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Ilona Ruckstuhl

„Lassen Sie den Alltag hinter sich und tauchen Sie in eine neue Welt ein.“

Die Konstruktion von Ausseralltäglichkeit am Beispiel von Wellnesserlebnissen.

Barbie war in ihren 61 Jahren Tierärztin, Pilotin, Juristin, Polarforscherin, düste schon mal zum Mond, fuhr mit Ken Campen und sauste mal im pinken Cabrio, mal im Pferdesattel durch die Kinderzimmer. Und nun, 2020, gönnt sie sich eine Pause und kümmert sich um sich selbst. Der Spielzeugkonzern Mattel brachte Anfang des Jahres die Wellness-Barbie-Kollektion raus. Im Kinderzimmer soll spielerisch gelernt werden, wie man durch Selbstpflege das Beste aus sich herausholt. “Barbie® doll knows the way to be one’s best is to give yourself the best care!”, denn, wie das Unternehmen so schön sagt: “when a girl plays with Barbie®, she imagines everything she can become”. Mattel zeigt mit seiner neuesten Barbie-Kollektion, Wellness ist seit eh und je aktuell. 

Abb. Die neuste Barbie-Kollektion steht ganz im Zeichen von Wellness.

Sucht man heute im Internet mit den Begriffen ‘Wellness’ und ‘Zürich’ wird man mit einer grossen und vielfältigen Auswahl an Angeboten belohnt: Thermalbäder, Massagen, Sauna, ayurvedische Behandlungen, Hamam, Schönheitspflege, Detox-Kuren und so weiter. Wellnessangebote wie diese, versprechen den Besucher*innen die Ablösung von ihrem momentanen Zustand in einen anderen, neuen. Sie versprechen Wohlbefinden, Zeit für sich und Ruhe. Sie erschaffen eigens dafür entwickelte Räume und Techniken, bei denen wohlige Gefühle und Entspannung Priorität haben, die im ausgeprägten Gegensatz zu den alltäglichen Herausforderungen wie Job, Familie und Haushalt stehen. Die Schaffung von Wellness-Wohlfühlmomenten geht deshalb oft mit einer Konstruktion von Ausseralltäglichkeit einher. So schreibt auch das Thermalbad und Spa Zürich über den Spa-Bereich:

„Der Spa-Bereich […] ist als eigentliches Baderitual; einem ‚Römisch-Irischem Bad‘ mit einem Ablauf und optionalen Behandlungen aufgebaut, bei dem das Eintauchen in eine andere Welt und das Zurücklassen des Alltags wie selbstverständlich einhergehen.“

Thermalbad und Spa Zürich, Homepage

Doch was genau macht Wellnesserlebnisse für die Erlebenden zu ausseralltäglichen Erfahrungen? Wie wird diese von den Erlebenden sprachlich hervorgebracht und konstruiert? Und wie kann dies im Spannungsfeld Alltag – Ausser-Alltag gedeutet werden?

Um mich diesem Ausser-Alltag anzunähern, habe ich im vergangenen März Gespräche mit verschiedenen Personen geführt, die regelmässig Wellnessangebote nutzen und habe selber das Thermalbad und Spa Zürich besucht, um mein eigenes körperlich-sinnliches Erleben miteinbeziehen zu können. Bei der Analyse des Materials habe ich festgestellt, dass sich der Ausser-Alltag dort aufspannt, wo man „weg von allem“ ist und einen Bruch mit der Zeit erlebt. Dieser Ausser-Alltag kennzeichnet sich durch das Erleben einer ‚produktiven Unproduktivität‘ und einer Entschleunigung. Er stellt einen Gegenraum zum hektischen Alltag dar, er ist durch die verspürte Entschleunigung ein Übergangsraum von Phasen der Arbeit zu Phasen der Nicht-Arbeit, und er ist Umwandlungsraum, in dem das Selbst durch Wellness geformt und optimiert werden kann, um danach umso erfolgreichen in den Alltag zurückzukehren. Dieser Ausser-Alltag ist aber immer nur für eine beschränkte Zeit erlebbar. Ich möchte diesen Beitrag mit einem Zitat aus meinem Interviewmaterial schliessen:

„Es Erlebnis isch’s für mich eigentlich jedes Mal, wenn ich ine Sauna gahn, wenn ich nachher uselaufe und Hei gahn und s’Gfühl han, jetzt bisch eifach so drü, vier Stund eifach emal weg gsi und du bisch irgendwie wie usglüftet und packsch de Tag wieder wie anderst a.”

Rolf, Interview vom 08. März 2020.