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Christoph Stapfer

Pop aus der Provinz.

Bild: Instagram, dachsmusic

Die alltagskulturelle Prägung von Themen, Szenerien und Personen in Mundart-Popsongs aus der Kleinstadt.

DüDaDo – Dachs – Immer schö lächlä

Pop war lange Zeit – und ist auch heute noch mehrheitlich – ein Stadtphänomen. Das liegt daran, wie Pop funktioniert: Egal ob in der Musik, in der Literatur, im Film oder in der Mode – Pop-Kultur wird als Spiegel der Gesellschaft verstanden, der deren immanenten Werte mittels künstlerischer Artefakte sichtbar macht und diskutiert, wie Nachbar und Lause in ihrem Einführungstext zu Popular Culture erläutern. Gleichzeitig funktioniert Pop-Kultur nur in Abhängigkeit zum Publikum, wobei ihre Qualität über dessen Zustimmung und Konsum definiert wird, wie Kaspar Maase ergänzt. Es kann also nicht überraschen, dass die Akteure des Pop den Tendenzen ihres Publikums – der Gesellschaft – folgen, welche bereits seit dem 19. Jahrhundert, dem Beginn des Industriezeitalters, zunehmend in Städten lebt. Ihre Werte und ihre alltagskulturellen Erfahrungen wurden vom Leben in der Stadt stark geprägt.

Pop baut ausserdem auf eine Steigerungsdynamik in Sachen Produktion, Distribution und Selbstreferenzialität. Das heisst, dort wo bereits viele Akteure der Pop-Kultur aktiv sind, werden tendenziell die Chancen für neue Akteure besser – durch vorhandene Infrastruktur, Szenen und Rezeptionsnetzwerke bzw. gesteigerte Aufmerksamkeit. Entsprechend häufig findet sich deshalb sowohl in Biographien wie auch in künstlerischen Werken von Pop-Produzenten der Fluchtnarrativ: «Ich habe meine langweilige und begrenzte Heimat in der Provinz zurückgelassen und bin in die grosse Stadt gezogen, um Inspiration und Erfolg zu finden». Um diese künstlerische Auseinandersetzung mit Themen des Städtischen geht es dann zuweilen in den Werken (neo)städtischer Künstler*innen.

Abseits des Mainstreams gibt es aber auch Pop-Acts, die diesem Fluchtnarrativ nicht gefolgt sind. Sie leben bewusst in der Agglomeration, in Kleinstädten und sind von dort aus künstlerisch tätig. Es wäre also anzunehmen, dass sich diese entsprechend mit Motiven, Szenerien und Personen aus dem kleinstädtischen – provinziellen – Umfeld beschäftigen.

Bild: Papst & Abstinenzler, Pressebild

Diese These wollte ich in meiner Arbeit «Pop aus der Provinz» anhand der Beispiele von «Dachs» und «Papst & Abstinenzler» überprüfen. Ausserdem habe ich ihre Inhalte auf Parallelen zu Vertretern der ‘Hamburger Schule’ – als populäres Beispiel der Auseinandersetzung von Pop mit provinziellem Hintergrund aus Deutschland – untersucht. Jene hatten sich anfangs der 1990er Jahre in einem Zusammenspiel aus Lächerlichkeit und Würde mit ihrer eigenen Provinzialität befasst, so Moritz Bassler, Professor für Neuere Deutsche Literatur.

Nur unter der Bedingung der Reflexion auf die eigene Provinzialität und Lächerlichkeit ist Pop im Deutschland der Hamburger Schule erträglich, aber der Effekt dieser Reflexion ist nicht (nur) Selbstironie, sondern eben auch eine wie auch immer fragile Form von, sagen wir, Würde.

Moritz Bassler, Bad Salzuflen, weltweit. Die Pop-Provinz der Hamburger Schule

Kurz gesagt konnten in der Analyse von Songtexten und Musikvideos sowohl Indizien für eine bewusste Auseinandersetzung beider Bands mit ihren jeweiligen Alltagswelten als auch Merkmale der kreativen Verarbeitung ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit, respektive Andersartigkeit in Bezug auf den Mainstream – im Sinne der von Bassler benannten Lächerlichkeit – festgestellt werden. Einerseits setzen dafür sowohl «Dachs» wie auch «Papst & Abstinenzler» teils selbstironische Stilmittel und Kommentare ein, andererseits setzen sie sich kritisch mit der mehrheitsfähigen Selbstwahrnehmung der Gesellschaft auseinander und sprechen mitunter gezielt ihr Publikum an. Was beide Bands von den popkulturellen Vorbildern der Hamburger Schule oder des englischsprachigen Raumes unterscheidet ist, dass sie den gängigen Fluchtnarrativ nicht fortsetzen: Die analysierten Schweizer Bands erzählen in ihren Songs von ihren Umwelten in der Kleinstadt und auf dem Land, mehrheitlich ohne dabei zu werten. Es sind vornehmlich Beschreibungen von Szenen, Personen und Attitüden, wobei das provinzielle Umfeld hin und wieder durchaus positiv besetzt wird. Schliesslich bieten sie ihrer Hörerschaft aber vor allem eines: einen Blick auf die teils ländlichen, immer jedoch peripheren Alltagswelten ihres Umfelds, jenseits von mythisierter Identitätskonstruktion und tradierter Klischees.