Gastbeitrag von Jan Hosmann
Student des Kolloquiums Mit dem Internet in die Römerzeit FS 2012, Historisches Seminar, Universität Zürich
Am Montag 19. März 2012 stand die Sitzung des Kolloquiums Mit dem Internet in die Römerzeit, das Professor Beat Näf veranstaltet, ganz im Zeichen von Wikipedia. Als Gast war aus diesem Grund der Wikipedia-Autor und -„Administrator“ (seit 2005) Markus Cyron zugegen, der Rede und Antwort zu Themen rund um die Online-Enzyklopädie stand. Als Altertumswissenschaftler hatte er bereits im Juni 2011 in Göttingen eine Tagung zum Thema Wikipedia trifft Altertum mitveranstaltet, die sich breiten Zuspruchs erfreute und bei der auch Beat Näf vorgetragen hatte.
Weniger als inhaltliche Punkte standen diesmal jedoch Fragen zu Organisation, technischem Ablauf, Administration und allgemeinem Status von Wikipedia im Vordergrund. So begann das Gespräch mit der banal anmutenden, allerdings grundsätzlichen Frage, wie man einen Wikipedia-Artikel denn überhaupt schreibt.
Prinzipiell ist das sehr einfach, demonstrierte Cyron. Jeder kann mit wenigen Maus-Klicks einen neuen Beitrag erstellen oder bearbeiten. Dafür muss man nicht einmal registriert oder angemeldet sein. Dieser freie Zugang eröffnet dann allerdings ein weites Feld an Fragen, die sowohl die Idee als auch Sinn und Zweck von Wikipedia sowie die Qualität betreffen. So bildet die Idee des „Schwarmprinzips“ die Basis für Wikipedia; die Idee also, dass Stichwörter und Themen erstellt werden, die durch die Masse der Nutzer immer weiter verbessert werden können – gewissermassen als Plattform zur Akkumulation des Wissens einer riesigen Internetgemeinschaft.
Über eine Million Artikel in überwiegend hoher Qualität allein in der deutschsprachigen Wikipedia-Ausgabe scheinen deutlich für dieses System zu sprechen, vor allem wenn man bedenkt, dass Wikipedia erst vor 11 Jahren gegründet wurde (2001). Doch werden auch die Schwierigkeiten deutlich. Um eine hohe Qualität zu erreichen, müssen die Artikel kontrolliert und korrigiert werden, nicht zuletzt auch, um Netzvandalismus, Werbung, Verleumdung usw. zuvorzukommen. Dieses, wie im Übrigen auch das Verfassen eines Grossteils von Wikipedia-Artikeln, geschieht durch sogenannte Administratoren – ehrenamtlich arbeitenden Wikipedia-Mitgliedern, die Fachleuten gleichkommen. Damit sind es einige Wenige, die eine gewisse Qualität gewährleisten, was für Cyron das „Schwarmprinzip“ zu einer schönen Idee degradiert, die nicht umsetzbar ist. Als demokratisch möchte Cyron Wikipedia nicht verstanden wissen, schliesslich würde auch Wikipedia, allen Idealen zum Trotz, hauptsächlich von Eliten mit oft akademischen Background betrieben. So bezeichnet er Wikipedia als die „Diktatur der Zeitreichen“. Qualitätskriterien entspringen zunächst dem eigenen Selbstverständnis als Online-Enzyklopädie. Demgemäss sind wissenschaftliche Grundregeln, ein adäquater (enzyklopädischer) Schreibstil, ein neutraler Standpunkt sowie die Angabe von Literatur und Quellen beim Verfassen von Artikeln einzuhalten. Die konkrete Einhaltung dieser Kriterien birgt dann offensichtlich Schwierigkeiten, obliegt sie doch der Interpretation der Administratoren und bietet Anlass für Diskussionen.
Nicht fehlen in der Kolloquiumsrunde durfte natürlich auch die Diskussion um die Zitierfähigkeit von Wikipedia, die einhergeht mit einer weit verbreiteten Skepsis gegenüber Wikipedia vor allem aus akademischen Kreisen. Auch Cyron betont, dass sich Wikipedia zum Informieren eigne, nicht jedoch zum Zititeren, da Wikipedia kein Wissen schaffe, sondern Wissen lediglich reproduziere und bereitstelle.
Die verbreitete Skepsis gegenüber Wikipedia hält Cyron weder für nachvollziehbar, noch glaubt er an ein grosses Ausmass. Für ihn ist dies mehr im schlechten Ruf begründet, den Wikipedia aus seinen Anfängen mitgenommen hat, und den es nur langsam abstreifen kann. Wahrscheinlich würde Wikipedia wesentlich mehr konsultiert, als in akademischen Kreisen offen geäussert würde. Dabei ist ein wertvoller Vorteil von Wikipedia, dass es mit unzähligen, mitunter auch wissenschaftlichen Internetseiten verlinkt ist, so dass Wikipedia auch als „Linkmultiplikator“ funktioniert, der den Zugang zu vielen Spezialseiten ermöglicht. Wikipedia ist demnach besser als sein Ruf, was langsam auch in den Universitäten erkannt wird. Und so wird auch sein beträchtliches Potential künftig besser ausgeschöpft werden.