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Inken Blum

More Than Just One Story

– Reproduktion und Subversion populärer Narrative sexueller Gewalt im Spielfilm –

Filmplakate der analysierten Filme [via filmstarts.de]

Zu Beginn meiner Bachelorarbeit stand das grosse Thema sexueller Gewalt, dass in den letzen Jahren im Zuge der #MeToo-Debatte, Diskussionen um zeitgemässe Gesetzgebungen und feministischer Revisionen des Consents-Begriffs eine besondere Aufmerksamkeit erlangt hat. Basierend auf der Annahme das Narrative unsere Lebenswelt dabei einerseits aufgreifen und die gesellschaftliche Lage widerspiegeln und andererseits selbst als Wissensbestände genutzt werden und darüber die Realität beeinflussen und formen, wollte ich mir insbesondere die filmische Verarbeitung des Themas genauer anschauen. Nach einer lange Suche und Sichtung verschiedener Filme gelangt ich schliesslich zu meinen zwei Analyseobjekten: Eva Trobischs Alles ist gut (DE, 2018) und Jessica M. Thomspsons The Light of the Moon (USA, 2017). Die Besonderheit beider Filme ist, dass sie nicht wie die meisten anderen sexuelle Gewalt lediglich als Plotgenerator und Motivation für andere Handlungsstränge verwenden, sondern sich dezidiert damit beschäftigen, wie die Gewalterfahrungen erlebt werden und die Protagonistinnen in ihrem fortlaufenden Alltag beeinflussen.


In Alles ist gut wird Janne nach einer Party von einem alten Bekannten vergewaltigt und versucht diese Erfahrung für sich einzuordnen. Sie erzählt niemanden davon und möchte am liebsten so weiter machen, als wäre nichts passiert. Trotzdem merkt sie, wie ihr nach und nach die Kontrolle entgleitet.

Trailer zu Alles ist gut

Bonnie hingegen wird in The Light of the Moon nachts auf dem Nachhauseweg von einem Fremden angegriffen. Ihr Umfeld erfährt sehr schnell davon und es ergeben sich nicht nur Schwierigkeiten in ihrer Beziehung, sondern auch im Job und sie muss sich damit auseinandersetzten, dass sie mit ihrer Erfahrung keineswegs ein Ausnahmefall ist.

Trailer zu The Light of the Moon

In meiner Arbeit habe ich mich nun damit beschäftigt, welche Vorstellungen die in den Filmen präsentierten Erzählungen von den Geschehnissen und den daran Beteiligten wiedergeben und in welchem Bezug sie zu populären Narrativen sexueller Gewalt stehen. Dabei habe ich mich den drei grossen Themenbereichen des Verbrechens, der Opferrolle und der Täterrolle gewidmet und untersucht welche Verständnisse hier über die Narration konstruiert werden. Dabei habe ich mir zunächst die Fragen gestellt, was in den beiden Filmen die Vergewaltigung überhaupt erst zu einem Verbrechen macht, welche Rolle das Geschlecht dabei spielt und wie die filmische Präsentation die Wahrnehmung und Beurteilung der Taten beeinflusst. Vor allem habe ich mich aber auch darauf fokussiert mit welchen Folgen die Protagonistinnen zu kämpfen haben. Interessant ist dabei, dass sowohl Janne als auch Bonnie kein Opfer sein wollen. Diese Ablehnung und gleichzeitig notwendige Identifzierung mit der Opferrolle müssen sie aber nicht nur mit sich selber ausmachen sondern auch in der Interaktion mit ihrem Umfeld aushandeln. Auch den Tätern wird dabei eine bestimmte Rolle zugewiesen, die sie aber auf unterschiedliche Weise erfüllen, aber auch in Frage stellen können.


Insgesamt ist dabei aufgefallen, dass die beiden Filme eine sehr unterschiedlich Herangehensweise an die Thematik wählen. The Light of the Moon bezieht klare Stellung, nimmt bewusst Elemente des populären Diskurses auf, bestätigt zum Teil, problematisiert an anderen Stellen und schafft dadurch Freiräume für abweichende Elemente innerhalb eines populären Narrativs. Alles ist gut hingegen hält sich mit einem Urteil weitestgehend zurück und überlässt es den Zuschauer*innen Antworten auf die vom Film aufgeworfenen Fragen zu finden und unterwandert dadurch gängige Vorstellungen. In beiden Filmen lassen sich somit Narrative erkennen, die sich in der Aushandlung verschiedener schwieriger und teilweise widersprüchlicher Auffassungen des Themas sexueller Gewalt befinden und versuchen, diese in einer einzelnen Geschichte zu vereinen.