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“It’s forced conformity. That’s what’s killing the kids”: Das Queere und Monströse in Stephen Kings It (1986) und der Netflix-Serie Stranger Things (2016-).

Zulaima Carla Ratto

„It’s forced conformity, that’s what’s killing the kids, that’s the real monster“ hallt das Mantra der kürzlich ausgestrahlten vierten Staffel der US-amerikanischen Netflix-Serie Stranger Things (2016–) wider und bringt die Kernidee, die sich seit Anbeginn leitmotivartig durch die bisher erschienenen 34 Episoden hindurchschlängelt, damit wunderbar auf den Punkt. Konformitätszwang sowie Diskriminierung und Ausgrenzung dessen, was der vorherrschenden Ordnung frondiert, sind widerkehrende Themen, die sowohl in Stephen Kings Horrorepos It (1986) als auch in der von den Duffer-Brüdern kreierten 80er-Hommage Stranger Things adressiert werden.

„The queer is the taboo-breaker, the monstrous, the uncanny.“

Benshoff 1997, 5

Sowohl das Queere als auch das Monströse werden als Bedrohung des gegenwärtigen Zustandes wahrgenommen. Der Begriff der ‚Queerness‘ steht in der Tradition der Queer-Theorie und begreift sich als normwidriges, den Status quo herausforderndes und hinterfragendes Verhalten. Das Monströse wird indes auf einer ähnlichen Stufe platziert, denn es negiert bestehende (binäre) Identitätszuschreibungen und provoziert ein Überdenken oder gar Umkrempeln der Aussageordnung. Ferner repräsentiert es ein Sammelsurium an kollektiven Ängsten, die in einer bestimmten Gesellschaft verankert sind.

„I suppose all evil must have a home. Though I had not a rational explanation for it, I could sense this demon, always close. I became convinced it was hiding, nesting, somewhere within the shadows of our home. It had cursed our town. It had cursed our home. It had cursed us.“

Stranger Things 4.04 (Dear Billy), 2022, 53:55-54:43 (Netflix)

„It’s because of that soil. It seems that bad things, hurtful things, do right well in the soil of this town.“

King 2016, 453

Dem Queeren und dem Monströsen wird in beiden Werken eine zentrale Bedeutung zugeschrieben; auf unterschiedlichen Ebenen offenbart sich das Themenpaar, teils in einem Spannungsverhältnis, teils in einer Überlappung. Zelebriert wird der Aussenseiter*innen-Status der Protagonist*innen, die sich am Rande der Gesellschaft situiert sehen und sich diese Position im Abseits schliesslich zunutze machen.

„When you’re different, sometimes you feel like a mistake. But you make [me] feel like [I’m] not a mistake at all, like [I’m] better for being different and that gives [me] the courage to fight on.“

Stranger Things 4.08 (Papa), 2022, 17:24-17:30 (Netflix)

Basierend auf der Figuren- sowie inhaltlich-thematischen Analyse der Werke It und Stranger Things illustriert meine Bachelorarbeit, welche körperlichen und metaphorischen Formen des Monströsen in den beiden Texten anzutreffen sind und inwiefern diese mit dem Queeren korrelieren, kontrastieren, kollidieren oder koexistieren.


Bildquellen:

Abb. 1: Stranger Things Season 2 Poster (2017): https://images3.alphacoders.com/882/882548.jpg  (Abgerufen am: 20.12.2022)

Abb. 2: It Chapter Two Poster (2019): https://www.wallpapertip.com/wpic/mmiJRx_balloon/ (Abgerufen am: 20.12.2022)

Abb. 3-4: Der Mind Flayer. Screenshots Stranger Things 2.03 (The Pollywog) 

Zitierte Texte:

Benshoff, Harry M.: Monsters in the Closet. Homosexuality and the horror film. Manchester: Manchester University Press, 1997. 

King, Stephen: It. First Scribner Edition. New York, NY: Scribner, 2016 (1986).

Seewigtal – Eine Wanderung durch den kulturwissenschaftlichen Raum

Michael Kunz

Der Forellenhof am steirischen Bodensee. Das traditionsreiche Gasthaus ist das Ziel der kulturwissenschaftlichen Wanderung.

