«Dann sind wir halt hässig»: Emotionalität in Alltagserzählungen von Feministinnen

Daria Joos

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Frauen sind emotional, die Männer dagegen […] rational.

Aristoteles (zitiert nach Elizabeth Debold)

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In der antiken Literatur wurden Frauen im Gegenteil zu den unerschütterlichen Männern oftmals als Opfer ihrer Emotionen dargestellt. Ihre öffentlichen Gefühlsausbrüche galten sogar als Gefahr für die Gesellschaft. Auch heute stossen Frauen, beispielsweise Politikerinnen, nicht selten auf Kritik, wenn sie in der Öffentlichkeit ihre Emotionen zum Ausdruck bringen.

Nationalrätin Tamara Funiciello bringt an einer Protestkundgebung ihre Wut über das Resultat der AHV-Abstimmung zum Ausdruck.

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So ist der Zusammenhang von Gefühl und Geschlecht ein ergiebiges Forschungsfeld für zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen. Diese Arbeit soll aus erzähltheoretischer Perspektive zur kulturwissenschaftlichen Emotionsforschung beitragen, wobei Gefühle innerhalb der feministischen Bewegung im Fokus stehen. Grundlage dafür sind drei qualitative Interviews mit Frauen, die zurzeit feministischen Aktivismus betreiben. Die Analyse dieser Alltagserzählungen zeigt auf, welche Gefühle das feministische Engagement auslöst und wie diese Gefühle in verschiedenen Kontexten verhandelt und gewertet werden. Ein wiederkehrendes Erzählmuster ist dabei das «Hässig»-Sein (Schweizerdeutsch: Wütend-Sein).

„Immerno hässig“ lautet das Motto des Feministischen Streiktags am 14. Juni 2022 in Bern.

Die Interviewten betonen, dass Aktivist*innen unabhängig von ihrem Geschlecht Wut ausdrücken dürfen und ernst genommen werden sollen. Sie werten das Gefühl «hässig» oftmals positiv als Antrieb für ihren Aktivismus, wobei die kollektive Dimension des Fühlens eine wichtige Rolle spielt.

Wenn ihr uns nicht zuhört, dann sind wir halt hässig. Es scheisst uns wirklich einfach nur noch an.

Interviewpartnerin Rahel

Wenn ich nicht ernst genommen werde, obwohl ich versuche, nicht emotional zu sein, wieso darf ich dann nicht hässig sein?

Interviewpartnerin Ella

Wenn ich hässig bin, gibt mir das auch wieder Energie, weiterzumachen und etwas zu verändern.

Interviewpartnerin Paula

Dieses Narrativ verdeutlicht, inwiefern individuelle Gefühle in Relation zu anderen Menschen, Institutionen und Machtstrukturen stehen und ihr kollektiver Ausdruck gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen kann. So weist diese Einzelfallanalyse auch auf die kulturelle und historische Bedingtheit von Gefühlen hin: Wie die Befragten ihre Gefühle ausleben oder unterdrücken, hängt von ihrem Umfeld ab und ist geprägt von gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen und Feminist*innen.

Because emotion is constructed as relatively chaotic, irrational, and antisocial, its existence vindicates authority and legitimates the need for control. By association with the female, it vindicates the distinction between and hierarchy of men and women.

Catherine A. Lutz, Kulturanthropologin

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Literatur
Debold, Elizabeth: Rationale Männer, emotionale Frauen. In: evolve 02 (2014). URL: https://www.evolve-magazin.de/magazin-archiv/ausgabe-02-2014/elizabeth-debold-
rationale-maenner-emotionale-frauen/
 (Abgerufen: 21.09.2022).
Lutz, Catherine A.: Engendered Emotion: Gender, Power, and the Rhetoric of Emotional Control in American Discourse. In: Dies. und Lila Abu-Lughod (Hg.): Language and the Politics of Emotion. Cambridge: Cambridge University Press, 1990, 69–91.

Bildquellen
Abb. 1: Bild im Artikel Schweizer Frauenstreiks: Was haben sie gebracht? Aufnahme von Jean-Christophe Bott/Keystone, URL: https://www.tagblatt.ch/leben/uebersicht-schweizer-frauenstreiks-was-haben-sie-gebracht-ld.2148863 (Abgerufen: 14.12.2022)
Abb. 2: Bild im -Artikel «Das ist für mich Trumpismus von linken Feministinnen». Aufnahme von Keystone, URL: https://www.bernerzeitung.ch/buergerliche-politikerinnen-reagieren-auf-die-wut-der-linken-frauen-344198040579 (Abgerufen: 14.12.2022).
Abb. 3-6: Screenshots der Kommentarspalte zum Artikel Funiciello sorgt bei Sozis für Ärger, URL: https://www.blick.ch/politik/nach-ahv-niederlage-funiciello-sorgt-bei-sozis-fuer-aerger-id17912233.html(Abgerufen: 11.11.2022).
Abb.7-8: Fotos/Medien Feministischer Streik Bern. Aufnahme von Jana Leu, URL: https://www.frauen-streiken.ch/fotos/ (Abgerufen: 21.09.2022).

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