Carola Jäggi: Kunstgeschichte in Zürich

Von der «Kunst aussereuropäischer Völker» zur Kunstgeschichte Ostasiens

Carola Jäggi

Elsy Leuzinger
Abb. 29: Elsy Leuzinger im Museum Rietberg, 1957.
Foto: Archiv Do Zeller, aus: Tacier-Eugster, Heidi: Das Museum Rietberg Zürich und Elsy Leuzinger – Vom Sehen und Wissen, Basel. 2019, S. 113.

Während die Mittelalterarchäologie noch bis 1991 warten musste, bis sie zu einem eigenen Nebenfach innerhalb des kunsthistorischen Studienangebots erhoben wurde,[153] erging es der «Kunst aussereuropäischer Völker» besser. Schon früh – wesentlich früher als an anderen Universitäten – wurde dieses Fachgebiet an der Universität Zürich gelehrt, was sich dem Wirken Elsy Leuzingers (1910–2010; Abb. 29) verdankte. Diese hatte 1942–1949 berufsbegleitend zu ihrer Arbeit als Konservatorin an der Sammlung für Völkerkunde an der Universität Zürich Ethnologie, Kunstgeschichte und Geographie studiert, war 1950 an , ‹ihrer› Universität promoviert und 1960 ebenda als erst vierte Frau an der Philosophischen Fakultät habilitiert worden.[154]

Cover Dissertation Wesen und Form des Schmuckes afrikanischer Völker
Abb. 30: Cover von Elsy Leuzingers Dissertation, erschienen 1950 im Verlag E. Lang in Zürich.
Foto: KHIST.

Ihre Dissertation hatte Wesen und Form des Schmuckes afrikanischer Völker (Abb. 30) zum Thema, ihre Habilitation, für die ihr die Venia legendi für die Kunst aussereuropäischer Völker verliehen wurde, trug den Titel Afrika. Kunst der Negervölker. Seit 1956 war Leuzinger Direktorin des Museums Rietberg in Zürich und implementierte nicht selten Fragestellungen und Themenkomplexe, die sie als Museumsfrau beschäftigten, in ihre Lehrtätigkeit an der Universität. Mit ihrer Beförderung zur Titularprofessorin 1968 nahm das Angebot dann insofern Fahrt auf, als 1969 eine «Kommission für Kunst aussereuropäischer Völker» eingesetzt wurde, der neben «Fräulein Prof. Leuzinger» und den beiden Kunstgeschichte-Ordinarien Maurer und Reinle auch die Professores Robert P. Kramers und Cornelius Ouwehand aus dem Ostasiatischen Institut angehörten.[155] Die Einsetzung dieser Kommission reagierte auf den «Anspruch einer Reihe von Studenten, aussereuropäische Kunst als Examensfach in seriöser Weise zu studieren». Konkret handelte es sich um sieben Studierende und deren Wunsch auf Schaffung eines auf aussereuropäische Kunst fokussierten Nebenfaches.[156] Die Kommission hielt diesen Anspruch für begründet, nicht zuletzt deshalb, weil die «Sammlungen und Bibliothek des Rietbergmuseums […] eine ausreichende Grundlage für die Studierenden» böten, «sich mit den Aspekten ausgewählter Teilgebiete der aussereuropäischen Kunst zu befassen».[157] Allerdings sei im Rahmen eines Nebenfachs ein «Studium der aussereuropäischen Kunst in ihrer Gesamtheit» nicht möglich und würde «zu einer dilettantischen Zersplitterung führen». Da nun «Fräulein Professor Leuzinger […] unter dem Druck wachsender Verpflichtungen am Museum Rietberg […] ihr Lehrgebiet nicht in der bisherigen Breite beibehalten», sondern sich vermehrt wieder ihren Spezialgebieten, «insbesondere der Afrikanischen und der Indischen Kunst, zuwenden» wolle, solle «die Pflege der Chinesischen Kunst und der Japanischen Kunst, für die auch unter den Studenten der Japanologie ein deutliches Interesse angemeldet wird», durch einen externen Lehrauftrag vergeben werden. Die Kommission stellte daraufhin den Antrag, «Kunst aussereuropäischer Völker» in die Liste der Lizentiatsfächer aufzunehmen, allerdings mit dem zwingenden Klammerzusatz «je ein Teilgebiet, z. B. Afrikanische Kunst, Indische Kunst, Chinesische Kunst, Japanische Kunst», der darauf hinweise, dass es diese Teilgebiete seien, die «als Examensfächer im ersten und zweiten Nebenfach» anerkannt seien, und keineswegs das titelgebende Gesamtfach. Am 26. Januar 1970 leitete der Dekan der Philosophischen Fakultät I dieses Postulat als Fakultätsantrag an die Erziehungsdirektion weiter, so dass bereits zum Sommersemester 1970 die ersten Studierenden «Kunst aussereuropäischer Völker» als Nebenfach wählen konnten.[158]

Helmut Brinker auf dem Fussballplatz
Abb. 31: Helmut Brinker auf dem Fussballplatz, aufgenommen anlässlich des Erscheinens von Brinkers Buch Laozi flankt, Konfuzius dribbelt. China scheinbar im Abseits: Vom Fussball und seiner heimlichen Wiege, 2006.
Repro aus dem UNIMAGAZIN 2/06, S. 10; UZH-Archiv AB.4.014.

