Frauenhaus Violetta Zürich

Das Haus ohne Adresse
(Stellvertretend: Quellenstrasse 25, 8005 Zürich, die Adresse der Stiftung Frauenhaus Zürich) (Karte)

von Nina Hänseler

Ein Zufluchtsort ohne Adresse – Das ist die Idee des Frauenhauses Violetta in Zürich. Wie findet man die Unterkunft? Warum ist sie überhaupt geheim? Und was spielt sich hinter ihren unscheinbaren Türen ab?

Hintergrund

Wir befinden uns mitten in London, im Jahre 1972. Die Frauenbewegung ist in vollem Gange, während Gewalt gegen Frauen noch ein unausgesprochenes Tabuthema in der Gesellschaft darstellt. Erin Pizzey gibt den Startschuss des Wandels: Sie gründet das erste Frauenhaus Europas – ein Zufluchtsort für Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind in der Großstadt London. Bereits 4 Jahre später gibt es ganze 90 Frauenhäuser in Großbritannien. Deutschland folgt diesem Beispiel. Auch in der Schweiz sind Diskussionen über das Thema im Gange – denn auch hier fordern Frauen Gleichberechtigung und Schutz vor Misshandlung.

Geschichte

Die Gründung des ersten Frauenhauses Europas gibt auch in der Schweiz den Ansporn, etwas gegen die häusliche Gewalt gegen Frauen zu tun. In einer Gesellschaft, in der die Vergewaltigung in der Ehe noch nicht als Straftat angesehen wird, wird 1977 der Schweizer Verein zum Schutz misshandelter Frauen und deren Kinder gegründet – eine Reaktion auf die Frauenbewegung und dem Beispiel von Erin Pizzey folgend. Dieser Verein besteht anfangs nur aus zehn Frauen. Ihre Ziele sind einerseits eine Enttabuisierung des Gesprächs über häusliche Gewalt gegen Frauen und andererseits das Schaffen eines Zufluchtsorts für betroffene Frauen in Zürich.

Als erster Schritt Richtung Frauenhaus kontaktiert der Verein mehrere Hundert Fachpersonen und Ämter zum Thema Gewalt gegen Frauen. Ärzte, Psychiaterinnen, Pfarrer und Eheberater erhalten vom Verein einen Fragebogen, mit welchem er das Ausmass der Gewalt einzuschätzen versucht. Auch Politiker*innen werden kontaktiert, darunter der SP-Kantonsrat Armand Meyer. Als Eheschutzrichter hat er viel mit missbrauchten Frauen zu tun, fühlt sich allerdings aufgrund der Gesetzeslage hilflos und schenkt dem Verein deswegen gern ein offenes Ohr. Meyer reicht beim Kantonsrat eine Interpellation ein und fordert ihn auf, Beratung und Notunterkünfte für betroffene Frauen bereitzustellen.

Parallel erhebt der Verein eine weitere, breiter angelegte Umfrage mit schockierenden Resultaten und präsentiert diese an einer Pressekonferenz:

  • 81% der antwortenden Fachleute sind regelmässig mit dem Thema Gewalt gegen Frauen konfrontiert.
  • 25% erleben diese Gewalt täglich, 28% wöchentlich und 28% monatlich.
  • Beispiele für Gewaltformen reichen von physischer Gewalt wie „Schlagen“, „Geschlechtsverkehr unter Zwang“ oder „Zigarette auf der Haut und im Gesicht der Frau ausdrücken“ bis zu psychischer Gewalt: „Die Frau unter finanziellem Druck halten“, „Liebesentzug“, „Drohungen, Selbstmord zu verüben oder die ganze Familie zu erschiessen“ oder „Lächerlichmachen der Frau“.

Eine Unterstützung des Kantonsrats als Reaktion auf die Interpellation von Meyer können die Vereinsfrauen jedoch vergessen. Im Rathaus am Limmatquai tritt der Justizminister Arthur Bachmann auf und enttäuscht die Frauen mit einer ignoranten Antwort: Frauen würden Gewalt in der Ehe provozieren, seien also selber Schuld an ihrem Leid und die Männer seien die eigentlichen Opfer als Beschuldigte. Durch die Schaffung eines Frauenhauses könnte die Frau der Konfliktbewältigung aus dem Weg gehen und die Ehe „als Urzelle des Staates“ somit zerstören. Der Kantonsrat, der grösstenteils aus Männern besteht, erklärt sich somit nicht bereit dazu, den Verein zu unterstützen und amüsiert sich stattdessen mit frauenfeindlichen Witzen und höhnischen Kommentaren gegenüber den weiblichen Politikerinnen, welche den Verein unterstützen.

Also nimmt der Verein die Sache selbst in die Hand und schafft es, noch im selben Jahr die erste Beratungsstelle an der Lavaterstraße in Zürich zu eröffnen.

