Stüssihofstatt 10, 8001 Zürich (Karte)
von Manuel Frauenfelder
Was ist die Gesellschaft / das Haus zum schwarzen Garten?
Noch bis in die Neuzeit waren der akademische Arzt und der handwerkliche Chirurg zwei verschiedene Berufsgruppen. Während der klassische Arzt eine akademische Ausbildung an einer Universität genoss und den Patienten ratgebend zur Seite stand, wurden die Behandlungen von den Chirurgen / Scheren, Barbieren und Badern durchgeführt, welche einen handwerklichen Hintergrund hatten.
1336 wurde von Rudolf Brun eine Zunftverfassung in Zürich geschaffen, welche die Scherer (Barbierchirurgen) zusammen mit den Badern, Schmieden, Schwertfergern, Glockern usw. in die Schmidenzunft einteilte. Um 1433 gründeten die immer stärker chirurgisch tätigen Scherrer und Bader innerhalb der Zunft eine eigene Gesellschaft, welche über die Zeit verschiedene Häuser besass, bis sie 1534 am Stüssihofstatt Nr. 9 das Haus zum schwarzen Garten kauften.
Bis zum Beginn des Jahres 1686 wurde das Haus zum schwarzen Garten primär als Gesellschaftshaus genutzt, um Geschäfte zu tätigen, sich politisch zu organisieren oder um mit den anderen Zunftmitgliedern zu tief ins Glas zu schauen. Die Zunft war jedoch zur Einsicht gekommen, dass es von grossem Vorteil wäre, wenn alle zukünftigen Barbierchirurgen eine ausführliche theoretische Ausbildung zur menschlichen Anatomie erhalten würden. Weshalb der berühmte Zürcher Arzt und Naturforscher Dr. Johannes von Muralt damit beauftragt wurde Vorlesungen zur Humananatomie zu halten. Diese fanden das erste Mal am 7. Januar 1686 vor 49 Zuhörern in einen Holzschopf neben dem Haus zum schwarzen Garten statt. Über die nächsten 100 Jahre wurden die Vorlesungen und Demonstrationen weitergeführt, bis am 24. Januar 1782 die «chirurgische Gesellschaft» gegründet wurde. Diese neue Gesellschaft beabsichtigte nicht mehr nur grundlegende Anatomiekenntnisse an Scherer (Wundärzte / Chirurgen) zu vermitteln, sondern schuf ein vollständiges Curriculum der gesamten Medizin um Wundärzte, Ärzte sowie Chirurgen akademisch sowie handwerklich zu schulen. (Siehe Stundenplan von 1782 unten).
Das Curriculum wurde extra so gestaltet, dass man innert eines Jahres alle Kurse und Vorlesungen besuchen konnte. Wenn man es sich leisten konnte, wurde jedoch eine Studienzeit von mindestens zwei, besser drei Jahren empfohlen.
Dieses Curriculum wurde mit wenigen Unterbrüchen bis zur Gründung der Universität Zürich im Jahre 1833 weitergeführt. Danach ging die Gesellschaft zum Schwarzen Garten in die medizinische Fakultät der Universität über, wodurch sie ihre direkte Vorläuferin darstellt.
Der Streit um die Leichen
In der gesamten Geschichte der «Gesellschaft zum schwarzen Garten» herrschte stets ein Mangel an Leichen für den Anatomieunterricht und wenn einmal genügend Leichen verfügbar waren, kam es zu Intermezzi mit der Obrigkeit, welche das Zerlegen von Leichen äusserst kritisch mitverfolgte.
So bekam Johannes von Muralt im Jahre 1671 den Auftrag vom Zürcher Rat, die Leiche einer Frau zu zergliedern. Von da an wiegte er sich im Glauben, ohne Zustimmung der Behörde weitere Sektionen vornehmen zu können. Als er kurz danach eine weitere Leiche einer Frau zerlegte und ihre Haut gerben wollte, erfuhr der erzürnte Zürcher Rat davon. Daraufhin musste von Muralt vor diesem im Rathaus erscheinen und sein Verhalten begründen.
Ab 1677 durfte von Muralt seine Sektionen fortführen, jedoch ausschliesslich an Leichen von Kriminellen oder an Menschen, welche an «merkwürdigen» Krankheiten gestorben waren.
Ca. 1705 bekam die Gesellschaft die Erlaubnis, die Körper von fremden, unbekannten Bettlern, die im Spital starben zu öffnen, ohne die Zustimmung der Obrigkeit abwarten zu müssen.
Zwischen 1730 und 1745 kam zu einem grösseren Führungsvakuum weshalb die Quellen für Leichen komplett versiegten. 1742 wurde beschlossen, ein anatomisches Theater am Zähringerplatz 14 zu gründen, welchem zuerst Jakob Abegg, und nach kurzer aber heftiger Unstimmigkeit zwischen der Gesellschaft und Abegg ab 1743 Conrad Meyer vorstand.
Im Jahre 1744 wurde das anatomische Theater bereits von wütenden Maurern und Zimmerleuten gestürmt, als die Leiche eines verstorbenen Dachdeckers eröffnet werden sollte.
Immer wieder drohten Bürger mit Gewalt, falls eine bestimmte Leiche nicht unversehrt aus dem Theater rausgerückt werde. Andere richteten sich immer wieder mit Schreiben an den Bürgermeister, um das Zerlegen von Leichen verbieten zu lassen. Es kam so weit, dass sich Johann Rudolph Burkard in den 1750er Jahre kaum noch auf der Strasse blicken lassen durfte. Nur durch die Unterstützung des Ratsmitglied Johann Heinrich Rahn, durfte er seine Lektionen weiter fortsetzten, obschon er täglich «unter der Drohung von Messerstecherei und Pulverdampf um sein Leben bangen musste»Gemäss einem Beschluss von 1756 wurden alle fremden und unentgeltlich Behandelten im Spital verstorbenen direkt an das anatomische Theater übergeben. Dies führte immer wieder dazu, dass Lehrlinge oder Lohnarbeiter, welche von ausserhalb von Zürich stammten, in der Anatomie endeten. Dies erzürnte die Handwerkerzünfte immer wieder sehr stark, weshalb es wiederholt Ausbrüchen von Gewalt gegen das Theater Anatomicum und die bestehende Regelung kam. Schliesslich kam der Rat ca. 1770 der Forderung der Zünfte nach, was dazu führte, dass nur noch die Leichen von Selbstmördern, armen Patienten oder von solchen, welche an «merkwürdigen» Krankheiten gestorben waren, seziert werden durften.
Bildquellen
Abb. 1: Manuel Frauenfelder, Zürich 2022
Abb. 2: Manuel Frauenfelder, Zürich 2022
Literatur
«Das Medizinisch-chirurgische Institut in Zürich 1782 – 1833», Moritz Liesibach, Verlag Hans Rohr, Zürich 1982
«Von der Gesellschaft zum schwarzen Garten zum anatomischen Institut der Universität Zürich», Ernst Viktor, Universitätsspital-Bibliothek, Universität Zürich 1980