Papier, Tintenfass und Federkiel spielen eine wichtige Rolle in Roberto Benignis und Massimo Troisis charmanter Zeitreise-Komödie Non ci resta che piangere (Nothing Left to Do but Cry) von 1984.[1] Nachdem die beiden Protagonisten Saverio (Benigni) und Mario (Troisi) aus unerklärlichen Gründen in der Vergangenheit landen, etablieren sich die Schreibutensilien rasch als Signatur der Zeit – die Jahresangabe lautet wiederholt beinahe 1500. Feder, Tinte und Papier, besonders in ihrer Verwendung beim Briefschreiben, bilden im Verlauf des Films ein mediales Ensemble, das den Protagonisten ermöglicht, in die Vergangenheit einzugreifen – wobei der faktische Status ihres Wirkens schillernd bleibt. Die ziemlich genau in der Mitte des Films situierte Schreibszene eines Briefs an Girolamo Savonarola verleiht dem Medium seine prominente Rolle und bildet das Kernstück dieser Ausführungen.

Der Film setzt ein mit Saverio und Mario im Auto. Die beiden Freunde arbeiten an derselben Schule, Mario als Abwart, Saverio als Lehrer. Situiert ist die Handlung in der Idylle der toskanischen Landschaft. Saverio schimpft auf den Ex-Verlobten seiner Schwester, der ihr mit dem plötzlichen Abbruch des Verhältnisses (vor drei Jahren) das Herz gebrochen hat. An einer Barriere angelangt, die sich aufgrund einer unbestimmten Anzahl zu passierender Züge in absehbarer Zeit nicht bewegen wird, entschliessen sie sich, einen anderen Weg zu versuchen.

Das unbekannte Strässchen führt sie allerdings tiefer aufs Land, bis der Motor des Wagens schlapp macht. Noch dazu zieht ein Gewitter auf und es dunkelt ein, die beiden suchen Unterschlupf unter einem Baum, wo sie, wie schon auf der Fahrt, in Streitereien geraten. Ab diesem Moment befinden sie sich in der Vergangenheit. Nichts ahnend gehen sie auf eine Laterne zu und finden eine Übernachtungsmöglichkeit in der locanda al gatto rosso (‚Gasthaus zur roten Katze‘). Nachdem die Wirtin sie zu den Betten gewiesen hat, verweilt die Kamera einen Moment auf einem von Kerzenlicht erleuchteten Schreibpult mit Tintenfass und Federkiel (12:32). Als die Freunde unter Zanken endlich eingeschlafen sind, sehen wir die Wirtin an eben jenem Schreibpult die Schreibfeder vom Papier absetzen, auf dem das Jahr 1492 steht (15:29). Bildsprachlich ist somit die Relevanz des Schreibens hervorgehoben.

Anfänglich ungläubig, gleichzeitig schockiert, realisieren die Protagonisten auf mehrfaches Nachfragen hin, dass sie sich im Städtchen Frittole und zwar beinahe im Jahr 1500 befinden (17:57–18:25). Sie freunden sich mit Vitellozzo an, der in einem Mordanschlag soeben seinen Bruder verloren hat, dessen die beiden Zeugen geworden sind. Von der Alltäglichkeit der Gewalt aufgewühlt, werden die Freunde aufgenommen im Haus von Vitellozzo und seiner Mutter Parisina, die die örtliche Metzgerei betreiben. Auch die Hygiene und der Kleidungsstil sind befremdlich, doch allmählich finden sie sich zurecht. Zumindest Saverio scheint fast bereitwillig die Situation anzunehmen, während Mario mit Unverständnis und Ängstlichkeit reagiert.

Vitellozzo geht davon aus, dass die Schergen Girolamo Savonarolas den Mord an seinem Bruder zu verantworten haben, und beschwert sich über die rigiden Regeln des Alltagslebens, die veranlasst wurden. Angespielt wird dabei auf die Folgezeit nach den von Savonarola angetriebenen Reformen in der Stadt Florenz, als seine Herrschaft diktatorische Tendenzen annahm und seine Anhänger die Bevölkerung einschüchterten und unterdrückten.[2] Aus Protest widersetzt Vitellozzo sich sodann der ora di buio (37:17; ‚Stunde der Finsternis‘). Als er wenig später abgeführt wird, entscheidet sich Saverio, einen Befreiungsversuch zu starten – und zwar per Brief. Saverio sieht sich und Mario nämlich berufen, politisch in die Epoche [zu] intervenieren und Dinge zu tun, die der Welt nützen. Die in der Metzgerei über dem Pult aufgehängte Gans dient ihnen als Papeterie und liefert Schreibfedern, die Saverio allerdings als Stifte bezeichnet und sich kurz darüber erstaunt zeigt, dass es Tinte zu verwenden gilt (51:08–54:58).

