Goldgrund, der goldene Grund einer Bildfläche, macht in der Moderne eine erstaunliche Karriere und wird zu viel mehr als nur einem Malgrund in der Buch- und Tafelmalerei. In Wand- oder Deckenmosaiken der byzantinischen Kunst sind Goldgründe, für die neben Blatt- auch Pulvergold und Goldimitationen verwendet werden,[1] seit dem 4. Jahrhundert belegt.[2] Weil Gold durch den ihm innewohnenden Glanz Licht erzeugt und nicht eigentlich eine Farbe ist, sondern ein Metall und damit ein kostbares Material,[3] wird es in der christlichen Vormoderne bevorzugt für sakrale Kunst und insbesondere für die Darstellung von Heiligen und deren Heiligenschein verwendet (Abb. 1 und 2). Von einer Technik wird der Goldgrund im Lauf der Zeit dann zum literarischen Motiv und betreibt letztlich gar selbst mediale Heiligsprechung.

Abb. 1: Saint François d’Assise, Goldgrund auf Holz (Schule von Latium, 1225/1250 [2e quart du XIIIe siècle]). Bildnachweis: © 2012 RMN-Grand Palais (Musée du Louvre) / Tony Querrec. https://collections.louvre.fr/ark:/53355/cl010065522.
Abb. 2: Girolamo di Benvenuto: La Vierge et l’Enfant entre saint Bernardin et sainte Catherine de Sienne, Goldgrund auf Holz (1505/1510 [Fin du XVe siècle – début du XVIe siècle]). Bildnachweis: © 2001 RMN-Grand Palais (Musée du Louvre) / René-Gabriel Ojéda. https://collections.louvre.fr/ark:/53355/cl010053606.

Im kunstbegeisterten 19. Jahrhundert wandert der Goldgrund in der deutschsprachigen Literatur in den Text, wenn er bei Annette von Droste-Hülshoff, Conrad Ferdinand Meyer oder Gottfried Keller zum Verhandlungsgegenstand wird. Droste-Hülshoff nutzt den Goldgrund in ihrem Gedicht Das Haus in der Haide (1844), um die idyllisch-ländliche Szenerie, die in den ersten sieben Strophen geschildert wird, als Illusion zu entlarven. In der achten Strophe heißt es: Es ist ein Bild, wie still und heiß / Es alte Meister hegten, / Kunstvolle Mönche, und mit Fleiß / Es auf den Goldgrund legten.[4] Indem es die sakrale Kunst aufruft, stellt das Gedicht eine Verbindung zur Geburt Jesu her, die in der letzten Strophe explizit wird: Ist etwa hier im Stall vielleicht / Christkindlein heut geboren?,[5] wobei die unerwartete Verklärung einer herkömmlichen spätsommerlichen Abendszene zum Weihnachtsbild die aufgerufene Erhabenheit parodiert.[6] Meyer widmet dem Goldgrund 1882 gar ein eigenes Gedicht, in dem er dessen Anwendungsbereich ebenfalls über die sakrale Kunst hinaus ausweitet.

Auf Goldgrund

Ins Museum bin zu später

Stunde heut ich noch gegangen,

Wo die Heilgen, wo die Beter

Auf den goldnen Gründen prangen.

Dann durchs Feld bin ich geschritten

Heißer Abendglut entgegen,

Sah, die heut das Korn geschnitten,

Garben auf die Wagen legen.

Um die Lasten in den Armen,

Um den Schnitter und die Garbe

Floß der Abendglut, der warmen,

Wunderbare Goldesfarbe.

Auch des Tages letzte Bürde,

Auch der Fleiß der Feierstunde

War umflammt von heilger Würde,

Stand auf schimmernd goldnem Grunde.[7]

Genau umgekehrt zum Haus in der Haide deutet das Ich bei Meyer – ausgehend von den Heiligenbildern auf goldnen Gründen,[8] die es im Museum betrachtet hat – die kornschneidenden Schnitter als Ausdruck einer ‚heiligen Würde‘ auf schimmernd goldnem Grunde.[9] Der Goldgrund kann also sowohl zur Desavouierung der ländlichen Idylle als auch zur Konstitution einer solchen eingesetzt werden.

Zum ironischen Zitat wird er schließlich bei Keller, der die Intermedialität des Goldgrunds in seinen Sieben Legenden (1872) reflektiert.[10] Diese sollten ursprünglich gar den Titel Auf Goldgrund, sieben Legenden von N. N. tragen, um damit „auf alte Heiligenbilder“ anzuspielen.[11] Allerdings verwarf Keller den Titel, weil sein Freund Friedrich Theodor Vischer ihn für zu ironisch hielt, „zu subjectiv, zu erregt u. erregend, auffordernd“.[12] Denn, da ist sich Vischer sicher, wenn ein realistischer Autor wie Keller plötzlich Legenden schreibe und also mit einer eigentlich religiösen Gattung arbeite, so sei auch mit „Sieben Legenden“ allein die Ironie, die in den so betitelten Texten stecken müsse, hinreichend deutlich.[13] Doch auch wenn der Titel letztlich anders lautet, bleibt die intermediale Referenz vor allem auf sakrale Kunst für die Sieben Legenden zentral, wie beispielsweise in den sogenannten Marienlegenden deutlich wird, in denen die Jungfrau in einer narrativen Metalepse aus dem den Altar schmückenden Marienbild springt und ins Geschehen eingreift. Keller geht es dabei um eine Neuausrichtung der vormals religiösen Gattung nach einer anderen Himmelsgegend.[14]