Wissensproduktion findet zunehmend in einem institutionalisierten Rahmen an Hochschulen und anderen akademischen Einrichtungen statt. Daher ist es wichtig, dass Arbeitsmethoden die in der Tradition der Entakademisierung von Wissensproduktion stehen, in kulturwissenschaftliche Arbeitsprozesse eingebunden werden.

Das Ziel dieser Bachelorarbeit war es, durch die Arbeitsmethode der kulturwissenschaftlichen Wanderung einen Einblick in die Raumsoziologie des Seewigtals – einem alpinen Seitental in der Steiermark – zu erhalten. Infolgedessen ist ein interaktiver Wanderführer entstanden, der sich auf kulturwissenschaftlicher Ebene mit seiner Route auseinandersetzt und zum Ziel hat, der/die Leser*in kulturwissenschaftliche Betrachtungsweisen unseres Fachs zu erklären und dadurch näher zu bringen.

Um die raumsoziologische Bedeutung der auf der Wanderung besuchten Wegpunkte für das Seewigtal zu ergründen, wurden diese mit Hilfe von Fachliteratur und Interviews analysiert. Es wurde gezeigt, dass sich auf der ganzen Route kulturwissenschaftliche Themen wiederfinden, die von der Konstruktion von Handlungsräumen bis zu touristischen Narrativen reichen. Alle diese Thematiken konnten aufgrund des Arbeitsformates, im Sinne der entakademisierten Wissensproduktion, verständlich und für ein ausseruniversitäres Publikum zugänglich, erörtert werden.

Alle Bilder in diesem Beitrag sind von Michael Kunz und André Kunz.

Zur Sichtbarmachung des Unsichtbaren. Hörbehinderung in ausgewählten Beispielen aus der Kinder- und Jugendliteratur

Melanie Rothaupt

Zwei Bilder stehen nebeneinander. Das rechte Bild zeigt eine Illustration eines Mädchens von der Seite, welches auf ihr Ohr deutet. Hinter ihrem Ohr befindet sich ein Auschnitt des Himmels mit weissen Wolken. Auf dem zweiten Bild sieht man eine Häsin, die durch den Himmel fliegt. Die Kabel ihres Hörgeräts (ein altes Modell) bilden den Schriftzug "Read".
Illustrationen zu Sara Novićs Roman True Biz (links) und zu Cece Bells Graphic Novel El Deafo.

Hörbehinderung zählt grundsätzlich zu den unsichtbaren Behinderungen, da sie zumindest auf den ersten, oberflächlichen Blick nicht wahrnehmbar ist. Doch gerade in der Literatur bietet sich die Möglichkeit, Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit auf eine textuelle, aber auch graphische Weise erfahrbar zu machen. In meiner Bachelorarbeit wollte ich dieser Sichtbarmachung nachgehen und danach fragen, wie die zeitgenössische Kinder- und Jugendliteratur Gehörlosigkeit und Schwerhörigkeit abbildet. Im Zentrum stehen Momente, in denen Gehörlosigkeit und Schwerhörigkeit von den Figuren selbst als soziale Erfahrung und identitätsstiftend in ihrem alltäglichen Leben verhandelt werden. Ausgehend von dem im deutschsprachigen Raum noch wenig verbreiteten Feld der Disability Studies habe ich mich literaturtheoretisch sechs Werken aus der Kinder- und Jugendliteratur genähert. Dabei habe ich drei Romane, eine Kurzgeschichte und zwei Graphic Novels ausgewählt.

«Being Deaf [is] not a consequence of not hearing.

Being Deaf [is] an existential experience, complete in itself and not a consequence of broken bodies but the outcome of biological destiny.»

Jackie Leach Scully (zit. nach Padden and Humphries)

In meiner Bachelorarbeit zeigt sich die Hörbehinderung nicht mehr als objektiv messbare Einheit zwischen Hören und Nicht-Hören, sondern sie stellt dem medizinischen Verständnis das individuelle Empfinden entgegen. Statt den Hörverlust also als fehlenden Prozentsatzes des Hörvermögens zu präsentieren, nehmen die Werke die alltägliche Erfahrung und die Empfindungen der Figuren in den Blick. Die Werke hinterfragen die vorherrschende Wahrnehmung von Gehörlosigkeit als blosse Absenz von Gehör und Sprache. Dabei geraten gängige Annahmen zur Kommunikation, (Gebärden-) Sprache und Anderssein ins Wanken. Stattdessen handeln die Bücher von Selbstakzeptanz der Figuren, die ihre Hörbehinderung sogar als Gewinn betrachten können. Denn warum muss anders sein gleich schlecht sein? Mit dem Anderssein kann auch viel gewonnen werden.