Zankereien und Diskussionen über die wohl angebrachten Formulierungen bilden ihren losen Schreibprozess. Die sich hier nur schwer einzufangende Komik lebt vom Duett ihrer – offensichtlich improvisierten – dialektalen und umgangssprachlichen Spielereien. Versucht man den schliesslich effektiv zu Papier gebrachten Brief zu extrahieren, den wir Zuschauende allerdings nie zu sehen bekommen, ergibt sich etwa folgendes Transkript:


Santissimo Savonarola

Quanto ci piaci a noi due! Scusa le volgarità eventuali.

Santissimo, potresti lasciare libero Vitellozzo, se puoi, eh?

Savonarola! Che c’è? E che? Oh! Diamoci una calmata, eh! Oh!

E che…e che…e che…e che. Ma qua pare che ogni cosa, uno non si può muovere. Questo e quello… Oh!

Noi siamo due personcine perbene, che non farebbero male nemmeno a una mosca, figuriamoci a un santone come te. Anzi.

Noi ti salutiamo con la nostra faccia sotto i tuoi piedi. Senza chiederti nemmeno di stare fermo, puoi muoverti quanto ti pare e piace e noi zitti sotto. Scusa il paragone con la mosca e il frate. Non volevamo offenderti.

I tuoi peccatori con la faccia, dove sappiamo, sempre zitti sotto.

Allerheiligster Savonarola

Wie sehr Du uns beiden gefällst! Entschuldige die allfälligen Vulgaritäten.

Heiligster, würdest Du Vitellozzo freilassen, wenn Du kannst, hm?

Savonarola! Was ist los? Und was? Oh! Beruhigen wir uns, hm! Oh!

Und was…und was…und was…und was? Aber hier scheint es, dass jede Sache, man kann sich kaum bewegen. Dieses und jenes. Oh!

Wir sind zwei anständige Persönchen, die keiner Fliege etwas zu leide tun würden, geschweige denn einem gigantischen Heiligen wie Dir. Ganz im Gegenteil.

Wir grüssen Dich mit unserem Gesicht unter deinen Füssen. Ohne Dich auch nur zu bitten, still zu stehen. Du kannst dich bewegen, so viel du willst und magst. Und wir still drunter. Entschuldige den Vergleich mit der Fliege und dem Mönch. Wir wollten dich nicht beleidigen.

Deine Sünder mit dem Gesicht, wo wir wissen, immer noch still drunter.


Neben dem frei assoziierten Kauderwelsch bietet die Szene (54:25–59:21) ein gekonntes Spiel mit gesprochener Sprache und Schriftsprache. Die Protagonisten versuchen, Missverständnissen, die der historischen Distanz entspringen könnten, zuvorzukommen und sich vorauseilend für mögliche Beleidigungen zu entschuldigen. So fragen sie sich, ob den damaligen Leuten das Ausrufezeichen schon vertraut gewesen sei, und befürchten, es könnte als Piktogramm aufgefasst werden. Deshalb entscheiden sie sich für den angehängten Satz: Entschuldige die allfälligen Vulgaritäten. Allfällig, weil sie nicht sicher sein können, ob ihr Brief stellenweisen denn wirklich als vulgär aufgefasst würde. Dass sie ihren Adressaten durchgängig duzen, scheint ihnen allerdings nicht aufzufallen. Lassen sie einerseits Vorsicht walten, glauben sie andererseits, sich durchaus umgangssprachlicher Interjektionen bedienen zu dürfen, da Savonarola sich auch so ausdrücke. Wie sie auf diese Annahme kommen, sei dahingestellt. Die eigentliche Komik entsteht aber nicht nur, indem ihr fragwürdiges historisches Wissen ausgestellt wird, sondern in der direkten Überführung von gesprochener Sprache in Schrift.

