Text-Bild-Verhältnisse: Die Titelseiten frühneuzeitlicher Praktiken und Praktikparodien

Das prophetisch-astrologische Schrifttum der Frühen Neuzeit Im 15. und 16. Jahrhundert florierte das astrologisch-prophetische Schrifttum geradezu, nahm Einfluss auf das alltägliche Leben, aber auch auf Politik, Religion und Wissenschaft: Sogenannte ,Lasstafeln‘, Ein- oder Mehrblattdrucke, verrieten unter Angabe der Neu- und Vollmonde günstige Termine für medizinische Behandlungen, insbesondere den Aderlass, aber auch für landwirtschaftliche Tätigkeiten wie Aussaaten. Die zu ihnen ursprünglich als Ergänzung gedachten ‚Praktiken‘ oder ,Prognostiken‘ machten hingegen die Gestirnkonstellation zu Jahresbeginn oder im Jahresverlauf zum Ausgangspunkt ihrer Vorhersagen und etablierten sich schließlich als eigenständige Gattung. Sie gaben vornehmlich Auskünfte über Witterungsbedingungen und Ernteaussichten, aber auch zu Krankheiten, Unglücksfällen oder

Adressierungsstrategien in Trauer-Tweets aus linguistischer und theologischer Perspektive

In diesem Blogbeitrag geben wir einen Einblick in die Trauer-Kommunikation auf Twitter. Wir untersuchen, wie Menschen ihre Trauer im Internet – hier konkret auf dem Microblogging-Dienst Twitter – ausdrücken. Zunächst gehen wir auf unsere Daten und methodischen Herangehensweisen ein, im Anschluss daran präsentieren wir einige Ergebnisse. Als Datengrundlage haben wir ein Korpus mit Tweets erstellt, die mindestens einen der folgenden Hashtags enthielten: #RIP, #restinpeace, #RuheInFrieden oder #R.I.P. Berücksichtigt wurden ausserdem nur Tweets, die von Twitter als Deutsch getaggt worden waren und keine Retweets sind. Der gesicherte Zeitraum reicht von Twitters Gründung 2006 bis zum Zeitpunkt der Erhebung, die zwischen dem

Die Kopien der Madonna di Trapani: Medien eines Gnadenbildes

Im 17. Jahrhundert hatte die Verehrung marianischer Gnadenbilder längst globale Ausmasse angenommen, wie der Jesuit Wilhelm Gumppenberg in seinem Atlas Marianus, einer Sammlung von 1200 wundertätigen Bildern der Jungfrau Maria aus aller Welt, den Lesern deutlich vor Augen zu führen suchte.[1] Insgesamt 266 Ordensbrüder hatten sich an dem in seiner geografischen Expansion einzigartigen Projekt beteiligt und Gumppenberg in rund 2000 Briefen von der Geschichte und dem Wirken ihrer lokal verehrten Bildnisse berichtet.[2] Eines dieser Mariengnadenbilder war die Madonna di Trapani (Abb. 1). Ab dem 15. Jahrhundert hatte die in der sizilianischen Küstenstadt Trapani verehrte Marmorstatue der Jungfrau Maria bei den Gläubigen zusehends

Mit Steinen kommunizieren? Materielle Darstellungsformen des Bergkristalls im Mittelalter

Viele Objekte der mittelalterlichen Kunst und Kultur bestehen typischerweise aus den kostbarsten und seltensten Materialien.[1] Insbesondere Dinge, die in physischer Realpräsenz mit dem Heiligen (z. B. Reliquiare) oder innerhalb erzählender Texte mit dem Wunderbaren (z. B. Zelte, Automaten, Schwerter) in Verbindung stehen, erhalten zusätzlichen Glanz und sind häufig zu großen Teilen mit Edelsteinen besetzt.[2] Die wertvollen Steine dienen dabei aber nicht ausschließlich der Aufwertung und Zierde der einzelnen Kunstwerke, sondern können in verschiedener Hinsicht funktionalisiert sein. Neben allegorischen Implikationen, die insbesondere in der christlichen Exegese mit den Steinen zusammenhängen, sind es auch spezifische Konfigurationen des Materials, die in bildender Kunst und Literatur

Gesungenes Heil: ›Die Bibel in drei Liedern‹ (Augsburg 1534)

Im Anfang da schuoff Gotte Den himmel vnd die erd  Auch ruowet er on spotte Ein spyß verbot der werd. Die schlang verfürt daz wybe mit sampt dem mann darnach. Der Cayn bracht von lybe Sin bruoder Abel trüwe Die vätter sturben gmach. (Gn 1,1–5) Die Strophe entfaltet in äußerster Verknappung das Spektrum von Schöpfungsgeschichte, Sündenfall, Brudermord und Geschlechtsregister von Adam und seinen Kindern bis auf Noahs Geburt (Gn 5,29). Während die ersten beiden Verse den Beginn des ersten Buchs Mose in einer auf Wiedererkennbarkeit angelegten Wörtlichkeit präsentieren (In principio creavit Deus caelum et terram Gn 1,1), komprimieren die folgenden