«Our differences are our superpowers

Cece Bell


Quellen:

Abb. 1. True Biz. Illustration von Josie Norton, https://www.nytimes.com/2022/03/15/books/review/true-biz-sara-novic.html. (Abgerufen am 15.12.2022).

Abb 2. El Deafo. Illustration von Cece Bell. https://www.thelibrarymarketplace.com/products/el-deafo-poster. (Abgerufen am 15.12.2022).

Scully, Jackie Leach: Deaf Identities in Disability Studies. In: Watson, Nick, und Simo Vehmas (Hgg.). Routledge Handbook of Disability Studies. 2. Aufl. Abingdon, Oxon: Routledge, 2020. S. 147.

Bell, Cece: El Deafo. New York: Amulett Books, 2014. S. 237.

Geschichtserzählungen auf Instagram – Eine Analyse des Instagram-Accounts @ichbinsophiescholl

Julia Merz

Abb. 1

Der Account @ichbinsophiescholl, der vom SWR (Südwestrundfunk) und BR (Bayrischer Rundfunkt) ins Leben gerufen wurde, erzählt im sozialen Medium Instagram die Geschichte von Sophie Scholl, einer Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus und Mitwirkende in der Studentenauflehnung Weisse Rose. Diese Art der kontinuierlichen und chronologischen Geschichtserzählung bildet ein neueres Phänomen, über das es kaum Forschung gibt. Sophie Scholls Geschichte wurde über zehn Monate beinahe täglich über den Account geteilt. Dabei vermischen sich hauptsächlich durch Schauspieler*innen nachgespielten Szenen, sogenannte Reenactments, und scheinbar originale Fotografien, Videos und Zeitungsausschnitte aus den 1940er Jahren. Die hier vorgestellte Bachelorarbeit behandelte nun die Frage, wie diese Geschichtserzählung von Sophie Scholl über den Instagram-Account @ichbinsophiescholl vermittelt wird.

Die sozialen Medien werden zu Trägern von historischen Inhalten und Erinnerungskulturen durch die Darstellung von historischen Persönlichkeiten und deren Geschichtserzählungen. Als Grundlage der Arbeit wurde Instagram als Erinnerungsmedium und Vermittler von Geschichtserzählungen vorgestellt. Die Analyse des Instagram-Accounts wurde danach in vier Schritte unterteilt, wobei eine erzähltheoretische Analyse den ersten Schritt bildete. Weiter wurden drei medienspezifische Aspekte betrachtet, welche die Gestaltung der Geschichtsnarration beeinflussen: Die Medialität und Modalität von Instagram, die Relation von Realität und Fiktion in der Erzählung sowie der zeitliche Aspekt der Rezeption, welche stark mit den parasozialen Beziehungen zusammenhängt. Um die Vermittlung der Geschichtserzählung von Sophie Scholl über Instagram zu untersuchen, wurden in der Bachelorarbeit die genannten Phänomene exemplarisch an einzelnen Posts, Reels und Stories der Geschichte beschrieben. Hier folgt nun eine kurze Rekapitulation der Ergebnisse:

1. Die erzähltheoretische Analyse

Die Geschichte wird durch eine homodiegetische und intradiegetische Erzählperspektive geschildert und intern fokalisiert präsentiert. Sophie als Figur der Geschichte bietet den Zuschauer*innen ihren Blick auf die Welt an. Filmwissenschaftlich wird bei einer solchen Inszenierung von einem physischen Point of View gesprochen. Das gleichzeitige Erzählen ist durch die beinahe täglichen Uploads zu erkennen. Die Geschichtserzählung von Sophie wird in einem dramatischen Modus, beinahe in einem Bewusstseinsstrom geschildert, der eine unmittelbare Distanz darstellt. Sophie spricht zumeist direkt in die Kamera und zu den Zuschauer*innen. Die Alltäglichkeit des Erzählten sowie die Ich-Perspektive suggerieren eine Authentizität und Aktualität der Geschichte.