Über den Titel des Films lässt sich eine intertextuelle Perspektive auf diese Briefszene gewinnen. Ein Zitat Petrarcas ist nach eigenen Angaben titelgebend.[3] Entnommen ist es seinem Widmungsbrief der Epystole, der Briefe in Versen, an Barbato da Sulmona.[4] Die Sammlung, die Petrarca etwa seit 1350 anlegte, vereint lateinische, in Hexameter verfasste Briefe hauptsächlich aus seiner Jugend und aus den produktiven Jahren nach der Dichterkrönung (1341–1353). Als er den Widmungsbrief um das Jahr 1357 absandte, bestand wohl schon die Einteilung in drei Bücher, allerdings dauerte es noch bis 1363/64, bis Petrarca dem Widmungsträger die Sammlung zukommen liess und so effektiv publizierte.[5] Die Widmung an Barbato da Sulmona setzt mit einer Reflexion auf den versandten Brief selbst ein:

Si michi seva pium servassent sidera regem, / Pars animi, Barbate, mei, non litera cordis / Nuntia per castos tractus telluris et unde / Ambiguum temparet iter; tua lumina presens / Aspicerem, vox viva tuas contingeret aures. / Mors vetat. (V. 1–6)[6]

Hätten mir die grausamen Gestirne den gütigen König erhalten, Barbato, Hälfte meiner Seele, so müßte nicht dieser Brief, meines Herzens Bote, die gefährliche Reise so weit über Land und Meer unternehmen. Ich sähe dein Antlitz mit eigenen Augen, und meine lebendige Stimme erreichte dein Ohr. Dies aber verhindert der Tod des Königs.

Die Klage gilt dem verstorbenen König Robert von Anjou, Förderer Petrarcas auf dem Weg zur Dichterkrönung wie auch eines Humanistenzirkels in Neapel, wo die beiden Briefkorrespondenten sich anfreundeten. Mit dem Tod des Königs bleibt den Freunden ein Zusammenkommen unter gewohnten Umständen in Neapel verwehrt, wobei auch die Turbulenzen und Unruhen, in die das Reich nach dem Ableben des Königs gefallen war, sicherlich Grund für das ausbleibende Widersehen sind.[7] Aufgrund der Distanz zwischen ihnen sieht sich Petrarca überhaupt veranlasst, diesen Brief zu schreiben. Der Brief wird zwar in Kontrast zur lebendige[n] Stimme und einer Begegnung von Angesicht zu Angesicht gestellt, aber doch als Medium eingeführt, das grosse Distanz (über Land und Meer) überwinden und Herzensangelegenheiten (meines Herzens Bote) mitteilen kann.[8] Anschliessend an die zitierten Einstiegsverse wird der Tod des Königs weiter beklagt. Parallel zur Distanz zum Freund ist auch die Abwesenheit des Königs dadurch bestimmt, dass der Anblick seines Antlitzes sowie das Vernehmen seiner Stimme ausbleiben (V. 9–11). In Erhebung gegen die Verzweiflung:

Non omnia terre / Obruta: vivit amor, vivit dolor; ora negatum / Regia conspicere, at flere et meminisse relictum est. (V. 14–16)

Aber die Erde deckt nicht alles; noch lebt die Liebe, noch lebt der Schmerz. Zwar ist uns verwehrt, das Antlitz des Königs zu schauen, doch blieben uns Tränen und Erinnerung.

Dieser Stelle entstammt der Titel des Films, die eigenwillige Übersetzung (‚es bleibt uns nichts als…‘) gibt allerdings zu denken – dazu später mehr. Die Situation, die Petrarca schildert, ist eine der doppelten Distanz bzw. Abwesenheit. Der Brief leistet in beiden Fällen Abhilfe: Kommunikation mit dem Freund und Erinnern des Königs. Das Medium überbrückt einerseits die geographische Distanz, andererseits im Modus des Erinnerns auch diejenige zwischen Leben und Tod.[9] Hinzu kommt noch eine dritte, nämlich diejenige Petrarcas zu sich selbst:

Ipse michi collatus enim non ille videbor: / Frons alia est moresque aliii, nova mentis imago, / Voxque aliud mutata sonat nec pestibus isdem / Urgeor. (V. 47–50)

Denn mit mir selbst verglichen bin ich nicht mehr jener von damals, mein Antlitz ist verändert, mein Wesen ist anders geworden, mein Geist ist gewandelt, die Stimme klingt anders, und nicht mehr bedrängen mich gleiche Übel.