Auch in der bildenden Kunst erhält sich der Goldgrund über die Jahrhunderte hinweg, so dass er im 20. Jahrhundert gar neue Heilige schaffen kann. Wenn 1969 Barkley L. Hendricks mit Lawdy Mama (Abb. 3: https://www.studiomuseum.org/artworks/lawdy-mama) das Porträt einer Schwarzen Frau mit einem an einen Heiligenschein erinnernden Afro auf einem gewölbten blattgoldenen Hintergrund malt, so zitiert er nämlich nicht nur die jahrhundertealte Bildtradition, sondern spricht die Abgebildete auch ikonographisch heilig. Indem Hendricks sakrale Gemälde zitiert, erweitert sein Porträt die bis dato limitierte Repräsentation von Schwarzen Menschen in der westlichen Kunstgeschichte, worin sich sein Interesse an der Geschichte der Porträtkunst mit einem wachsenden Bewusstsein für Schwarze Selbstrepräsentation verbindet.[15] Damit vergrößert er den Kreis der mehrheitlich weißen Heiligen und ermöglicht dem Goldgrund einen Schritt in die Moderne.

Wie in dieser kurzen Skizze gezeigt, bleibt der Goldgrund weit über die vormoderne christliche Kunst hinaus populär, wird im kunstaffinen 19. Jahrhundert zur intermedialen Referenz in der Literatur und gewinnt als Bildzitat im 20. Jahrhundert subversive Kraft, indem mit dem Goldgrund die Gruppe der Heiligen ikonographisch erweitert wird.


[1] Vgl. Vera Trost: Gold und Silber in mittelalterlichen Handschriften – Technische Anweisungen für Maler und Schreiber. In: Tilman Osterwold (Hg.): Das Goldene Zeitalter. Die Geschichte des Goldes vom Mittelalter zur Gegenwart. Katalog zur Ausstellung des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart vom 23. November 1991 bis 9. Februar 1992. Stuttgart 1991, S. 253–260, hier S. 255.

[2] Vgl. Christine Sauer: Zum Goldgrund in der mittelalterlichen Buchmalerei. In: Osterwold, Das Goldene Zeitalter (wie Anm. 1), S. 246–251, hier S. 246.

[3] Vgl. Lorenz Dittmann: Farbgestaltung in der europäischen Malerei. Ein Handbuch. Köln/Weimar/Wien 2010 (UTB 8429), S. 13.

[4] Annette von Droste-Hülshoff: Das Haus in der Haide. In: Historisch-kritische Ausgabe. Hg. von Winfried Woesler. Bd. 1. Gedichte zu Lebzeiten. Text. Bearb. von Winfried Theiss. Tübingen 1985, S. 65 f., V. 29–32.

[5] Ebd. V. 39 f.

[6] Vgl. Cornelia Blasberg/Jochen Grywatsch: Einleitung Kap. Haidebilder. In: Dies. (Hg.): Annette von Droste-Hülfshoff Handbuch. Berlin/Boston 2018, S. 212–218, hier S. 217.

[7] Conrad Ferdinand Meyer: Auf Goldgrund. In: Sämtliche Werke. Historisch-Kritische Ausgabe. Bes. von Hans Zeller/Alfred Zäch. Bd. 1. Wabern-Bern 21997, S. 84.

[8] Ebd. V. 4.

[9] Ebd. V. 16.

[10] Vgl. zum Goldgrund in Kellers Marienlegenden Carolin Rocks: Maria auf Goldgrund. Keller über das Glück (Sieben Legenden). In: Philipp Theisohn (Hg.): Kellers Erzählen. Strukturen – Funktionen – Reflexionen. Berlin/Boston 2022 (Gottfried Kellers Moderne 1), S. 217–244.

[11] Keller an Friedrich Theodor Vischer, 1.10.1871. In: Gottfried Keller: Sämtliche Werke. Historisch-Kritische Ausgabe. Hg. von Walter Morgenthaler. Bd. 23.2: Sieben Legenden. Apparat 2 zu Band 7. Hg. von Walter Morgenthaler et al. Basel/Frankfurt a. M./Zürich 1998, S. 380.

[12] Vischer an Keller, 18.10.1871. In: Ebd., S. 382.

[13] Vgl. ebd.

[14] Gottfried Keller: Sieben Legenden. In: Sämtliche Werke (wie Anm. 11), Bd. 7: Das Sinngedicht. Sieben Legenden. Hg. von Walter Morgenthaler et al. S. 331–427, hier S. 333. Vgl. dazu Zoe Zobrist: Poetik der Ambiguität. Generische und intermediale Bezüge in Gottfried Kellers Tanzlegendchen. In: Frauke Berndt (Hg.): Kellers Medien. Formen – Genres – Institutionen. Berlin/Boston 2022 (Gottfried Kellers Moderne 2), S. 157–175. Mit der Legende im 19. Jahrhundert befasst sich auch das Dissertationsprojekt, an dem ich momentan arbeite.

[15] Vgl. Trevor Schoonmaker: Birth of the Cool. In: Ders. (Hg.): Birth of the Cool. Barkley L. Hendricks. Durham, N.C. 22017, S. 15–37, hier S. 19. Abb. 3: Barkley L. Hendricks: Lawdy Mama, Öl und Blattgold auf Leinwand (1969). The Studio Museum in Harlem; gift of Stuart Liebman, in memory of Joseph B. Liebman. All Rights Reserved, via Jack Shainman Gallery, New York. Online: https://www.studiomuseum.org/artworks/lawdy-mama.

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