Abb. 2

2. Die spezifische Medialität und Modalität von Instagram

Die Multimedialität zeigt sich durchgehend durch die Verbindung von Ton, Bild, Video und Schrift. Beschriftungen kontextualisieren ständig Bilder, Videos, Inszenierungen, Fotos und Zeitschriftenausschnitte. Durch die Multimodalität des Erinnerungsträgers Instagram werden mehrere Formen des Erzählens ermöglicht, wobei die Gefahr der Repetition entsteht. Diese Repetitionen werden jedoch nicht als unangenehm empfunden, da sie häufig mit einem Zeitabstand gepostet werden.

3. Die Relation von Realität und Fiktion

Durch eine Verbindung von Realität und Fiktion wird den nachinszenierten Szenen einen authentischen Charakter zugestanden. Das Archivmaterial, das häufig benutzt wird, erweitert den Erzählraum, sodass ohne grösseren Aufwand auch Städte im Jahr 1942 porträtiert werden können.  Weiter werden auf diese Weise die Ausmasse des Krieges gezeigt. Die Geschichtserzählung ist hier szenisch und dialogisch inszeniert, wobei die Illusion des Authentischen und eine emotionale Bindung von Rezipient*innen zu Charakteren im Vordergrund steht. Das Projekt zeichnet sich ebenfalls durch seine Aktualität und die Inszenierung als aktuelles Geschehen aus.

Abb. 3

4. Der zeitliche Aspekt der Rezeption

Der zeitliche Aspekt der Rezeption hat einen grossen Einfluss auf die narrative Auslegung der Erzählung. Eine aktuelle Rezeption sowie der serielle Aufbau des Projektes sind nötig, damit eine parasoziale Beziehung, also eine emotionale Bindung zu den Charakteren hergestellt werden kann. Bei einer nicht aktuellen Verfolgung des Kanals kann vermutlich keine solche Verbindung zu Sophie und ihren Freund*innen hergestellt werden, was die Rezeption erheblich beeinflusst.

Quellenverzeichnis

Abb. 1: Die ersten zwei Posts des Instagram-Accounts @ichbinsophiescholl. In: Sophie Scholl: @ichbinsophiescholl. In: Instagram, https://www.instagram.con/ichbinsophiescholl/?hl=de (Abgerufen: 23.08.2022).

Abb. 2: Sophie im Bett. In: Sophie Scholl (16.05.2021): Woche 02, In: https://www.instagram.com/p/CO8Ckg0qi-N/?hl=de (Abgerufen: 22.11.2022).

Abb. 3: Der Weg zum Atelier, dargestellt durch Originalvideos. In: Sophie Scholl (21.11.2021): Woche 29, In: https://www.instagram.com/p/CWjBOs5ldzy/?hl=de (Abgerufen: 22.11.2022).

Dattalion: Ein Daten-Battalion. Das Sammeln und Archivieren von Handyaufnahmen aus dem Krieg in der Ukraine.

Flora Tischhauser

Handyaufnahmen dienen in aktuellen Kriegen und Konflikten häufig als Zeugnisse. Sie vermitteln Narrative und lenken die globale Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen. Auch im aktuellen Krieg in der Ukraine entstehen viele Aufnahmen dieser Art und werden in den sozialen Medien verbreitet. Das Kollektiv Dattalion sammelt solche Videos und Bilder und archiviert sie in einer Datenbank. Diese Arbeit geht der Frage nach, wie die Tätigkeit von Dattalion das Wesen und den Wert dieser Aufnahmen verändert. Anhand dieser Frage wird beleuchtet, wie sich die Zeug:innenschaft im digitalen Raum verändert und wie durch Sammlungen die Flüchtigkeit derselben verringert werden kann. Grundlage dafür bilden Aufnahmen aus dem Krieg in der Ukraine auf Instagram und TikTok, die verglichen werden mit Aufnahmen in der Sammlung von Dattalion. Dabei stehen unterschiedliche Aspekte im Fokus. Die Interaktion mit anderen Nutzenden wird betrachtet, die Art und Weise wie sich die Aufnahmen verbreiten können und welche Personen sie erreichen und der allgemeine Kontext, in dem sie eingebettet sind. 