Mit seinem jüngeren Selbst (und auch dem weit bekannten) konfrontiert, wird Petrarca deutlich, wie sehr er sich seither verändert hat.[10] Wiederum markieren neben Gemüt und Gewohnheiten das (veränderte) Antlitz und die (gewandelte) Stimme diese dritte Distanz. Der Brief wird zum Medium der Selbstdarstellung, das die Distanz aus der Rückschau überwindet, indem ein übergreifender autobiographischer Sinnzusammenhang gestiftet wird, der die Darstellung dieser Entwicklung zum Hauptthema der Briefsammlung macht.[11] Die Darstellung und gewissermassen Konstituierung des Selbst soll darüber gelingen, dass der Zustand seines Geistes in seinen Facetten und Momenten mittgeteilt wird (V. 40–44).[12] Dieses Anliegen steht allerdings in einem spannungsvollen, wenn nicht gar widersprüchlichen Verhältnis zur Grundproblematik des Briefschreibens, die Petrarca eingangs im Kontrast von Bote und lebendige[r] Stimme aufruft und wie folgt wieder aufnimmt:

Hinc mea vox mittenda tibi est, et credere curas / Cogimur archanas calamo; nec pauca silendi / Causa labor, sed plura metus, ne nostra prophani / Abdita perspiciant oculi: vulgata videri / Non metuunt. (V. 25–29)

So muß ich von hier meine Botschaft senden und die geheimsten Gedanken der Feder anvertrauen. Doch nicht die Mühe bestimmt mich, manches zu verschweigen, nein, mehr ist es Furcht, profane Augen könnten unser Innerstes ausforschen; Gewöhnliches freilich scheut nicht fremden Blick.

Gezwungen, die intimsten Angelegenheiten nicht mündlich mitzuteilen, sondern niederzuschreiben, müsse er einiges aussparen. Diese Spannung, dass der Brief einerseits als Mittler privater Kommunikation fungiert, andererseits aber unzuverlässig vor fremden Augen schützt, setzt das Medium auf die Schwelle von privater und öffentlicher Kommunikation.[13] Hintergrund dieser Bedenken mag die damalige unkontrollierte Verbreitung von Kopien einzelner Briefe sein, die durch die Bereitstellung einer autorisierten Sammlung eingehegt werden sollte.[14] Eingedenk dessen, dass es sich hierbei aber um einen Widmungsbrief einer zur Publikation intendierten Sammlung handelt, lässt sich dieser Schwellencharakter des Mediums als ein an die Rezeption gerichtetes Vexierspiel verstehen, das zugleich ent- und verhüllt. Durch den vorangestellten Brief wird die Sammlung als autobiographische Darstellung konzeptualisiert, der Brief als Bote des Herzens. Gleichzeitig wird suggeriert, dass wir unerwünschte Mitlesende seien, weswegen Intimstes verschwiegen werden muss. So überwindet der Brief mehrfache Distanzen der Kommunikation, des Erinnerns und der Selbstdarstellung, doch eben nicht restlos.

Auch der Brief im Film erlaubt den Protagonisten die Überwindung mehrerer Distanzen, allerdings mit entscheidenden Verschiebungen, die ihre humoristischen Eigenheiten konturiert hervortreten lassen. Erstens handelt es sich nicht nur um eine geographische Distanz zu Girolamo Savonarola (der zur damaligen Zeit wohl in Florenz verweilte), sondern auch um eine sozialhierarchische Distanz. Auf die Frage Marios hin, ob Saverio denn zu Savonarola hingehen wolle, um für die Freilassung Vitellozzos zu plädieren, zeigt Saverio in einem Vergleich die Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens auf. Das sei, wie wenn man kurzerhand mal den Papst sprechen wolle, der würde sie doch niemals empfangen – deshalb ein Brief (53:09). In ihrem Brief stehen sodann hyperbolische Humilitätsgesten, die zumindest ein ansatzweises Verständnis damaliger Konventionen vermuten lassen, neben deplatzierten, direkt aus der Umgangssprache übertragenen Formulierungen. Thematisiert Petrarca die im Brief abwesende lebendige Stimme, so übertragen Saverio und Mario Oralität in einem komischen Kurzschluss direkt in Skripturalität. Zweitens dient der Brief bei Petrarca als Medium der Erinnerung, als Vergegenwärtigung der Vergangenheit. Im Falle der Zeitreisenden weist der zeitliche Bezug in die entgegengesetzte Richtung. Sie wollen ihren Wissensvorsprung aus der Gegenwart ausnutzen, um in die Vergangenheit einzugreifen. Dieser vermeintliche Vorsprung wird allerdings von der Gesamtszene problematisiert und erzeugt gegenüber der petrarchischen Überbrückung wiederum einen komischen Effekt. Leitet Saverio die Szene ein mit: Nutzen wir die Tatsache, dass wir mehr wissen (53:13) und Wir wissen viele Dinge und müssen politisch in die Epoche intervenieren, das ist, was wir machen müssen (53:50), erweist sich ihr historisches Wissen als absolut unterbestimmtes. Auf Rezeptionsebene ergibt sich darauf ein Kommentar. Die beiden vermeinen, zeitgemäss und adäquat zu kommunizieren, allerdings fällt ihr Handeln auf ihren eigenen kulturellen Kontext zurück. Denn die ganze Szene stellt – gewissermassen in einer intertextuellen Steigerung – eine Hommage auf das Verfassen eines Briefes im Film Totò, Peppino e la… malafemmina (Camillo Mastrocinque) von 1956 dar.

