Dignitas – Meschenwürdig leben, menschenwürdig sterben

Gertrudstrasse 84 (Karte)

von Aleena Saif

Ob im Auto, Hotel oder bei sich zu Hause, mit Dignitas wird Sterbehilfe an jedem Ort, für jeden, ob Schweizer oder Ausländer, möglich gemacht.  

Die erste „Sterbewohnung“ von Dignitas

Mitten in Stadt Zürich, in Wiedikon, an der Gertrudstrasse 84, von draussen betrachtet ein gewöhnliches Gebäude. Doch zwei von den Wohnungen in diesem Hause waren einst viel mehr als nur normal bewohnte Wohnungen. Sie wurden nämlich von dem Verein Dignitas als „Sterbewohnungen“ gemietet, mit dem Zweck Freitodbegleitungen für ausländische Sterbewillige durchzuführen. Immer wieder wurden dort, in der sonst ruhigen und normalen Nachbarschaft, Leichen der Freitodbegleitungen wegtransportiert.
Für die Nachbarschaft war dies jedoch nicht ganz unproblematisch, ganz im Gegenteil es war für sie ein Horror. „Die Sterbenden kommen mit dem Taxi, mit dem Krankenwagen oder im Rollstuhl und man denkt: In zwei oder drei Stunden werden sie im Sarg wieder hinausgetragen“, schildert ein Nachbar dies einer englischen Tageszeitung. Man würde immer wieder sehen, wie die Leichen in dem engen Treppenhaus und in einem sehr kleinen Fahrstuhl aufrecht hinaus transportiert werden. Diese tägliche Konfrontation mit dem Tod war auch eine grosse psychische Belastung für die Nachbaren dort. Mit der Zahl der Freitodbegleitungen stiegen auch die politischen Widerstände. Obwohl die Einrichtung der ersten „Sterbewohnung“ an der Gertrudstrasse 84 in Zürich einen wichtigen Meilenstein markierte, mussten die Mietverhältnisse acht Jahre später gekündigt werden. Solche Vorfälle wiederholten sich noch oft im Laufe der Dignitas Geschichte.

Abb.1: Gertrudstrasse 84, 8003 Zürich

Entstehung und Entwicklung von Dignitas

Der Vorstand von Exit lehnte es ab, über die Aufnahme von Suizidversuchsvermeidung in ihr Programm zu diskutieren und das Angebot für ausländische Personen zu öffnen. Die Befürworter einer solchen Erweiterung spalteten sich ab und gründeten schon am nächsten Tag den neuen Verein Dignitas.

Im Gegensatz zu Exit bot Dignitas Sterbebegleitung für ausländische Personen ohne Schweizer Wohnsitz sowie Dienstleistungen wie Beratung zur Suizidprävention, Patientenverfügung und Palliativversorgung neben der Freitodbegleitung an. Da sich einige erfahrene Freitodbegleiter sofort dem Verein anschlossen, war Dignitas bereits am Tag seiner Gründung dazu befähigt, Freitodbegleitung durchzuführen.

Auch heute unterscheiden sich Exit und Dignitas in einem wesentlichen Punkt. Während Exit immer noch ausschliesslich für Schweizerinnen und Schweizer zulässig ist, sind bei Dignitas auch Menschen mit ausländischem Wohnsitz willkommen. So hatte sich auch schnell der Begriff „Sterbetourismus“ etabliert.

Nur etwa 7 Prozent der fast 12’000 Mitglieder von Dignitas stammen aus der Schweiz. Hauptsächlich sind es Personen aus Deutschland, England oder Amerika, die in die Schweiz gereist sind, um mit Unterstützung von Dignitas zu sterben.

«Würden wir nur Schweizerinnen und Schweizer nehmen, würden wir alle anderen Menschen auf der Welt diskriminieren. Diskriminierung ist nicht mein Geschäft»,

heisst es laut dem Gründer Ludwig A. Minelli.

Am 7. Juni 1988 fand die erste Freitodbegleitung von Dignitas statt. Im gleichen Jahr wurden sechs weitere Freitodbegleitungen durchgeführt.