Die Arbeit zeigt auf, wie sich die Bedeutung der Bilder in unterschiedlichen Sphären verändert und ihre Wirkung sich je nach Kontext unterscheiden kann. Es wird ersichtlich, dass durch die Sammeltätigkeit von Dattalion und vergleichbaren Akteur:innen kollektive Identitäten geschaffen und Erinnerungen beeinflusst werden. Auch thematisiert wird der Nutzen der Sammlung für die Zeit nach dem Krieg in Form von Wiederaufbau, Justiz und Geschichtsschreibung. Der digitale Raum ist ein wichtiger Teil des hier untersuchten Feldes und spielt in diesem eine ausschlaggebende Rolle. In der Untersuchung wird beispielsweise sichtbar, dass nicht-menschliche Akteure wie Algorithmen zentral wirken und dass sich kulturwissenschaftliche Praktiken, wie das Sammeln, im digitalen Raum verändern.

Screenshot der Homepage von Dattalion.

Bildquellen:

Screenshot der Homepage von Dattalion. URL: https://dattalion.com. Aufgenommen am 18.09.2022.

Wahre Liebe im filmischen Zwischen-den-Zeilen-Lesen: Wie zweierlei Adaptionen des Danmei-Romans „Mo Dao Zu Shi“, trotz staatlicher Zensur, exemplarisch ihre Queerness beibehalten

Fabienne Burgert

«If the face says nothing, listen to the heartbeat.»

Mo Xiang Tong Xiu: Grandmaster of Demonic Cultivation: Mo Dao Zu Shi. Bd. 1.
Newport: Seven Seas Entertainment, 2021, 331.

Es ist Sommer 2019, als zweierlei Adaptionen des chinesischen «Boys Love»-Romans Mo Dao Zu Shi (魔道祖师) mit einer zwischen den Zeilen angedeuteten Liebesbeziehung zwischen zwei Männern nicht nur in China, sondern auch weltweit bei Fans des Genres auf Begeisterung stossen. Angesichts der Tatsache, dass queere Repräsentation in der chinesischen Medienlandschaft quasi nicht existiert, wirft diese Arbeit einen genaueren Blick auf den Konflikt zwischen Queerness und staatlicher Zensur, welcher unter anderem in der Unterhaltungsindustrie ausgetragen wird.

Als Grundlage dieser Analyse dient der eben erwähnte Danmei-Roman Mo Dao Zu Shi (engl. Grandmaster of Demonic Cultivation) von Mo Xiang Tong Xiu (墨香铜臭), sowie zwei Dangai-Adaptionen in Form einer Animations- und Webserie. Dabei soll aufgezeigt werden, welche Transformationen der «pure love»-Danmei-Roman in seinen audiovisuellen Adaptionen erfährt und wie die ursprüngliche Queerness, trotz strikter Zensurregulationen, in den Augen der Zuschauer*innen durch Queer Coding und der Konstruktion einer homosozialen Bromance erhalten bleiben kann.

Von links nach rechts: Der erste, englische Bucheinband von Grandmaster of Demonic Cultivation: Mo Dao Zu Shi und die offiziellen Poster für die realverfilmte Webserie „Chen Qing Ling“ (2019) und Animationsserie „Mo Dao Zu Shi“ (2018-2021).

«Dann sind wir halt hässig»: Emotionalität in Alltagserzählungen von Feministinnen

Daria Joos

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Frauen sind emotional, die Männer dagegen […] rational.

Aristoteles (zitiert nach Elizabeth Debold)

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In der antiken Literatur wurden Frauen im Gegenteil zu den unerschütterlichen Männern oftmals als Opfer ihrer Emotionen dargestellt. Ihre öffentlichen Gefühlsausbrüche galten sogar als Gefahr für die Gesellschaft. Auch heute stossen Frauen, beispielsweise Politikerinnen, nicht selten auf Kritik, wenn sie in der Öffentlichkeit ihre Emotionen zum Ausdruck bringen.

Nationalrätin Tamara Funiciello bringt an einer Protestkundgebung ihre Wut über das Resultat der AHV-Abstimmung zum Ausdruck.

