Fake news und alternative facts sind nicht erst ein Phänomen der digital gesteuerten Gegenwart, sondern haben eine lange Geschichte. Sie wurden auch eingesetzt, um Margaret von Anjou, die 1445 als 15-jähriges Mädchen im Kontext ihrer Heirat mit König Henry VI. nach England kam, gezielt zu diskreditieren. Bei den Engländern ist sie heute noch berühmt-berüchtigt als villain queen, die nach dem geistigen Zusammenbruch Henrys 1453 die Macht an sich zu reissen versuchte und somit mitverantwortlich für den Ausbruch eines blutigen Bürgerkriegs war. Verstärkt wurde dieser Ruf in der Moderne unter anderem durch historische Romane, die die Zeit der Rosenkriege ausschlachten. Doch selbst für diejenigen, die nie Philippa Gregory gelesen oder das Bildungssystem in England durchlaufen haben, dürfte der Konflikt zwischen Lancaster und York mit einer Vorstellung verbunden sein. Offenbar nämlich hat sich der Autor des Fantasyepos Game of Thrones, G.R.R. Martin von der Geschichte des englischen Königshauses zwischen 1450 und 1500 inspirieren lassen: Auf Youtube finden sich Videos, welche die historischen Geschehnisse mit denjenigen im Buch vergleichen, ja sogar die Protagonisten beider Welten einander zuordnen. Dass Margaret von Anjou dabei mit der tyrannischen Cersei gleichgesetzt wird, ist kein Zufall, entspricht dies doch dem Ruf, den Margaret im kulturellen Gedächtnis der Briten besitzt.

Lena Headey als Cersei Lannister in Game of Thrones (2011). Standbild

Es ist vor allem William Shakespeares Interpretation von der grausamen Margaret als «Böse Königin», das in der Moderne weiterverwendet und angepasst wurde. Er hat die Königin in dreien seiner Werke als aktive Frau dargestellt, die ihren Ehemann nach Belieben beeinflusst und sich auch persönlich am Schlachtgeschehen beteiligt. Wirkungsvoll war vor allem die Bezeichnung She-wolf of France, welche Shakespeare in Henry VI dem Duke of York in den Mund legt. Margaret geht dann auch nicht zimperlich mit diesem ihrer Widersacher um: Off with the crown, and with the crown his head! //And whilst we breathe, take time to do him dead (The Third Part of Henry the Sixth, Part 3, Act 1, Scene 4). Margaret ist zudem aktiv an der Ermordung selbst beteiligt, versetzt sie dem Duke of York doch den finalen Todesstoss.

Margaret von Anjou im Talbot Shrewsbury Book (1444/ 45).

Doch woher hat Shakespeare – mehr als 100 Jahre nach Margrets Tod – seine Vorstellung von ihr als Königin? Offenbar bezieht er sich auf die chronikalische Tradition. Ein Blick darauf lässt wiederum deutlich werden, dass sich die Konzeption der Königin Margaret im Verlaufe der Zeit signifikant verändert hat. Bezeichnend erscheint, dass Margret hier erst sukzessive überhaupt zum Thema gemacht wird. In frühen Chroniken wird einzig erwähnt, dass sie wyttyer then the kynge sei, also dem König in Intelligenz überlegen (Gairdner, 1876, 209). Nur einmal taucht sie als Subjekt in einer militärischen Aktion auf: She toke the castelle of Anywyke and put hyt fulle of Fraynyschemen (Gairdner, 1876, 218). Dieser ist als Echo der damaligen yorkistischen Propaganda im Gefolge des Hundertjährigen Krieges zu verstehen, die den Argwohn gegenüber Frankreich zementierte und Margaret zur Zielscheibe einer Kritik am königlichen Handeln machte. Man betonte Margarets französische Herkunft, stellte sie als Feindin Englands dar und schrieb ihr negativen Einfluss auf den königlichen Ehemann zu. Zudem kursierte offenbar das Gerücht, Henry sei in Wahrheit nicht der Vater von Margrets Sohn Edward, wie es etwa Robert Fabyan in seiner Chronik aus dem Jahr 1504 beschreibt (Ellis, 1811, 628). Geht es in der frühen Überlieferung wohl vor allem darum, über Vorwürfe an Königin Margret die Herrschaft König Henrys zu kritisieren und den yorkistischen Standpunkt zu stärken, entsteht im 16. Jahrhundert ein detailliertes Bild von Margaret als handlungsfähige Protagonistin der Kriege.