Die Einrichtung der ersten „Sterbewohnung“ an der Gertrudstrasse 84 in Zürich markierte einen wichtigen Meilenstein. Diese Entscheidung erforderte die Anmietung von geeigneten Räumlichkeiten für die Durchführung von Freitodbegleitungen. Ab dem 1. Mai 1999 stand eine 1-½-Zimmer-Wohnung in Zürich-Wiedikon dafür zur Verfügung.  Bei drei von den sieben Freitodbegleitungen im Jahre 2000, waren Personen aus dem Ausland involviert.

Ein Jahr später, im Jahr 2002, hatte sich die Mitgliederzahl mehr als verdoppelt, gleichzeitig stieg auch die Anzahl der Freitodbegleitungen. Diese positive Entwicklung hielt an, sodass Dignitas ab dem 1. Dezember 2005 ein zusätzliches Zimmer im Erdgeschoss des Hauses Gertrudstrasse 84 in Zürich anmietete. Bis zum Ende des Jahres 2005 hatte sich die Mitgliederzahl auf drastisch erhöht. Die Anzahl der Freitodbegleitungen stieg in den Jahren 2003 auf 100, 2004 auf 105 und 2005 auf 138.

Wegen verschiedenen Behörden führte es zu einer Phase der Instabilität bei Dignitas. Trotz der Anmietung einer passenden Wohnung in Stäfa für Freitodbegleitungen wurde diese vom Gemeinderat geschlossen, was dazu führte, dass sie auf andere Standorte ausweichen mussten. Einige Mitglieder bevorzugten private Automobilstandorte für die Freitodbegleitung. Diese fanden in ruhigen, abgelegenen Gebieten statt, wurden jedoch von den Behörden öffentlich gemacht, was zu Medienreaktionen führte. Dignitas übernahm daraufhin die Organisation der Begleitungen selbst und ersetzte den Bestatter.

Durch ein unerwartetes Angebot, schien wieder endlich ein wenig Licht in der Geschichte von Dignitas. Ein Liegenschaftseigentümer, der sich über die Hindernisse für Dignitas empörte, bot dem Verein eine geeignete Liegenschaft in Pfäffikon an: die „blaue Oase“, ein Haus inmitten einer Industriezone mit Garten, Teich und Hecken. Damit hatte der Verein endlich einen sicheren Ort für zukünftige Freitodbegleitungen, unabhängig von Vermietern.

Abb. 2: Das Zimmer für die Begleitungen ist geräumig und freundlich.
Abb. 3: Das zweite Zimmer für Begleitungen

Ausblick

Von Beginn an hat Dignitas fest an die Vorstellung geglaubt, dass das Recht eines Individuums, selbst darüber zu bestimmen, wann und wie es sein eigenes Leben beenden möchte, ein integraler Bestandteil des Rechts auf Selbstbestimmung ist.

Dignitas strebt danach überflüssig zu werden, da in einer idealen Welt die Existenz von Organisationen wie Dignitas nicht mehr nötig sein sollten. Doch solange Staaten ihren Bürgerinnen und Bürgern diese Rechte nicht in vollem Masse gewähren, bleibt die Notwendigkeit für eine Organisation wie Dignitas bestehen. Was Dignitas von anderen Organisationen unterscheidet, ist ihr universales Engagement für dieses Ziel im Gegensatz zu Organisationen, die das „Recht auf Sterben“ oft nur für ihre eigenen Mitglieder einfordern. Auch wenn die Realisierung dieses Ziels noch in weiter Ferne zu liegen scheint, sollte man daran denken, dass jede Reise mit dem ersten Schritt beginnt. Mit jedem weiteren Schritt in die richtige Richtung kommt man seinem Ziel näher.

Bildquellen

Abb. 1: eigenes Bild
Abb. 2 & 3: http://www.dignitas.ch/index.php?option=com_content&view=article&id=52&Itemid=86&lang=de

Literatur

https://www.srf.ch/news/schweiz/25-jahre-dignitas-wenn-menschen-zum-sterben-in-die-schweiz-kommen
http://www.dignitas.ch
https://www.swissinfo.ch/ger/gesellschaft/standpunkt_die-sterbehilfe-in-der-schweiz-ist-laengst-ausser-kontrolle/44599878
https://www.welt.de/politik/article1024176/Nachbarn-wollen-Sterbehelfer-vertreiben.html