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So ist der Zusammenhang von Gefühl und Geschlecht ein ergiebiges Forschungsfeld für zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen. Diese Arbeit soll aus erzähltheoretischer Perspektive zur kulturwissenschaftlichen Emotionsforschung beitragen, wobei Gefühle innerhalb der feministischen Bewegung im Fokus stehen. Grundlage dafür sind drei qualitative Interviews mit Frauen, die zurzeit feministischen Aktivismus betreiben. Die Analyse dieser Alltagserzählungen zeigt auf, welche Gefühle das feministische Engagement auslöst und wie diese Gefühle in verschiedenen Kontexten verhandelt und gewertet werden. Ein wiederkehrendes Erzählmuster ist dabei das «Hässig»-Sein (Schweizerdeutsch: Wütend-Sein).

„Immerno hässig“ lautet das Motto des Feministischen Streiktags am 14. Juni 2022 in Bern.

Die Interviewten betonen, dass Aktivist*innen unabhängig von ihrem Geschlecht Wut ausdrücken dürfen und ernst genommen werden sollen. Sie werten das Gefühl «hässig» oftmals positiv als Antrieb für ihren Aktivismus, wobei die kollektive Dimension des Fühlens eine wichtige Rolle spielt.

Wenn ihr uns nicht zuhört, dann sind wir halt hässig. Es scheisst uns wirklich einfach nur noch an.

Interviewpartnerin Rahel

Wenn ich nicht ernst genommen werde, obwohl ich versuche, nicht emotional zu sein, wieso darf ich dann nicht hässig sein?

Interviewpartnerin Ella

Wenn ich hässig bin, gibt mir das auch wieder Energie, weiterzumachen und etwas zu verändern.

Interviewpartnerin Paula

Dieses Narrativ verdeutlicht, inwiefern individuelle Gefühle in Relation zu anderen Menschen, Institutionen und Machtstrukturen stehen und ihr kollektiver Ausdruck gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen kann. So weist diese Einzelfallanalyse auch auf die kulturelle und historische Bedingtheit von Gefühlen hin: Wie die Befragten ihre Gefühle ausleben oder unterdrücken, hängt von ihrem Umfeld ab und ist geprägt von gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen und Feminist*innen.

Because emotion is constructed as relatively chaotic, irrational, and antisocial, its existence vindicates authority and legitimates the need for control. By association with the female, it vindicates the distinction between and hierarchy of men and women.

Catherine A. Lutz, Kulturanthropologin

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Literatur
Debold, Elizabeth: Rationale Männer, emotionale Frauen. In: evolve 02 (2014). URL: https://www.evolve-magazin.de/magazin-archiv/ausgabe-02-2014/elizabeth-debold-
rationale-maenner-emotionale-frauen/
 (Abgerufen: 21.09.2022).
Lutz, Catherine A.: Engendered Emotion: Gender, Power, and the Rhetoric of Emotional Control in American Discourse. In: Dies. und Lila Abu-Lughod (Hg.): Language and the Politics of Emotion. Cambridge: Cambridge University Press, 1990, 69–91.

Bildquellen
Abb. 1: Bild im Artikel Schweizer Frauenstreiks: Was haben sie gebracht? Aufnahme von Jean-Christophe Bott/Keystone, URL: https://www.tagblatt.ch/leben/uebersicht-schweizer-frauenstreiks-was-haben-sie-gebracht-ld.2148863 (Abgerufen: 14.12.2022)
Abb. 2: Bild im -Artikel «Das ist für mich Trumpismus von linken Feministinnen». Aufnahme von Keystone, URL: https://www.bernerzeitung.ch/buergerliche-politikerinnen-reagieren-auf-die-wut-der-linken-frauen-344198040579 (Abgerufen: 14.12.2022).
Abb. 3-6: Screenshots der Kommentarspalte zum Artikel Funiciello sorgt bei Sozis für Ärger, URL: https://www.blick.ch/politik/nach-ahv-niederlage-funiciello-sorgt-bei-sozis-fuer-aerger-id17912233.html(Abgerufen: 11.11.2022).
Abb.7-8: Fotos/Medien Feministischer Streik Bern. Aufnahme von Jana Leu, URL: https://www.frauen-streiken.ch/fotos/ (Abgerufen: 21.09.2022).

„Starke“ Frauen in der Populärkultur

Anita Kiss

Die Figur der «starken» Frau in Realität und Fiktion ist die Motivkonjunktur unserer Zeit – sie ist überall. Und oft gilt sie als die Hoffnungsträgerin für eine bessere Welt.

