Der Lila Bus im Seefeld

Die offene Drogenszene der 80er und 90er Jahren fand in Zürich nicht nur am berühmten Platzspitz statt, sondern auch an weniger thematisierten und vergessenen Orten, wie dem Seefeld. Ja, richtig gelesen, das Seefeld war einmal ein Drogenstrich. Am sogenannten „Babystrich“ prostituierten sich junge Frauen, um sich ihre Drogen zu finanzieren. Dabei waren sie grosser Gefahr ausgesetzt. Zur Unterstützung dieser Frauen wurde vom Zürcher Sozialamt der „Lila Bus“  ins Leben gerufen. 

Eine Kontaktstelle für Frauen

Die im Durchschnitt 16-28-jährigen, drogenabhängigen Prostituierten im Seefeld befanden sich in einem schrecklichen Teufelskreis: Viele Frauen sahen die Prostitution als letzte Möglichkeit, ihre Drogensucht, welche meist hunderte Franken pro Tag kostete, zu bezahlen. Doch was sie dann durch die Prostitution erlebten, war so schrecklich, dass sie sich komplett zudröhnen mussten, um es auszuhalten. Prostitution für die Drogen, Drogen für die Prostitution.

Anders als in den „Salons“ verlief die Prostitution an der Seefeldstrasse ungeregelt; die Frauen wurden oft auf tiefe Preise herunter gehandelt und konnten sich schlecht gegen Gewalt wehren. Frauen auf dem Strich waren  zudem in physischer Gefahr, weil sie öfters überfallen oder vergewaltigt wurden. In Spitälern und Arztpraxen wies man sie ab, niemand wollte die Prostituierten medizinisch betreuen.

Um  der steigenden Zahl der randständigen Frauen zu helfen, wurde im Mai 1989 vom Zürcher Sozialamt ein alter VBZ Bus zur siebten städtischen„Kontakt- und Anlaufstellen für Drogengebraucher:innen“ umgebaut. Der lila gestrichene Bus stand während den folgenden zweieinhalb Jahren an der Kreuzung der Seefeldstrasse mit der Mainaustrasse. Mitten im Milieu und direkt erreichbar für die Frauen in Not.

Im Zeitgeist der Frauenbeweungen, der Erroberung der eigenen Gesundheit und des eigenen Körpers, übernahm ein rein weibliches Team die Führung der Anlaufstelle. Frauenambulatorien, Frauenhäuser, Frauenbadis entstanden überall rund um Zürich und der Lila Bus bildete einen kleinen Teil der Bewegung, indem er den Zutritt strikt nur für Frauen erlaubte.

Das Team, bestehend aus Sozialarbeiterinnen der Stadt Zürich und einer Ärztin, funktionierte kooperativ und ohne Hierarchien. Zusammen öffneten sie die Anlaufstelle fünf Nächte die Woche. Die Ärztin war jeweils Dienstag Nacht vor Ort.

Im Lila Bus

Im Bus erwartete die Drogengebraucherinnen vorerst Verpflegung, Kleider, Kondome und Schminke. Das war der Grund, wieso die Frauen den Bus besuchten, aber sie blieben dann zur medizinischen Beratung oder psychologischen Unterstützung.

Ihr körperlicher Allgemeinzustand war heruntergekommen. Was aus unserer Sicht ein medizinischer Notfall ist, war für sie alltäglich. Wenn sie sich dann meldeten, handelte es sich meist um eine lebensbedrohliche Situation. HIV war zu dieser Zeit ein riesiges Thema und ein grosses Problem für die Prostituierten. Andere häufige medizinische Probleme waren Abszesse oder ungewollte Schwangerschaften.

Der Lila Bus besass keine wirkliche medizinische Einrichtung. Die Ärztin im Bus sprach viel mit den Prostituierten. Dann vermittelte sie weiter ans PUK oder USZ. Sie war die Anlaufsperson vor Ort und konnte dann bei den richtigen Kontakten einen Termin organisieren. Dies war wichtig, weil ohne sie die Prostituierten wieder weggeschickt wurden. Kleine medizinische Behandlungen, zum Beispiel Wundversorgungen, wurden natürlich trotzdem unmittelbar gemacht. Auch Hepatitis B-Impfungen führte die Ärztin durch und klärte die Frauen über Geschlechtskrankheiten auf.

Doch der Bus war noch viel mehr als das. Die Frauen bekamen einen Ort, an dem sie Ruhe hatten, weg vom Gehetze auf der Strasse. In Sicherheit konnten sie sich untereinander zusammenfinden. Sie sprachen miteinander über ihre Situation, tauschten sich über die Prostitution, die Drogen, die Obdachlosigkeit, aus. Ein wichtiger Teil der Anlaufstelle bildete die „schwarze Liste der Freier“ in der alle gewalttätigen Freier notiert wurden. So war es den Frauen möglich, sich gegenseitig zu warnen und zu schützen. 

Im Dezember 1991 wurde der Bus abrupt geschlossen. Gründe waren unter anderem, dass gewisse BewohnerInnen des Seefelds empfanden, der Bus locke noch mehr Drogenabhängige an. Der Strich wurde zur gleichen Zeit in das Industriequartier verlegt und an der Zollstrasse 111wurde eine medizinische Praxis für obdachlose Frauen eröffnet.

Illustrationen:

Schweizerisches Sozialarchiv, Bestand F 5107_Vogler Gertrud, Zürich, Heruntergeladen am 21.04.25

Literatur:

Podcast „Als im Seefeld ein Lila Bus stand“ von Elena Künzli Januar 2025

Neue Zürcher Nachrichten, Band 93, Nummer 182, 8.Aug 1989,

Neue Zürcher Zeitung Nummer 206, 6.September 1989

Interview mit Dorin Ritzmann, Gynäkologin & ehemalige Ärztin im Lila Bus, 1.05.25