Die Vorbildszene, in der Antonio seinem Bruder Peppino unter Zankereien einen Brief diktiert, dreht sich auch um den Versuch einer Intervention. Mit einem Brief an die Verlobte ihres Neffen möchten sie deren Vermählung verhindern. Der neueren Adaption an Improvisationsgeschick, Wortspielereien und sprachlichen Komikeffekten – insbesondere bei den Satzzeichen – steht die Szene in nichts nach. Auf Rezeptionsebene wird deutlich, dass sich Saverios und Marios Horizont auf einen zeitnahen Vorläufer beschränkt, was ihnen aber verschlossen ist. Geschichtsvergessen und der eigenen Prägung nicht bewusst, geben sie sich selbstzufrieden und zuversichtlich über die Erfolgschancen ihres Briefs. Die Überbrückung der dritten Distanz, die Petrarca aufwirft, nämlich diejenige der biographischen Entwicklung, bleibt somit in ihrem Fall aus. Zuletzt weicht ihr Brief auch in der medialen Situierung ab. Während Petrarca den Widmungsbrief auf der Schwelle von öffentlicher und privater Kommunikation platziert, bekommt das Filmpublikum den eigentlichen Brief gar nie zu Gesicht. Petrarca suggeriert Intimstes aussparen zu müssen, im Film bleibt der Brief selbst ausgespart. So wird auch die Frage, ob die briefliche Intervention zur Befreiung Vitellozzos funktioniert hat, im weiteren Verlauf des Films offenbleiben.

Wenig später nach Verfassen des Briefs sucht Saverio, der für den Briefkopf noch die exakte Jahreszahl in Erfahrung bringen wollte, Mario auf. Er hat nämlich herausgefunden, dass sie sich im Jahr 1492 befinden. Der nächste epochale Interventionsakt, den Saverio lancieren möchte, ist, die Entdeckung Amerikas zu verhindern. Mario fragt, ob Saverio nun auch noch Kolumbus einen Brief schicken möchte. Die Überzeugung, mit Briefen die Vergangenheit zu verändern, ist also gefestigt. Saverio hat aber vor, tatsächlich nach Spanien zu reisen, um Kolumbus aufzuhalten. Als Mario mit Unverständnis reagiert, gibt Saverio ein quirliges Amalgam von Dringlichkeit, Pflicht und Anti-Amerikanismus zum Besten und zählt dabei US-amerikanische Übeltaten wie die Ausbeutung der Indigenen und die Sklaverei auf (74:08–75:46). Es sei besser für die Menschheit, wenn Amerika nie entdeckt werden würde. Die Szene bietet ein weiteres Beispiel für das durchweg komische Geschichtsverständnis. Saverio als naiver Idealist, überzeugt von der historischen Mission, und Mario als eher skeptischer Mitläufer treten gemeinsam die Reise an – ein Duo, das an Don Quijote und Sancho Panza erinnert.[15]

Unterwegs treffen sie auf Leonardo da Vinci und meinen, ihm zu Erfindungen verhelfen zu können, indem sie erneut ihren historischen Wissensvorsprung ausnutzen (85:53–87:21). Bereits in einer früheren Szene erweisen sich die beiden allerdings als gänzlich unfähig, eine Erfindung zu importieren. Weder wissen sie, wie die Mechanik hinter einer Toilette aussieht, noch, wie eine Glühbirne funktioniert, und merken, dass dazu ja Elektrizität nötig sei (38:20–39:45).[16] Nun geben sie aber ihr Bestes, um Leonardo bahnbrechende Erfindungen und Entdeckungen zu erklären: die Eisenbahn, das marxistische Konzept der Ausbeutung, das Freud’sche Unbewusste, das Fieber-Thermometer, die Ampel und das Kartenspiel Scopa – ernüchtert geben sie auf und sehen ein, dass sie nicht imstande sind, Leonardo etwas beizubringen (89:39–96:10).