Mithilfe von narrativen Interviews mit Frauen aus Kunst und Wissenschaft sollen die medialen Repräsentationen dieser Figur untersucht werden. Wie wird sie konstruiert? Wie wird sie wahrgenommen? Wie wird sie unterschiedlich diskutiert? Welche Resonanzen gibt es zwischen den medialen Repräsentationen und gesellschaftlichen Diskursen?

Im weitesten Sinne wird dadurch eine Zeitdiagnose angestrebt, um aufzudecken, wie es um den heutigen Postfeminismus steht. 

Auf den ersten Blick als ein Ausdruck von Empowerment, enthüllt die Analyse dieser Figur tieferliegende systemische Gesellschaftsprobleme, wie z. B. die ungleiche Verteilung von Care Arbeit und die weiterhin präsente Reduzierung der Frau auf ihre Körperlichkeit. Als Schattenseiten der ausgeprägteren medialen Repräsentation von «starken» Frauen werden zudem die fehlenden sozialen Transformationen von althergebrachten Geschlechter-Hierarchien erkannt, sowie eine Festschreibung von Frauen auf Selbstoptimierungs- und auf Schönheitsdiskurse, anstatt sich auf politischer Ebene für eine grundlegende Systemänderung einzusetzen.  

Die «starke» Frau zeigt sich als eine Übergangsfigur und kann als Wachstumsschmerz einer Gesellschaft gelesen werden, in der Frauen um ihre Subjektwerdung kämpfen. 

Charlize Theron als Imperator Furiosa in Mad Max «Fury Road».
Das Intro des Filmes, Gesamtspiellänge 96 Minuten.

Bildquellen:
Abb. 1: Charlize Theron als Imperator Furiosa in Mad Max «Fury Road»: https://www.kino.de/film/mad-max-fury-road-2015/news/neuer-mad-max-film-diese-entscheidung-bricht-charlize-theron-das-herz/
(Abrufdatum: 31.10.22).
Abb. 2: ScreenShot «Franziska Schutzbach Portrait»: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/franziska-schutzbach-geschlechterforscherin-erschoepfung-frauen-interview-1.5540541?reduced=true (Abgerufen: 07.11.22).
Abb. 3: ScreenShot «Lisa Christ Portrait»: https://www.kulturspiegel-spiez.ch/programm-2022-2023/lisa-christ/ (Abgerufen: 13.11.22).
Abb. 4: ScreenShot «Manon Portrait mit weisser Mütze»: https://www.nzz.ch/feuilleton/manon-macht-sich-aelter-ld.1391869?reduced=true (Abgerufen: 07.11.22).
Abb. 5: ScreenShot «Manuela Kalbermatten Portrait»: https://literaturfestival.com/authors/manuela-kalbermatten/ (Abgerufen: 07.11.22).

„Give it up for the ladiesssss!“. Frauen* in der Deutschschweizer HipHop-Tanzszene

Alessandra Hitz

„I break into a lyrical freestyle

Grab the mic, look into the crowd and see smiles

Cause they see a woman standing up on her own two

Sloppy slouching is something I won’t do

Some think that we can’t flow (can’t flow)

Stereotypes, they got to go (got to go)”1

Mit ihrer Hit-Single „Ladies First“ hebt Queen Latifah, eine der einflussreichsten Rapperinnen der 1980er und 90er, Geschlechterstereotypen hervor, gegen die sie als Rapperin in der HipHop-Kultur ankämpfen musste. So beschreibt sie, dass manche Menschen Frauen* belächeln, wenn sie das Mikrofon ergreifen, da sie glauben, dass diese nicht „flowen“ können. Mit dem programmatischen Song „Ladies First“ versucht sie sodann das Stereotyp, dass Frauen* unfähig sind, hochwertige HipHop-Musik zu produzieren, zu durchbrechen. Sie nutzt das Lied, um einen tieferen Einblick in die sexistische Geschichte des HipHops zu gewähren –und kreiert dabei eine Hymne für die Frauen* in der HipHop-Szene. Weibliche* Personen waren immer an der HipHop-Kultur beteiligt, doch ihnen war lange eine passive Rolle als Zuschauerinnen und Konsumentinnen zugedacht. Es sind männliche* Personen, die aktiv performen und die vier Elemente des HipHops – das Emceeing (Rap), Graffiti, Deejaying und den Tanz – prägen. Kulturwissenschaftlerin Rachael Gunn schreibt im Artikel „Dancing Away Distinction“ jedoch auch, dass der Zugang zum Mikrofon, zur Wand, zur Bühne und zur Tanzfläche durch eine Vielzahl von Diskursen, Repräsentationen und Strukturen kontrolliert werde. Doch die Präsenz von Frauen* in der HipHop-Kultur wird immer sichtbarer. So auch in der HipHop-Tanzszene.