Wir hatten ein Flugblatt kreiert, das wir an Sozialdienste und Arztpraxen zum Auslegen sendeten. In einer Kartei sammelten wir Adressen von Anwältinnen, Ärztinnen, Psychologinnen, zu denen wir die Frauen schicken konnten. Wir dachten, wir seien gut vorbereitet. Aber dann kam schon am allerersten Nachmittag, als wir die Beratungsstelle eröffneten, eine Frau mit gepackten Koffern. Wir waren völlig überfordert!

Annemarie Leiser (Mitgründerin des Vereins) in Cristina Caprez‘ Buch: Wann, wenn nicht jetzt: Das Frauenhaus in Zürich. Zürich 2022.
Abb. 1: Die Lavaterstrasse in Zürich. Hier befand sich das Frauenzentrum, in der erstmals Beratungen für von Gewalt betroffene Frauen angeboten wurden.

Der Verein erkennt, dass dringend ein Frauenhaus her muss. Mit Spenden von Kirchgemeinden, Frauenvereinen und sogar Firmen schaffen die Frauen es, genügend Geld und Mitglieder zu sammeln. Der Verein stellt bei der Liegenschaftsverwaltung Zürich einen Antrag – mit Erfolg: Ende 1978 bietet die Verwaltung dem Verein eine für sechs Monate befristete Wohnung an der Weinbergstrasse an. Schon zwei Monate nach Eröffnung platzt die Wohnung aus allen Nähten – in den vier Zimmern leben zweitweise 18 Frauen. Ein klares Zeichen dafür, wie nötig die Stadt einen solchen Ort hat.

Kurz vor Ablaufen des Mietvertrags der Wohnung findet der Verein ein Haus, in welches er ziehen kann – elf Zimmer mit Küche und Spielraum. Wer genau verantwortlich ist, dass die Stadt dem Verein das Haus überlässt, darüber kursieren später noch verschiedene Geschichten.

Nach langem Hin und Her wird 1980 eine Stiftung von an der Bewegung beteiligten Frauen gegründet. Sie fordern staatliche Mittel, um von Gewalt betroffene Frauen entsprechend zu schützen und das Frauenhaus finanziell zu unterstützen.

Abb. 2: Im ersten Frauenhaus Zürichs, 1981.

Reorganisation und Aktuelles

1996 entsteht separat das Frauenhaus Violetta, welches speziell für gewaltbetroffene Migrantinnen gedacht ist. Die beiden Frauenhäuser werden 2013 unter dem Namen Frauenhaus Violetta zusammengeführt. Das Sozialamt des Kantons Zürich erklärt sich bereit, das Frauenhaus finanziell durch Subventionen zu unterstützen, weshalb die Stiftung schliesslich aufgelöst werden kann.

Das Frauenhaus wechselt über die Jahre noch einige Male seinen Standort. Heute befindet es sich an einem geheimen Ort irgendwo in Zürich, vermutlich in einer Wohngegend in einem unscheinbaren Ein- oder Mehrfamilienhaus.

Wozu genau ein Frauenhaus?

Das Frauenhaus Violetta bietet von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen und deren Kindern einen geschützten Zufluchtsort – geschützt vor missbräuchlichen Partnern und öffentlicher Blossstellung. Aus diesem Grund wird die Adresse streng geheim gehalten. Eine hilfesuchende Frau erreicht das Frauenhaus telefonisch.

Es werden 24 Betten im Haus angeboten sowie psychologische, rechtliche und seelische Hilfe. Das Ziel ist es, die Frauen in ihrer schwierigen Lage zu unterstützen, ihnen einen geregelten Tagesablauf zu bieten und sie wieder ins normale Leben zu integrieren. Deswegen ist das Frauenhaus auch nicht wie eine „Institution“ aufgebaut, sondern mehr wie eine Wohngemeinschaft, in der Frauen und ihre Kinder gemeinsam wohnen, kochen und ihren persönlichen Interessen nachgehen können.

Medizinhistorisch gesehen markiert die Gründung des Vereins und die Eröffnung des Frauenhauses einen wichtigen Wendepunkt in der Frauenbewegung. Es öffnet eine neue Tür der Möglichkeiten der psychischen und physischen medizinischen Behandlung von Frauen.

Bildquellen

Abb. 1: Eigene Aufnahme
Abb. 2: Comet Photo AG (Zürich), 1981 über https://www.e-pics.ethz.ch/index/ETHBIB.Bildarchiv.ID/ETHBIB.Bildarchiv_1541991.html

Literatur

[1] https://www.frauenhaus-zhv.ch/geschichte.html
[2] Cristina Caprez: Wann, wenn nicht jetzt: Das Frauenhaus in Zürich. Zürich 2022.