Erwartungsgemäss gelingt es ihnen, als sie in Spanien angekommen sind, nicht, Kolumbus aufzuhalten, da dieser bereits abgefahren ist. Fassungslos, gescheitert zu sein, beichtet Saverio den eigentlichen Grund, warum er Kolumbus aufhalten wollte (106:14). Wie während der Autofahrt zu Beginn des Films erwähnt, wurde seiner Schwester Gabriellina das Herz gebrochen – und zwar von einem US-Amerikaner namens Fred (106:52). Wenn Amerika nie entdeckt worden wäre, hätte seine Schwester Fred gar nicht erst getroffen. Saverio erweist sich als Figur, die unfähig ist, sich mit der eigenen Gegenwart zu versöhnen, nämlich mit dem Fakt, dass seine Schwester vor drei Jahren verlassen wurde.[17] Zugleich legt er auch einen unglaublich naiven Idealismus an den Tag, zumal er davon ausging, dass eine ungefähre Route und die Gewissheit, sich im Jahr 1492 zu befinden, ausreiche, um Kolumbus aufzuhalten.

Der Film kritisiert eine gewisse Art von Idealismus, der die Menschen blind macht gegenüber der historischen Realität.[18] Entlang dem typischen Problem von Zeitreise-Filmen, „der Veränderbarkeit oder Nichveränderbarkeit des historischen Prozesses“,[19] oft mit der Invektive, auf keinen Fall die Vergangenheit verändern zu dürfen, zeigt dieser Film zwei Protagonisten, die gezielt versuchen, Einfluss zu nehmen, aber grandios scheitern. Ihre Geschichtsvergessenheit und das mangelhafte Gegenwartsbewusstsein spitzen sich am Ende des Films zu, als sie angesichts einer Dampflokomotive meinen, in ihre Gegenwart – die doch wohl mit elektrischen Zügen vertrauten 1980er Jahre – zurückgekehrt zu sein (109:33). Als sich dann herausstellt, dass es Leonardo doch noch gelungen ist, die Eisenbahn zu erfinden, fallen sie beinahe in Ohnmacht (109:50). Angesichts dessen, in einer geschichtlichen Absurdität gefangen zu sein, bleibt ihnen nichts, als zu weinen.

Wie bereits angedeutet, handelt es sich beim Filmtitel um eine freie bis fehlerhafte Übersetzung. Benigni erzählt über die Titelwahl, dass er zu Troisi sagte: Ich lese Dir ein Gedicht vor, sag mir, welches Dir als Titel am besten gefällt. Angekommen bei der Stelle non ci resta che piangere hätte ihn Troisi unterbrochen, diese gefalle ihm.[20] In keiner der damals gängigen italienischen Ausgaben findet sich die Stelle aus dem Widmungsbrief auf diese Weise übersetzt.[21] Wahrscheinlich ist, dass Benigni und Troisi ausgehend von Petrarcas Brief eine Adaption vorgenommen haben. In adäquater Übersetzung wendet sich die Stelle: doch blieben uns Tränen und Erinnerung, gegen die Verzweiflung am Tod des Königs, weist damit fast schon jubilierende Züge auf. Die Adaption ‚es bleibt uns nichts als zu weinen‘ ist hingegen, stimmig mit dem Ausgang des Films, deutlich resignativ. Die weggelassene Erinnerung passt gleichsam zur Geschichtsvergessenheit der Protagonisten. Deren hochmütige, zugleich halbherzige Versuche durch den Vorteil, später geboren zu sein, die Vergangenheit zu verändern, stellen sie in ihrer Limitation sowohl der Vergangenheit wie auch der eigenen Gegenwart gegenüber aus. Auf diese Weise erzielen sie humoristische Effekte, doch konfrontiert mit dem Resultat ihres eigenen Handelns, sind sie schlichtweg überfordert. Die von Leonardo erfundene Lokomotive führt ihnen ihr Wirken in absurder Zuspitzung vor, angesichts dessen sie verzweifeln. Der Film erweist sich in seinem offenen Ende als aporetische Geschichtsfiktion, die einen gewissen fortschrittsgläubigen Habitus in seinen Unzulänglichkeiten auf die Leinwand bringt.