Es gehört zur Ironie des Schicksals, dass es letztlich nicht Leuzingers Spezialgebiete Afrika und Indien waren, die sich nachhaltig an der Universität Zürich etablieren konnten, sondern die ostasiatische Kunstgeschichte, die 1970–1975 nur auf Lehrauftragsbasis angeboten werden konnte. Dietrich Seckel, seit 1965 Professor für Kunstgeschichte Ostasiens an der Universität Heidelberg, hatte für diesen Lehrauftrag seinen Schüler Helmut Brinker (1939–2012; Abb. 31) vermittelt, der Zürich bereits von einem Praktikum im Museum Rietberg im Sommer 1963 kannte. 1975 erfolgte Brinkers Habilitation an der Universität Zürich und die Verleihung der Venia für Kunstgeschichte Ostasiens, bereits drei Jahre später – 1978 – seine Ernennung zum Extraordinarius ad personam mit halber Lehrverpflichtung, so dass Brinker auch weiterhin seine 50%-Anstellung als Kurator der Ostasiatischen Abteilung am Museum Rietberg behalten konnte, die er seit 1970 innehatte.[159] Ausschlaggebend für diese rasche Beförderung war primär das altersbedingte Ausscheiden von Elsy Leuzinger aus dem Universitätsdienst zum Wintersemester 1975/76, aber auch das Interesse anderer Institutionen an Brinker und seiner spezifischen Expertise. Und auch die im Februar 1982 erfolgte Umwandlung seines halben Extraordinariats für Kunstgeschichte Ostasiens in ein volles Ordinariat inklusive Beförderung von Brinker zum Ordinarius ad personam stand in direktem Zusammenhang zur Ablehnung eines attraktiven Stellenangebotes aus dem Ausland. Als Ordinarius lehrte Brinker bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2006; zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Fach Ostasiatische Kunstgeschichte längst aus seinem ausschliesslichen Nebenfachdasein gelöst – seit 1990 ist es auch als Hauptfach zu studieren. Die afrikanische und die indische Kunst sind mit dem Rücktritt von Leuzinger hingegen komplett aus dem Lehrportfolio verschwunden; erst seit Kurzem stehen Themen zu diesen Bereichen im Kontext der zeitgenössischen Kunst und des spezialisierten Masterprogramms «Kunstgeschichte im globalen Kontext» wieder vereinzelt auf dem Programm.

[153] Boschetti-Maradi, Adriano/Descœudres, Georges: Geschichte der Mittelalterarchäologie in der Schweiz, in: Die Schweiz vom Paläolithikum bis zum Mittelalter VII: Archäologie der Zeit von 800 bis 1350, hrsg. v. Archäologie Schweiz, Basel 2014, S. 13–25, hier S. 24.
[154] Zu Elsy Leuzinger siehe die 2018 als Dissertation am Lehrstuhl für Kunstgeschichte Ostasiens (Prof. Dr. Hans Thomsen) approbierte Studie von Heidi Tacier mit dem Titel Das Museum Rietberg Zürich und Elsy Leuzinger. Vom Sehen und Wissen, Basel 2019, bes. S. 316–324 und 341–391.
[155] Vgl. das Schreiben der Kommission vom 6. Dezember 1969 an das Dekanat der Philosophischen Fakultät I (UZH-Archiv AL.7.43).
[156] Die Zahl 7 geht aus dem vorbereitenden Antrag vom 19. Mai 1969 von Bloesch, Maurer und Reinle hervor (UZH-Archiv AL.7.43).
[157] Wie Anm. 155. Auch die nachfolgenden Zitate und Paraphrasen sind diesem Schreiben vom 6. Dezember 1969 entnommen.
[158] Der entsprechende Antrag findet sich ebenfalls im Dossier AL.7.43 des UZH-Archivs.
[159] Tacier 2019 (wie Anm. 154), S. 325f.

Lizenz

150 Jahre Kunstgeschichte an der UZH Copyright © 2022 Carola Jäggi. Alle Rechte vorbehalten.

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