Wie eine HIV-Anlaufstelle neue Formen der Medizin nach Zürich brachte
Konradstrasse 1, 8005 Zürich (Karte)
von Billy Haag
Der Checkpoint Zürich war und ist ein wichtiger Teil in der Geschichte der HIV-Prävention. Er rettet aber nicht nur kranke Leben, sondern zeigt sich als Beispiel moderner, queer-freundlichen Medizin.
Die Lage – unscheinbar offensichtlich
Gleich am Ende der Zollbrücke winkt uns ein grosses Haus im Gründungsstilbau entgegen. Hier stand der Checkpoint Zürich, – die HIV-Anlauf- und Beratungsstelle von Zürich.
Um den Bau ist rund um die Uhr was los. Ein Gewimmel von Menschen mit Brummen von Motoren und Quietschen von Zugbremsen umhüllt das alte Haus.
Das Gebäude ist Teil des Industrieviertels von Zürich. Mit der Langstrasse ist es wohl der Hotspot des Zürchers Nachtlebens.
Bis vor Kurzem war der Sihlquai (die Strasse gleich an der vorderen Hausfront) der Zürcher Strassenstrich. Es ist also nicht verwunderlich, dass hier eine Fachstelle zu sexueller Gesundheit stand:
Einerseits durch die Nähe zum ganzen Geschehen wirkte der Ort mehr verbunden mit den Menschen.
Andererseits liess die stark frequentierte Umgebung den Menschen eine extreme Anonymität zu. Etwas, was – wenn es um auch heute noch stigmatisierte Themen geht – vermutlich geschätzt wurde.
Gleichzeitig sollte der Checkpoint auch nicht versteckt wirken. Die Regenbogenfahnen zeigen das deutlich.
Altes Haus…
Das ursprüngliche Wohnhaus wurde im Jahr 1876 vom Gastwirt Konrad Schneebeli erbaut. (Er gab der Konradstrasse auch ihren Namen).
Seine Wirtschaft „Zum Vorbahnhof“ ist heute noch in Betrieb und wird als Brasserie geführt.
Bei einem Blick über den Restauranteingang leuchteten zahlreiche Regenbogenfahnen. Hier in den oberen drei Stockwerken hatte sich im Jahr 2006 der Checkpoint-Zürich niedergelassen.
Das Haus wurde auch wegen seiner Nähe zur Drogenfachstelle gewählt.
Die inneren Räumlichkeiten mussten erst noch renoviert werden. Doch die Grundstruktur eines Wohnhauses blieb dennoch bestehen.
Enge Flure, knarrendes Parkett oder enge Fenster zum Hof standen im zeitlichen Kontrast mit den offen ausgelegten Schüsseln voller Kondomen, den Pride-Zeitschriften und den Safer-Sex Postern.
Bei unseren heutigen Vorstellungen einer Gesundheitseinrichtung würde man hier nicht auf eine Praxis schliessen.
… – Alte Ideen – …
Der Checkpoint in seiner Anfangsform entsprach einer Anlaufstelle für männliche Sexarbeiter, die Sex mit Männern haben (MSM).
Die HIV-Ansteckungsraten waren bei dieser Gruppe besonders hoch: Mit Testen, Beraten und Aufklären wollte man auch präventiv Schutz bieten.
Das Projekt entstand aus einer Zusammenarbeit der Zürcher AIDS-Hilfe (ZAH) und der Arud (Zentrum für Suchtmedizin). Unterstütz wurde es von Stadt und Kanton.
Ein gemeinsames Ziel: Die Infektionszahlen unter MSM sollen sinken.
Unterstützung dieser HIV-Risikogruppe ist in Zürich kein Novum. Bereits im Jahr 1998 wurde das Projekt „Herrmann“ vom Verein Zürcher Sozialprojekte realisiert. Auch hier gab es Unterstützung von der Stadt.
(Im Stadtrat wollte man dazumal noch mit einem Referendum gegen die Kostenzusprache von 30’000 Franken sprechen)
Beide Projekte wurden also als Reaktion auf steigende Infektionszahlen ins Leben gerufen.
… neue Umsetzung!