[1] Mehrere Versionen des Films existieren. Seit Veröffentlichung der DVD (2006) ist mit einer Spieldauer von 144 Minuten ein Extended Cut erhältlich. Eingesottene Fans bestehen ausserdem darauf, eine dritte (bisher unbestätigte) Version gesehen zu haben. Die hiesigen Ausführungen halten sich an die Erstausstrahlung und verbreitetste Version von 1984 (111 Minuten). Vgl. Marco: Non ci resta che piangere il mistero delle tre versioni, 17.7.2019, https://www.veb.it/non-ci-resta-che-piangere-il-mistero-delle-tre-versioni-5793 (Datum des Zugriffs: 11.12.2023); Zender: Non ci resta che piangere: due diverse versioni!, 20.4.2012, https://www.davinotti.com/articoli/non-ci-resta-che-piangere-due-diverse-versioni/449 (Datum des Zugriffs: 11.12.2023).

[2] Vgl. Franco Cardini: Art. Savonarola, Girolamo OP (1452–1498). In: Lexikon des Mittelalters 7 (1995), Sp. 1414–1415..

[3] Vgl. Benigni, Troisi e l’inedito Non ci resta che piangere, Corriere Fiorentino, 28.11.2010, https://corrierefiorentino.corriere.it/firenze/notizie/spettacoli/2010/28-settembre-2010/benigni-trosi-inedito-non-ci-resta-che-piangere-1703849712168.shtml (Datum des Zugriffs: 11.12.2023).

[4] Zur Richtigstellung der Betitelung der Sammlung siehe Michele Feo: Fili petrarcheschi. In: Rinascimento 19 (1979), S. 3–89; Alessia Valenti: Note sparse sulle traduzioni delle Epystole. In: Francesca Florimbii / Andrea Severi (Hg.): Tradurre Petrarcha. Bologna 2018, S. 35–44, hier S. 38, Anm. 14. Zur unterdessen geklärten Diskussion, ob es sich tatsächlich um den Widmungsbrief der Epystole handelt, siehe den Überblick von Ernest H. Wilkins: Studies in the Life and Works of Petrarch. Cambridge/MA 1955 (The Medieval Academy of America 63), S. 229–233.

[5] Vgl. Otto und Eva Schönberger: Einleitung dt. Ausgabe. In: Francesco Petrarca: Epistulae Metricae. Briefe in Versen. Hrsg. und übers. von Otto und Eva Schönberger. Würzburg 2004, S. 7–28, hier S. 19; Simone Gibertini: Le lettere in versi del Petrarca a Barbato da Sulmona. Saggio di commento. Diss masch. Parma 2012, S. 57 f. Unklar bleibt, ob der zu diesem Zeitpunkt im Sterben liegende Barbato die Sammlung je bekommen hat. Vgl. Thomas G. Bergin: Petrarch’s Epistola Metrica I, 1. To Barbato da Sulmona (an Annotated Translation). In: Italian Quarterly 21 (1980), S. 88–98, hier S. 95, Anm. 1. Zur Rekonstruktion der Einteilungslogik siehe die wegweisende Untersuchung von Enrico Bianchi: Le Epistole metriche del Petrarca. In: Annali della R. Scuola Normale Superiore di Pisa. Lettere, Storia e Filosofia 9/4 (1940), S. 251–266.

[6] Ich halte mich an die bisher sprachübergreifend einzige integrale moderne Edition und deutsche Übersetzung von Eva und Otto Schönberger (wie Anm. 5), hier S. 30–35. Auf die Probleme der Edition sei aber doch verwiesen, siehe Valenti, Note sparse, S. 37 (wie Anm. 4); Marcello Ciccuto: Le Metricae di Petrarca. In: Italianistica 1 (2005), S. 148; Natascia Tonelli: Sul centenario Petrarchesco. Bilancio e riflessioni con un’intervista a Michele Feo. In: Moderna 7/2 (2005), S. 187–203.

[7] Vgl. Gibertini, Le lettere, S. 123 f. (wie Anm. 5); Davide Canfora: Franceso Petrarca a Napoli. In: Istituti Editoriali e Poligrafici Internazionali (Hg.): Petrarca e Napoli. Tagungsband. Neapel, 8.–11. Dezember 2004. Pisa/ Rom 2006 (Atti / Istituto nazionale di studi sul Rinascimento meridionale 4), S. 11–24, hier S. 12 f.; Karl A. E. Enekel: Die Erfindung des Menschen. Die Autobiographik des frühneuzeitlichen Humanismus von Petrarca bis Lipsius. Berlin 2008, S. 89; Wojciehowski, Hannah Chapelle: Petrarch and his friends. In: Albert Russell Ascoli / Unn Falkeid (Hg.): The Cambridge Companion to Petrarch. Cambridge 2015, S. 26–35, hier S. 28.

