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Niklas Müller

Materielle Objekte und digitale Räume. Virtuelle Onlineangebote in der Schweizer Museumslandschaft

Bis heute gilt das Museum als Ort der materiellen Kultur. Der Museumsbesuch besteht hauptsächlich aus der physischen Konfrontation mit den Ausstellungen und der Auseinandersetzung mit materiellen Gegenständen, die im Museum gesammelt, konserviert und ausgestellt werden. Dieser Umstand wirft die Frage auf, ob das Museum als Institution ausserhalb physischer Räume und ohne materielle Gegenstände überhaupt bestehen kann. Lange scheinen sich diese Frage in der Schweiz nur wenige Personen gestellt zu haben. Das Museum scheint hier fest mit seiner ursprünglichen Funktion, als Ort der materiellen Kultur verbunden zu sein. 

Landesmuseum Zürich, Grönland 1912, Bildschirmaufnahme, https://virtuell.landesmuseum.ch/groenland/ (12.11.2021). 

Eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Museums im virtuellen Raum fand erst statt, als die physischen Räume der Museen im März 2020 nicht mehr zur Verfügung standen. Durch die Schliessungen von Kultur- und Freizeiteinrichtungen, die 2020 durch die weltweite Covid19 Pandemie notwendig wurden, sahen sich nicht nur die Schweizer Museen plötzlich mit der Aufgabe konfrontiert, ihre Inhalte im virtuellen Raum zur Verfügung stellen zu müssen. Dies erforderte in der Schweizer Museumslandschaft ein Umdenken. Bestehende Ausstellungen mussten in den virtuellen Raum ausweichen. Solche Ausstellungen, die zum Zeitpunkt der Schliessungen noch in der Konzeption waren, wurden an den virtuellen Raum angepasst. Doch wie lässt sich eine Museumsausstellung, deren zentraler Bestandteil die Materialität ihrer Objekte zu sein scheint, im virtuellen Raum darstellen? Welche Strategien haben die Museen in der Schweiz für diese virtuellen Darstellungen gewählt? Wie wurde insbesondere mit der Materialität der Museumsobjekte umgegangen?

In meiner Bachelorarbeit habe ich den Versuch unternommen, einige digitale Angebote in der Schweizer Museumslandschaft zu analysieren und einen Überblick über die verschiedenen Angebote zu erhalten. Meine Beispiele habe ich aus den Angeboten verschiedener Schweizer Museen, die auf der Plattform museumzuhause.ch aufgeführt sind ausgewählt. Die Plattform bündelt die virtuellen Angebote von über 140 Museen in der Schweiz und in Liechtenstein und bietet sich daher als Quellenkorpus an. Die Kategorisierung hat mir dabei geholfen, einen groben Überblick über die verschiedenen Strategien der virtuellen Darstellung von Museumsinhalten innerhalb der Schweizer Museumslandschaft zu gewinnen. In einem zweiten Schritt habe ich einzelne Beispiele detailliert analysiert. Dabei stand das Museumsobjekt, als zentraler Aspekt der physischen Ausstellung im Zentrum der Analyse des Onlineangebots. Somit konnte ich aufzeigen, welche Schwächen und Stärken das virtuelle Angebot gegenüber der physischen Ausstellung aufweist. Die Auseinandersetzung mit der digitalen Umsetzung eines Kulturangebots, das eigentlich von der Materialität seiner Ausstellungsgegenstände lebt, führt zu einer spannenden und aufschlussreichen Auseinandersetzung mit Fragen der Materialität, der Originalität und der Aura von Museumsgegenständen. Dabei konnte ich aufzeigen, dass das Objekt im Museum und sein digitales Abbild sich nicht einfach voneinander trennen lassen:

„Das Objekt, dass der Besuchende im Onlineangebot des Museums aus einer neuen Perspektive betrachten kann, ist allerdings nur ein Objekt im Film. Es bleibt trotz der neuen Perspektive offensichtlich, dass es nicht das Original ist, dass plötzlich greifbar ist, sondern vielmehr viele Pixel auf einem Bildschirm, die ein digitales Abbild des Originals auf dem Bildschirm des Betrachtenden darstellen. Damit fehlt dem digitalen Objekt die Präsenz, die bei Benjamin die Authentizität und die Aura des materiellen Originals ausmachen. Anhand dieses Beispiels wird allerdings deutlich, dass Kopie und Original durchaus in einer gewissen Beziehung zueinanderstehen.“

Bachelorarbeit Niklas Müller S. 34.

Die Arbeit kommt zu dem Schluss, dass in den analysierten Beispielen der Versuch, diese materiellen Aspekte zu digitalisieren dazu führt, dass das Onlineangebot ein Bedürfnis nach dem Original weckt, welches es nicht erfüllen kann, womit es zur Kopie oder zum Ersatz degradiert wird. Überzeugender wirken hingegen jene Angebote, welche die spezifischen Möglichkeiten des virtuellen Raums, insbesondere die Vernetzung von Datenbeständen und Nutzer:innen, in ihren Angeboten fruchtbar machen. Hier konnte nachgewiesen werden, dass die Partizipation für die Nutzer:innen vor allem dann gewinnbringend ist, wenn das Museum als Institution den Diskurs anleitet und moderiert und die Nutzer:innen nicht in abgeschlossenen Räumen sich selbst überlässt. Weiter hat sich in den analysierten Beispielen auch ein narrativer Ansatz als für die museale Vermittlung geeignet erwiesen. Die Erzählungen können das sinnliche Erleben, das im Museum durch die Präsenz der auratischen Objekte produziert wird, im virtuellen Raum ersetzen. Somit kann auch im virtuellen Raum die Informationsebene um eine Erlebnisebene erweitert werden, jedoch zu dem Preis, dass das Angebot nicht immer sofort als museales Angebot erkennbar ist.

Museum Aargau, Kochvideo, Bildschirmaufnahme. https://www.museumaargau.ch/blog/artikel/2020-05-04-kochvideo-huhn-an-zitrone-rezept-aus-dem-mittelalter (17.11.2021).

Die Onlineangebote der Schweizer Museumslandschaft bieten noch viel Stoff für weitere Auseinandersetzungen Wer Interesse am Thema bekommen hat oder einfach nur einen Museumsbesuch von zu Hause aus unternehmen möchte, kann dies jederzeit tun. Mein Untersuchungsgegenstand ist 24 Stunden am Tag, von überall und für jede und jeden mit einem Internetanschluss zugänglich.