Um die Jahrhundertwende verwirklichen LebensreformerInnen im Waidberg ihr Lebensideal: Luft- und Sonnenkuren in leichter Bekleidung.
Abb. 1 Kurhaus Waidberg
Oberhalb von Wipkingen, herrlich im Walde gelegen, gründete der Pfarrer Theodor Stern aus Köniz in Bern 1902 das Kurhaus Waidberg.
Zürichs Blütezeit der Kur- und Heilbäder
Verschiedene kleine Zürcher Kur- und Heilbäder verdanken ihre Existenz der Reformation. Seit dem Spätmittelalter erfuhr die Stadt Zürich einen regelrechten Kurbäder-Boom. Nicht nur zogen es viele Zürcherinnen und Zürcher vor, in der nahen Umgebung zur Kur zu gehen, statt zu den in katholischen Gebieten liegenden grossen Bädern zu reisen, auch fühlten sich ZüricherInnen im katholischen Baden nicht mehr sicher.
Wie heilte man im Kurhaus Waidberg?
Der Fokus des Kurhaus Waidberg war die Lichtluftpraxis – also eine gesundheitliche Anwendung mit Licht und frischer Luft, besonders im Zusammenhang mit Freiluftgymnastik. Herr Stern baute fünf Lufthütten, dazu je ein Herren- und ein Damen-Sonnenbad mit Sichtschutz, einen Tennisplatz und ein alkoholfreies Restaurant. Obwohl das Kurhaus öffentlich war, fanden sich vor allem wohlhabende ZürcherInnen in den Bädern ein. Das Kurhaus diente sowohl stationären als auch tagesbesuchenden Gästen.
Um die Anstalt der Allgemeinheit besser zugänglich zu machen, versuchte Gründer und Besitzer, Herr Stern, 1906 das Kurhaus zusammen mit einem Konsortium bestehend aus Ärzten, dem Präsidenten des Männerturnvereins, Architekten, Pfarrern, etc. in eine Genossenschaft umzuwandeln. Zur Finanzierung wurden Anteilsscheine zu 100, beziehungsweise 500 Franken angeboten. Diese berechtigten zu einem Luftbadabonnement mit 20 Coupons oder zu einer Saisonkarte, was einem Zinsertrag von 6 bis 10 Prozent entspricht. Wer eine Barauszahlung bevorzugt, erhielt eine Dividende von 8 Prozent. Um den Zugang zur Anlage zu erleichtern, wurden regelmässige Automobilverbindungen zur Stadt durchgeführt, bis die vorgesehene Trambahn realisiert war. Darüber hinaus wurden eine Verbesserung und Erweiterung der Anlage auf benachbarte Flächen vorgesehen.
Abb. 2 Lufthäuschen
«Gemeinsame Lichtluftbäder werden schon seit Jahren in der Kuranstalt Waidberg bei Zürich genommen. Dort ist es sogar üblich, dass die Kurgäste in der Luftbadtracht stundenweise Spaziergänge ausserhalb der Anstalt machen, woran sich die umliegenden Dorfbewohner schon lange nicht mehr kehren, da sie es gewöhnt sind.»
Zitat von Richard Ungewitter, einem deutschen Pionier der Freikörperkultur. In seinem Werk «Nackt» aus dem Jahr 1908.
Am 1. April 1907 gründeten Anna und Hedwig Stoll aus Stein am Rhein eine Kollektivgesellschaft A. & H. Stoll in Höngg und übernahmen ab dem 18. September desselben Jahres unter Geschäftsführung ihres Vaters den Betrieb des Kurhauses Waidberg. Doch bereits am 31. März 1909 erlosch die Kollektivgesellschaft aufgrund eines Wegzuges der Gesellschafterinnen.
Vom Heilungsort zum Genussort
Nach dem 1. Weltkrieg begann der Niedergang vieler Kurhäuser. Krankheiten wie Tuberkulose, für die Sanatorien ursprünglich da waren, konnten ab den 1920er Jahren zunehmend medizinisch besser behandelt werden. Seit 1921 waren in dem Gebäude diverse Speiserestaurants, heute das «Tessin Grotto». Die Lufthütten wurden 1922 abgebrochen. Nachdem 1939 der damalige Restaurantinhaber ein 50-Meter-Badebecken mit Unterwasserbeleuchtung für den nächtlichen Schwimmbetrieb bauen liess, wurde auch dies 1969 wieder eingestellt und 1980 zugeschüttet. Das Kurhaus Waidberg und heute das Tessin Grotto stehen für ein tiefes menschliches Bedürfnis: Draussen zu sein, Freiheit zu erleben, Gesundheit oder Genuss zu suchen. Das Bedürfnis nach einer kleinen Auszeit bleibt, nur die Form hat sich verändert.
Abb. 3 Speiserestaurant „Tessin Grotto“
1906 geplant, nie realisiert: Ein Kurhaus auf der Waid, vier Stockwerke hoch, mit Terrasse und Balkonen.
Im Jahr 1906 planten der Financier Jul. Escher und die Architekten A. Welti-Herzog und Sohn den Bau eines Kurhauses auf der Waid. Das Landgut stand leer, nachdem Paul und Maria Wunderli 1885 gestorben waren. Das geplante Kurhaus sollte ein Restaurant, ein 50 Meter hoher Aussichtsturm mit Elevator, ein Tennisplatz und Chalets umfassen. Zudem war eine erweiterte Tramlinie angedacht. Mit einer jährlichen Kapazität von 9.500 Kurgästen und geschätzten Kosten von über einer Million Franken scheiterte das Projekt an den hohen Ausgaben. 1907 kaufte die Stadt Zürich das Waidgut und plante stattdessen ein Spital. Heute stehen das Waidspital und das Restaurant «Die Waid» an der Stelle des geplanten Kurhauses.
Abb. 4 Projektiertes Kurhaus
Bildquellen
Abb. 1: Kurhaus Waidberg, Baugeschichtliches Archiv der Stadt Zürich, Datum unbekannt, BAZ_113789. Abb. 2: Lufthäuschen, Sammlung Richard Limburg, 1908 Abb. 3: Restaurant Tessin Grotto, 2025, Sandra Bühler. Abb. 4: Projektiertes Kurhaus, https://wipkinger-zeitung.ch/planertraeume/, zuletzt abgerufen am 12.04.2025
Literatur
NZZ, Nummer 96, 6. April 1906 Ausgabe 2 NZZ, Nummer 106, 17. April Ausgabe 2 Chronik der Stadt Zürich, Nummer 14, 7. April 1906 – Seite 108 NZZ: Schlemmen und baden wie der Reformator Heinrich Bullinger: Weshalb Zürich vor 500 Jahren einen Kurbäder-Boom erlebte, 09.03.2023 Wipkinger Zeitung: https://wipkinger-zeitung.ch/planertraeume/, Martin Bürlimann, September 2018
Die erste Urkunde des Gebäudes stammt von 1221. Fachleute gehen davon aus, dass es schon im 12. Jahrhundert errichtet wurde. Es wurde als Absonderungsanstalt für Aussätzige gebaut und war in dieser Hinsicht eines von zwei seiner Art am Rande der Stadt Zürich.
Abgelegen vom wachsenden Tumult der Stadt und bei gutem Wetter mit Blick auf die Berge wurde auf dem Zürichberg 1891 ein kleines Licht-, Luft- und Sonnenbad im Verein für Volksgesundheit eröffnet.