Medialität des Erzählens in der skandinavischen Literatur der Frühen Neuzeit

Texte entstehen nicht in einem luftleeren Raum, sondern in sehr konkreten, materiellen und medialen Kontexten: Texte werden verfasst, sie werden in Handschriften, gedruckten Büchern, Zeitschriften, Zeitungen und in digitalen Formaten überliefert. Texte werden verkauft, vermarktet und letztlich gelesen und rezipiert. Kurz: Sie gehen durch zahlreiche Hände. Was zunächst offensichtlich ist, wird gleichwohl gerade in erzähltheoretischen Studien häufig übersehen. Das SNF-Projekt Romanhaftwerden. Skandinavische Prosaliteratur der späten Vormoderne (Universität Zürich, unter der Leitung von Lena Rohrbach und Klaus Müller-Wille) nimmt sich dieses Desiderats mit einem Fokus auf die Literatur der Frühen Neuzeit an.[1] Zentral ist hierbei die Skizzierung einer historischen Erzähltheorie, die

›Made in Oberammergau‹ – Materialität und Repräsentation der Oberammergauer Passions-Souvenirs

The souvenir distinguishes experiences. We do not need or desire souvenirs of events that are repeatable. Rather we need or desire souvenirs of events that are reportable, events whose materiality has escaped us, events that thereby exist only through the invention of narrative. (Stewart 1984: 135) Die Oberammergauer Passionsspiele sind ein weltberühmtes Ereignis, das nur alle zehn Jahre und nur in Oberammergau erlebt werden kann. Dementsprechend besteht bei den Besuchern seit langem eine Nachfrage nach Erinnerungsstücken und Zeugnissen, die das Erlebnis materialisieren und mitnehmbar machen. Die Passionsspiele werden jedoch bis heute als nicht-gewinnorientierte Erfüllung eines religiösen Gelübdes inszeniert. Dementsprechend wurden

Spielplätze der frühen Neuzeit oder: Wo sich Mediävist:innen vergnügen

Eine lange Tafel, drei Mönche sitzen drei Bürgern gegenüber, vor ihnen ein Spielbrett, Spielkarten und Würfel, ein neugieriger Zuschauer blickt gespannt auf die Würfel kurz vor dem Fall, Papst und Kardinal greifen im Angesicht der drohenden Niederlage mit Gewalt ins Spiel ein; in dem, um ca. 1570 verm. in Antwerpen entstandenen, Druck von Pieter van der Heyden trifft Spiel auf Ernst, Kommunales auf Agonales, Weltliches auf Geistliches, Text auf Bild. Eingefasst sind die Spielenden von vier Spruchfeldern, die auf Niederländisch einen heftigen Streit zwischen Geistlichen und Bürgerlichen wiedergeben. Inmitten dieser buchstäblichen Streitschriften präsentieren sich nicht nur drei der beliebtesten Spiele

Staunen im Kinderbuch – Eine historische Ausstellung

«Ei du kleiner Knirps, was gibt’s denn durch das Guckloch zu schauen? Willst du aus der engen, bekannten Welt des elterlichen Gartens einen Blick hinaus tun in die weite, unbekannte Welt draussen?» fragt die Pädagogin Adelheid Stier den kleinen Protagonisten ihrer Kurzgeschichte Am Ausguck. Zur Sprache kommen hier die kindliche Schaulust und Neugier, aber sogleich auch ihre Tücken. Denn der Knabe erblickt den furchteinflössenden Nachbarshund und nimmt Reissaus: «Von dem Ausguck in die weite Welt aber hat er vorläufig genug […].» Dem Drang des Knaben, Neues und Unbekanntes zu entdecken, stehen Sicherheit und Vertrautheit des Elternhauses gegenüber. Sich von dieser

Passion Reloaded. Das Reenactment des Krämerspiels aus dem Innsbrucker Osterspiel in Oxford

Easter Plays in the medieval German speaking world (Rebekka Gründel) In the German Easter Plays, the name says it all: celebrating Easter and the salvation that it brings for Christianity is programme. Christ’s resurrection is depicted in great detail, using monologic and dialogic form to create an immersive and lively atmosphere. Although claiming that the Easter Play is a direct development of the liturgical Easter celebration would be a form of literary Darwinism, it is clear that there is a strong connection between religious rite and theatrical play. Beginning as early as the 10th century and continued well into the