Felina Imboden

Von Zeltlagern und Gottvertrauen

In den 1980er-Jahren vollzogen sich in der Gesellschaft der Schweiz viele Veränderungen. Verschiedene soziale Bewegungen wie die Umwelt-, die Frauen- oder die Jugendbewegung versuchten sich Gehör zu verschaffen, Individualität wurde wichtiger und die religiösen Werte verloren an Bedeutung.

Mitten in dieser sich verändernden Gesellschaft befand sich ein christlicher Jugendverband, der Cevi Ostschweiz, in einer Wachstumsphase. Mit diesem Verein beschäftigt sich meine Bachelorarbeit. Ich wollte herausfinden, was dem Verein zu seinem Wachstum in dieser Zeit verhalf, was er den Jugendlichen in Bezug auf die Herausforderungen ihrer Zeit bot und wie er sich selbst in der Gesellschaft verortete. Deshalb beschäftigte ich mich mit Dokumenten aus dem Archiv des Cevi Ostschweiz und mit den Gegebenheiten und dem Zeitgeist der 80er-Jahre.

Ein Schwerpunkt des Cevi war die Jungschararbeit und darin gab es ab 1986 ein neues Angebot für Jungen ab 15 Jahren, die nicht Leiter der Jungscharkinder werden wollten. Dieses Angebot war die Talentstufe. Die Jugendlichen trafen sich regelmässig, einerseits um die Jungschararbeit durch handwerkliche und kreative Arbeiten, zum Beispiel im Basteln von Requisiten oder Verkleidungen für ein Theater am Samstagnachmittag, zu unterstützen und andererseits um gemeinsam in der Bibel zu lesen, über den persönlichen Glauben zu diskutieren und Ausflüge wie Kinobesuche zu unternehmen.

Zwei Talentler der Richtung ‹Handwerk› beim Arbeitsbeginn (Bild: Cevi-Zirkel 1/1 (1987) S. 4)
«Zwei Talentler der Richtung ‹Handwerk› beim Arbeitsbeginn»
(Cevi-Zirkel 1/1 (1987), 4.)

Vielen Menschen fehlte es in den 80er-Jahren aufgrund von Veränderungen und Unsicherheiten an Orientierung und Halt. Den Buben in der Talentstufe wurde durch die regelmässigen Treffen und den christlichen Glauben ein möglicher Halt angeboten.

Die Jugendverbände befanden sich in den 80er- und 90er-Jahren in Spannungsfeldern, wovon ein zentrales dasjenige zwischen Individualität und Solidarität war. Individualität wurde in der Gesellschaft immer zentraler, gleichzeitig lebten die Jugendverbände vom Geben und Nehmen, von der Solidarität der Mitglieder. Dieses Geben und Nehmen ist in den zwei verschiedenen Zielen der Talentstufe ersichtlich. Dieses Angebot befindet sich deshalb in diesem Spannungsfeld stark auf der Seite der Solidarität. Damit half der Cevi den Jugendlichen bei einer weiteren Herausforderung, nämlich einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Aufgrund der vielen Möglichkeiten und des Rückzugs der Menschen ins Private war dies eine schwerere Aufgabe als noch für die Generation davor. Der Cevi übertrug den Jugendlichen früh Verantwortung und liess sie konkret erleben, dass sie in der Gemeinschaft gebraucht wurden. Neben dieser Solidarität geriet die Individualität im Sinne von unverbindlichen Angeboten in den Hintergrund. Doch Individualität im Sinne von Förderung jeder einzelnen Person war im Cevi wichtig. Die Jugendlichen wurden individuell in ihren Talenten und in ihrer persönlichen Entwicklung, hauptsächlich in Zusammenhang mit dem Glauben, begleitet und gefördert.

Diese drei Punkte, Solidarität für die Gemeinschaft, individuelle Förderung und Orientierungsmöglichkeiten waren für viele Jugendliche in den 80er-Jahren aufgrund der Herausforderungen ihrer Zeit ansprechend, weshalb der Cevi Ostschweiz attraktiv war und wuchs.

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