Die Haltung der englischen Chronistik gegenüber Königin Margret wandelte sich unter dem Einfluss des italienischen Humanisten Polydor Vergil (gest. 1555), der in seiner Historia Anglicana Motivation und Persönlichkeit der Akteure hervorhob – ein Zugang, den Kaufleute und andere gebildete Laien als neues Publikum für Geschichtserzählungen zu schätzen wussten. Margarets Rolle wurde nun wichtiger, ihre Figur ausgeschmückt, Motive, Emotionen und innere Vorgänge eingefügt.

Peggy Ashcroft als Margaret von Anjou in The Wars of the Roses (1963/ 64). Getty Images

Ausgeprägt wird Margaret von Anjous Ruf als monsterhafte Königin 1542 in Hall’s Chronicle – die Chronik, die Shakespeare als Hauptquelle für seine Werke über die Rosenkriege dienen sollte. Es war Edward Hall, der Margarets Figur als ein Exempel für die schreckliche Herrschaft einer Frau umschrieb: Der Text ist der erste, der Margaret als arrogant, fürchterlich, leichtgläubig und unfähig bezeichnet. Hall beschuldigt Margaret, die Macht unrechtmässig an sich gerissen zu haben und beschreibt dies mit einer prägnanten Metapher: [Margaret] thought it necessary, to plucke the sword of aucthoritie, out of their handes  (Hall’s Chronicle, 1809, S. 234). Der Text verurteilt Margaret und ihre Machtaufübung aufs Schärfste, vertritt den Standpunkt, dass Frauen und Machtausübung nicht kompatibel seien.

Damit traf Hall den Nerv der Zeit, in der ein Diskurs über weibliche Herrschaft entbrannt war. Dieser entzündete sich vor allem an Vorstellungen von einer natürlichen Unterordnung der Frau unter den Mann, von quasi-priesterlichen Heilfähigkeiten, der Schutzgewalt und militärischen Macht des Königs. Hingegen hielt man Gewalt für nicht vereinbar mit weiblicher Tugend und die Herrschaft einer Frau nicht konform mit der Bibel. Im Jahre 1558 – und damit während der Herrschaft der katholischen Mary Tudor – bringt der Theologe und Reformator John Knox diese Sichtweise auf den Punkt: he that iudgeth it a monster in nature, that a woman shall exercise weapons, must iudge it to be a monster of monstres, that a woman shalbe exalted above a hole realme and nation. (Knox, 1558: C3).

Sophie Okonedo als Margaret von Anjou in The Hollow Crown (2016). BBC

An Margret von Anjous schlechtem Ruf haben auch moderne wissenschaftliche Arbeiten nichts geändert. Zwar haben diese Margaret zu rehabilitieren versucht und argumentiert, dass diese wohl vor allem die Zukunft ihres Sohnes hatte sichern wollen. In der öffentlichen Meinung und in populären Medien hat sich jedoch die Geschichte von Margaret als she-wolf und Englands villain queen gehalten, die durch ihre persönliche Ambition und ihrem Machthunger mitverantwortlich für einen der blutigsten innerpolitischen Konflikte Englands war, und damit beinahe die Monarchie zerstört hätte. Auch positive Erfahrungen mit weiblicher Herrschaft im englischen Königreich scheinen die Faszination nicht gebrochen zu haben, die von der Figur einer schrecklichen Königin ausgeht.

Myriam Dudli studierte Anglistik, Mediävistik und Skandinavistik an der Universität Zürich.

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