auf folgende Punkte:
– Die Ausbreitung von HIV sollte durch sterile Spritzen- und Kondomabgabe eingedämmt werden. Zusätzlich dazu sollte auch eine Gesundheits- und Hygieneförderung eingeschlossen werden.
– Das Präventionsprogramm soll möglichst am Ort des Geschehens stattfinden. Ein Grossteil der Drogenkonsumenten ist sozial integriert und berufstätig, doch diese Gruppe wäre nur auf diesem Weg anzusprechen, weil sie konventionelle Anlaufstationen kaum benützen. Die Einsätze sind auch von Bedeutung, weil vergleichsweise erst wenige von ihnen mit HIV infiziert sind.
– Der Dienst soll möglichst über 24 Stunden und täglich gewährleistet sein.
Die zeitliche Entwicklung | |
1967 | Beginn einer neuen Drogen-Epidemie in der Schweiz |
1975 | Beginn der Hepatitis-Epidemie |
1981 | Weltweit erste Hepatitis-B Impfaktion in Zürich |
1982 | Erste Anzeichen einer HIV-Epidemie |
1985 | Spritzenverbot durch Kantonsarzt erteilt |
1986 | Platzspitz wird als offene Drogenszene bewilligt |
1988 Jan. | Genehmigung des Konzepts und Gründung von ZIPP-Aids |
1988 Dez. | Betriebsstart ZIPP-Aids auf dem Platzspitz |
1992 Feb. | Schliessung des Platzspitzareals |
Beginn der Operation
Die Präventionskapagne des ZIPP-AIDS startete im Dezember 1988 auf dem Platzspitzareal und beinhaltete folgenden Dienstleistungen:
– Aids-bezogene und generelle medizinische Beratung und Bereitstellung von Informationen (u.a. allgemeine Hygiene- und Gesundheitsinstruktion aber auch zu «Safe sex» )
– Abgabe von sterilen Spritzen, Nadeln, Kondome und weitere hygienefördernde Mitteln wie Alkoholtupfer und Venensalben
– Durchführung von HIV-Tests und Hepatitisimpfungen
– Einfache medizinische Eingriffe und Ersthilfe
– Vertrauensförderung z.B. durch Abgabe von Tee
Infrastruktur
Die Infrastruktur umfasste neben dem Kiosk- und Toilettenhäuschen (siehe Abb. 1 & 2) auch einen Sanitätsanhänger, der in unmittelbarer Nähe des ZIPP-Häuschen stand (siehe Abb.1). Darin befanden sich zwei Liegestellen aber auch ein Untersuchungsabteil. Beides wurde von der Stadt Zürich zur Verfügung gestellt und im Laufe der Jahre etwas umgestaltet. So wurde z.B. der Pissoirraum im Kiosk zu einem Lager umgebaut, aber auch Aussen- und Innen-Infrarotstrahler eingebaut.
Organisation des Betriebs
Das ZIPP-Haus war üblicherweise täglich von 7 Uhr bis 23 Uhr in Betrieb. Normalerweise wurde die Schicht der ersten Stunde von zwei Medizinstudenten übernommen, welche später dann durch weitere Ärzte und Pflegepersonal ergänzt wurden.
Das ZIPP-Team bestand primär aus medizinischem Personal. Sie kooperierte jedoch mit diversen Vereinen, welche sogenannte Streetworker oder Gassenarbeiter zur Verfügung stellten und den Betroffenen, vor Ort, psychosoziale Hilfe anboten.