Ich tanze selbst seit bald zehn Jahren und bewege mich seit fünf Jahren in der HipHop-Tanzszene. Bewegt man sich in dieser Szene, so ist unverkennbar, dass männliche* Personen an Trainingssessions und Tanzbattles in der Überzahl sind und insbesondere die Tanzfläche dominieren. Oft wurde diese Dominanz unter den anwesenden Frauen* auch zum rege diskutierten Thema. Dabei fielen immer wieder auch Bemerkungen über Erfahrungen, die durch diese männliche* Dominanz geprägt waren. Obschon die Partizipation von HipHop-Tänzerinnen* in den letzten Jahren zugenommen hat, scheint sie nach wie vor weniger sichtbar zu sein, was sich auch in den wissenschaftlichen Arbeiten zum HipHop-Tanz spiegelt. Nur ein Bruchteil dieser Arbeiten setzen sich intensiv mit den Erfahrungen von weiblichen* Personen in der HipHop-Tanzszene auseinander. Angesichts dessen soll in dieser Untersuchung ermittelt werden, wie weibliche* Personen ihre Position und Teilhabe in dieser von männlichen* Personen dominierten Szene erleben und verhandeln. Wird davon ausgegangen, dass die Aneignung der globalen HipHop-Kultur zur Bildung neuer lokaler Formen der kulturellen Praxis führt, bietet diese Untersuchung einen Einblick in die lokalen Zustände, mit denen Frauen* in der HipHop-Tanzszene konfrontiert sind.

Dance Battle Summer Dance Forever

In dieser Untersuchung wird der Frage nachgegangen, wie die kulturelle Vormachtstellung männlicher* Personen die Erfahrungen weiblicher* Personen in der Deutschschweizer HipHop-Tanzszene beeinflusst. Zudem wird danach gefragt, welche Strategien weibliche* Tänzerinnen haben, um damit umzugehen und sich zugehörig zu fühlen. Diese Fragen werden anhand von drei offenen Leitfadeninterviews, teilnehmenden Beobachtungen und autoethnografischer Erfahrungen beantwortet. Ersichtlich wird, dass der HipHop-Habitus an einen männlichen* Körper gebunden wird, was dazu führt, dass die HipHop-Tanzstile als «männlich*» gelesen werden. So stehen weibliche* Körper und der von ihnen erwartete Geschlechtsausdruck stets in Differenz zu diesem Habitus. Um der Szene zugehörig zu sein, muss die Performanz des HipHop-Habitus als gelungen gelten, wodurch man dann als «real» gilt. In der Untersuchung werden verschiedene Auslegungen von «realness» formuliert, die entweder zum Einschluss oder Ausschluss weiblicher* Personen führen. Zudem wird ersichtlich, wie diese Einschluss-und Ausschlussmechanismen an Cyphers und Battles erscheinen, wodurch heteropatriarchale Machtverhältnisse aufrechterhalten werden. Gezeigt wird, mit welchen Strategien Frauen* sich Diesen widersetzen. Abschliessend geht es um verschiedene Strategien des Wandels und der Zugehörigkeit, die weibliche* Tänzerinnen im Bezug zur HipHop-Tanzszene anwenden oder als zukunftsweisend sehen.

Keywords: HipHop, Feminismus, Tanz, realness, Performativität, Habitus, Geschlecht

Bildquelle:

Summer Dance Forever. House Dance Forever Winners alesya Dobysh and Marie Kaae will both callenge you. 8.5.2018. https://mk-mk.facebook.com/summerdanceforever/posts/house-dance-forever-winners-alesya-dobysh-and-marie-kaae-will-both-challenge-you/1749586661754304/ (Abgerufen am 21.12.2022)