[…]
Philip Bruggmann – Schweizerische Ärztezeitung, 2007
Durch die ärztlich geleitete Sprechstunde ist ein
umfassendes Angebot möglich. So können nebst
der Vor- und Nachtestberatung für HIV-Tests
auch eine STI-Diagnostik, Impfungen und Therapien angeboten werden.
Die Ansteckungsraten forderten eine Massnahme, aber nicht nur die Zahlen sprachen dafür. Es brauchte eine Anlaufstelle, wo ungezwungen und schamfrei über Sexualkrankheiten gesprochen und aufgeklärt werden konnte.
Im Gegensatz zum Projekt Herrmann ist das Angebot beim Checkpoint viel breiter. Auch im Vergleich zu anderen derzeitigen Anlauforten. Dort wird „nur“ auf HIV getestet. Für alles andere mussten die Menschen überwiesen werden, zum Beispiel an Hausärzte. Dort war der ungezwungene Umgang mit dem Thema nicht leicht und externe Fachkräfte waren obendrein oft nicht gut aufgeklärt.
Der Checkpoint bietet neben HIV-Testung auch Sprechstunden an, wobei möglichst viel vor Ort immer in Kontakt mit den Menschen gemacht wird. Die Fachpersonen sind umfangreich informiert und aufgeklärt.
Sie können so den Bedürfnissen der Personengruppe bestens entgegenkommen.
Der Checkpoint ist also eine neue Form der Medizin. Er bringt gesundheitliche und psychologische Beratung in einen geschützten Rahmen. So haben Betroffene eine grossflächige Unterstützung auf minimal exponiertem Raum.
Heute – mehr als nur HIV und MSM
Der Checkpoint entwickelte sich in seiner kurzen Geschichte immerzu weiter.
Mit der Aufhebung des Strassenstrichs am Sihlquai veränderte sich seine Umgebung, doch getestet wird weiterhin.
Bei Grossanlässen, wie die Pride-Demonstration, findet man den Checkpoint als mobiles „Test-Büsschen“. Die Nähe wird konstant gesucht.
Zusätzlich hat der Checkpoint in den letzten Jahren sein Angebot noch mehr ausgebaut. Besonders in Sachen wie Geschlecht-/ Transgender-Beratung ist viel Neues dazu gekommen.
Die Zielgruppe umfasst heute alle Menschen, die Beratung, Unterstützung oder einen sicheren Raum brauchen.
So viele Angebote fordern viel Platz und bedeuten auch mehr Menschen. Jährlich nehmen 30’000 Personen von ihnen gebrauch.
Da ist der Bau an der Konradstrasse nun an seine Grenzen gestossen.
Zukunft
Der Checkpoint sieht das Kapazitätsproblem als gute Chance, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Im Jahr 2022 lancierte man ein Crowdfunding-Projekt zur Realisierung einer neuen Örtlichkeit:
[…] Mittlerweile ist die Liegenschaft in die Jahre gekommen. Und Ihr Klient*innen seid euch heute moderne Praxisräumlichkeiten gewohnt […]. Gleichzeitig können wir am aktuellen Standort nicht mehr wachsen und euch keine neuen Dienstleistungen mehr anbieten.
cpzh.ch/limmatstrasse
Es sollte eine offene, grosszügige Räumlichkeit entstehen, die weiteren neuen Gesundheitsangeboten für queere Menschen Platz schenken kann.
Das neue Gebäude an der Limmatstrasse 25 ist lediglich drei Minuten von dem aktuellen Standort an der Konradstrasse entfernt. Der Umzug fand im Mai 2023 statt.
Bild 3: der geplante Neubau an der Limmatstrasse 25
Bildquellen
Abb. 1: (Checkpoint Zürich, Bastian Baumann, 2022)
Abb. 2: (E-Pics Baugeschichtliches Archiv (ethz.ch))
Abb. 3: (Limmatstrasse * Checkpoint Zürich (cpzh.ch))
Video 1: (Checkpoint Zürich – YouTube)
Literatur
Bruggmann, Philip: Checkpoint Zürich – ein Gesundheitszentrum für MSM. Eine Antwort auf die Zunahme von HIV und andern Geschlechtskrankheiten bei MSM, 2007, Artikel Schweizerische Ärztezeitung, Stand: 05.2023
Checkpoint Zürich, cpzh.ch, Stand: 05.2023