Erbrachte Leisung
– Schätzungsweise** 6000 Beratungen*
– Schätzungsweise** 8200 medizinische Untersuchungen, Behandlungen und Wundpflege*
– 1032 dokumentiere Reanimationen*
– 238 Überweisungen in spezialisierte Institutionen (z.B. Spitäler)*
– 380 Impfungen gegen Hepatitis B an 6 Abenden
* für das Jahr 1989
**die Dokumentation wurde in der Hektik des Umfelds oft vergessen, die tatächliche Zahle dürfte daher höher ausfallen
Erreichte Ziele
Die Spritzenabgabe stellte sicher eine wichtige Rolle in der Unterbrechung der Übertragung von viralen Krankheiten dar. Die Anzahl jährlicher HIV-Neuinfektion wurde drastisch reduziert und so der Anteil der i.v.-Drogenbenützer an der Gesamtanzahl an Neuinfektionen verkleinert. Bei Hepatitis B wurde ein ähnliches Verhalten beobachtet, auch wenn sie etwas später einsetzte.
Es ist aber etwas Vorsicht geboten, da es viele verschiedenen Statistiken von unterschiedlichen Grössenodnungen gibt, die sich teils widersprechen. Es ist daher schwer abzuschätzen, ob das eine direkte Konsequenz von diesen Massnahmen ist, oder ob da noch andere Faktoren im Spiel waren.
Was aber sicherlich erreicht wurde, ist die Steigerung des individuellen Hygienebewusstseins bei den Drogenabhängigen. Dafür sprechen die frequent bezogenen Kioskartikel wie Alkoholtupfer oder Venensalben, aber auch die intensiv genutzte Möglichkeit der medizinischen Beratung.
Durch die Präsenz von ZIPP AIDS vor Ort konnte die medizinische Erstversorgung sehr schnell geleistet werden. Damit wurden viele Todesfälle im Zusammenhang mit Drogenkonsum verhindert und auch viele Reanimationen erfolgreicher und ohne bleibende Hirnschäden durchgeführt.
Dillema der Aids-Prävention
Sowohl die Aids-Prävention aber auch die Drogenbekämpfung haben gesetzliche Grundlagen, die sich allerdings teilweise widersprechen:
Aids-Epidemie ist ein gesundheitliches Problem muss im Sinne des Epidemiengesetze bekämpft werden. Unter anderem durch Abgabe von sterilem Spritzmaterial.
Doch der Drogenkonsum muss aufgrund des Betäubungsmittelgesetzes ebenfalls bekämpft werden. Die Spritzenabgabe wäre hier kontraproduktiv und hätte womöglich eine fördernde Wirkung.
Viele westliche Staaten hatten in dieser Zeit mit der gleichen Drogenproblematik zu kämpfen. Und es lässt sich sagen, dass alle Massnahmen, die nur auf einem Prinzip beruhten, nicht erfolgreich waren. Nach dem Prinzip der Güterabwägung wurde aber zu dieser Zeit die Strategie der Aids-Bekämpfung priorisiert.
Disclaimer: Zur besseren Lesbarkeit wird an einigen Stellen nur die männliche Form aufgeführt. Sie soll sich aber auf alle Formen beziehen.
Quellenangabe Zitat
Dr. med Peter J. Grob, ehemals Leiter der Klinischen Immunologie am Universitätsspital Zürich – Aus dem Buch „Zürcher Needle-Park – Ein Stück Drogengeschichte und -politik 1968-2008“
Bildquellen
Abb. 1: Gertrud Vogler: Zürich, „Schweizerisches Sozialarchiv – F 5107-Na-16-034-010
Abb. 2: Eigene Aufnahme
Literatur
Peter. J. Grob, Zürcher Needle-Park – Ein Stück Drogengeschichte und -politik 1968-2008, Zürich 2009.
Hornung, R. / Fuchs, W. / Alvo, K., „Das Zürcher Interventions-Pilotprojekt gegen Aids für Drogengefährdete und Drogenabhängige (ZIPP-AIDS) : Ergebnisse und Erfahrungen des ersten Betriebsjahres 1989,“ Zürich 1990.
M. Suter, Offene Drogenszene Platzspitz und Letten: Ein Rückblick auf die Entwicklungen der Suchthilfe in der Sozialen Arbeit seit der offenen Drogenszene in Zürich, Zürich 2020.