[8] Die zwischen ihnen liegende Distanz wird weiter unten im Brief näher bestimmt: „Ströme und der ganze Apennin“ (V. 24) trennen die Freunde, Petrarca in Norditalien (womöglich in Mantua), Barbato in Neapel. Vgl. Gibertini, Le lettere, S. 117 u. 144 f. (wie Anm. 5).

[9] Insbesondere im zweiten Teil der Briefsammlung wird der Erinnerung an König Robert viel Platz eingeräumt, wo mitunter das Epitaph eingegliedert ist. Vgl. Ronald L. Martinez: 7. The Latin Hexameter Works. Eypstole, Bucolicum carmen, Africa. In: Albert Russell Ascoli / Unn Falkeid (Hg.): The Cambridge Companion to Petrarch. Cambridge 2015, S. 87–99, S. 89 f.

[10] Vgl. Gibertini, Le lettere, S. 171 (wie Anm. 5).

[11] Vgl. Enekel, Die Erfindung, S. 57 f. u. 65 (wie Anm. 7).

[12] Vgl. ebd., S. 55 u. 59.

[13] Für ähnliche Überlegungen, wenn auch in anderen Kontexten, siehe Christian Kiening: Atlantik 1493. Schiffe, Fässer, Schriften. In: ders. / Martina Stercken (Hg.): Medialität. Historische Konstellationen. Zürich 2019 (Medienwandel – Medienwechsel – Medienwissen 42), S. 223–256, hier S. 226–228. Grundsätzlich zum Forschungsinteresse an frühneuzeitlicher Briefkultur siehe Gabriella Del Lungo Camiciotti: Letters and Letter Writing in Early Modern Culture. An Introduction. In: Journal of Early Modern Studies 3 (2014), S. 17–35.

[14] Vgl. Guiseppe Velli: Petrarch’s Epystole. In: Italica 3/4 (2005), S. 366–379, hier S. 366; Gibertini, Le lettere, S. 58 (wie Anm. 5).

[15] Für eine Deutung des Films als Kritik an der damals zeitgenössischen italienischen Politik und Gesellschaft siehe Barbara Alfano: The Mirage of America in Contemporary Italian Literature and Film. Toronto/Buffalo/London 2013 (Toronto Italian Studies), in Kapitel 2, S. 71–77, hier S.76 f.

[16] Vgl. ebd., S. 75.

[17] Vgl. ebd., S. 74.

[18] Vgl. ebd.

[19] Christian Kiening: Einleitung. 1. Mittelalter im Film. In: ders. / Heinrich Adolf (Hg.): Mittelalter im Film. Berlin/New York 2006 (Trends in Medieval Philology 6), S. 3–101, zur Zeitreise S. 73–75, hier S. 73.

[20] A Troisi dicevo ‚ti leggo una poesia dimmi quale ti piace di più per il titolo: Non ci resta che piangere, ‚Ferma questa mi piace‘; Corriere Fiorentino (wie Anm. 3).

[21] Vgl. Francesco Petrarca: Poesie Latine. Hrsg. von Guido Martellotti und Enrico Bianchi. Turin 1976 (Classici Ricciardi 22), S. 84–89, hier S. 85; Opere di Francesco Petrarca. Hrsg. von Emilio Bigi. Milano 1963 (I classici italiani 2), S. 394–399, hier S. 395; Raffaele Argenio: Le Epistole metrice del Petrarca. Libro I–II. In: Rivista di studi classici 10 (1962), S. 24–38, hier S. 30; Francesco Petrarca: Canzoniere, trionfi, rime varie. E una scelta dei versi latini. Hrsg. von Carlo Muscetta und Daniele Ponchiroli. Turin 1958 (Parnaso italiano 3), S. 646–653, hier S. 647. Nur in einem später erschienenen Online-Beitrag findet sich die Übersetzung dem Filmtitel gemäss, allerdings ohne Angabe. Siehe Momento curiosità – Non ci resta che piangere, 1.1.2021, https://www.fenomenologia.net/curiosita/momento-curiosita-non-ci-testa-che-piangere/ (Datum des Zugriffs: 12.12.2023).

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