Carola Jäggi: Kunstgeschichte in Zürich

Ausbau und Umstrukturierung zwischen 1965 und 1985: Studienreform, neue Lehrkräfte und die Professionalisierung des Seminarbetriebs

Carola Jäggi

Entwicklung der Kunstgeschichte-Studierenden (nur Hauptfach) zwischen Wintersemester 1971/72 und Sommersemester 2006
Abb. 25: Entwicklung der Kunstgeschichte-Studierenden (nur Hauptfach) zwischen Wintersemester 1971/72 und Sommersemester 2006 anhand der offiziellen Studierendenstatistik der Universität Zürich.
Grafik: Daniela Hoesli.

Mit dem Amtsantritt Maurers 1967 war die Kunstgeschichte an der Universität Zürich erstmals seit dem Tod Vögelins 1888 wieder mit zwei Ordinarien vertreten. In den knapp 80 Jahren, die dazwischen vergangen waren, hatten sich die Studierendenzahlen allerdings vervielfacht: Mitte der 1960er-Jahre waren es 45 Hauptfach-[127] und wohl ebenso viele Nebenfachstudierende, und es waren nicht zuletzt diese Zahlen, die beim Antrag auf Umwandlung des Reinle’schen Extraordinariates in ein Ordinariat angeführt wurden, um die Notwendigkeit dieses Upgrades und des damit verbundenen Lehrangebots von 6–10 anstelle der bis dahin 4–6 Wochenstunden zu untermauern.[128] In den 20 Jahren bis zur Emeritierung von Reinle erhöhte sich die Zahl der Hauptfachstudierenden sukzessive auf etwa 350, stieg danach nochmals an, erreichte 1990 mit einer Zahl von etwas über 450 ihren Höhepunkt und flachte danach wieder etwas ab.[129] (Abb. 25)

Die Wahl Maurers zum Ordinarius bot nun die Chance zu einer Anpassung des Seminarbetriebs an die aktuelle Situation und zu einer Aufstockung der dafür notwendigen Mittel. Ganz offensichtlich in enger Absprache mit Reinle handelte Maurer bei seiner Berufung eine Erhöhung des jährlichen Seminarkredits von bis dahin 21’000 Franken auf 33’000 Franken aus, ebenso ein regelmässiges Jahresbudget von 30’000 Franken für die Bibliothek, die aufgrund ihres Zustandekommens durch Schenkungen «sehr unausgeglichen» sei und deshalb durch systematische Ankäufe ergänzt werden müsse, während «für eine planmässige Erneuerung der Diapositiv-Sammlung» 3’000 Franken einzusetzen seien.[130] Zu der bisherigen Assistenz, «die gegenwärtig [d. h. 1967, Anm. C. J.] mit zwei halbtagsweise beschäftigten Funktionären besetzt ist, von denen der eine mit allgemeinen Verwaltungsaufgaben sowie der Organisation des Vorlesungs- und Seminarbetriebes und der andere mit der Betreuung der Bibliothek betraut ist», wurde eine weitere halbe Assistentenstelle eingerichtet, zu deren Aufgaben die «Betreuung der Diapositivsammlung, die ca. 20 000 Nummern zählt, der Lichtbilderdienst im Rahmen der Seminar- und Proseminarübungen, die Ausleihe und Beschaffung neuer Diapositive usw.» zählen solle.[131] Dreieinhalb Jahre später, im Sommer 1971, ersuchten Maurer und Reinle dann gemeinsam die Erziehungsdirektion um Schaffung einer wissenschaftlichen Assistenz.[132] Zwar seien «die Hilfsassistenzen in den letzten Jahren beträchtlich vermehrt worden», doch würden sie ausschliesslich für «praktische Aufgaben» wie die Verwaltung, die «Betreuung der Bibliothek, der Diathek und der Fotothek» herangezogen, während die gesamte Lehre von den beiden Ordinarien, den beiden Assistenzprofessoren, dem Privatdozenten und «verschiedene[n] Lehrbeauftragte[n] für Spezialaufgaben» gestemmt werden müsse. In Blick auf die Studierendenzahlen und «in Würdigung des bekannten Bedürfnisses der Studierenden nach vermehrter Studienbegleitung und nach geführter Gruppenarbeit» erweise sich dieser Lehrkörper als «unvollständig und […] einseitig», kurz: es fehle an «‹Unteroffizieren›». Mindestens ein «wissenschaftlicher Vollassistent» sei wünschbar – darin seien sich «die Lehrenden und Lernenden unseres Seminars» einig. Diesem Vollassistenten – offenbar war damals nur ein Mann für diesen Posten denkbar! – seien «neben den reglementarischen Obliegenheiten» die «Einführung der Anfänger» anzuvertrauen, ferner die «Einführung in die Abfassung von Seminararbeiten und Referaten und in die Vortragstechnik», die «Mitarbeit in Proseminaren, Uebungen, Exkursionen usw.», «ev. Uebernahme von bestimmten Lehraufträgen» sowie die «Entlastung des Verwaltungsassistenten». Dass der Antrag nicht schon früher gestellt worden sei, wurde damit begründet, dass erst jetzt mit Werner Oechslin ein geeigneter Kandidat «aus der eigenen ‹Schule›» nominiert werden könne.[133] Die zitierte Passage zeigt, dass sehr bald nach Maurers Amtsantritt eine Reorganisation des Studiums umgesetzt worden war, die insbesondere eine Systematisierung der Studieneingangsphase zum Ziel hatte – mit obligatorischen Einführungskursen für Studienanfänger:innen und einer Akzessprüfung, mit deren Bestehen die Proseminarstufe abgeschlossen wurde und nicht nur der Zugang zu den Hauptseminaren offen stand, sondern auch jener zur Seminarbibliothek, die von den Studierenden erst nach diesem Initiationsschritt genutzt werden durfte.[134]

Richard Zürcher
Abb. 26: Richard Zürcher auf Seminarreise in Udine, ca. 1971. Rechts oben Oskar Bätschmann im Gespräch mit Beatrice Keller, ganz links Hanspeter Zürcher.
Privatarchiv Hanspeter Zürcher, Fotograf:in unbekannt.

Aus dem paraphrasierten Antrag von Maurer und Reinle um Schaffung einer wissenschaftlichen Assistenz geht aber auch hervor, dass zum Sommersemester 1971 zwei Assistenzprofessoren ihren Dienst aufgenommen hatten, die die beiden Ordinarien in der Lehre entlasteten. Die Entstehungs- und Besetzungsgeschichte dieser beiden Assistenzprofessuren verlief allerdings ausgesprochen unterschiedlich: Während mit der einen der seit 1945 am Kunsthistorischen Seminar wirkende Privatdozent und Titularprofessor Richard Zürcher (1911–1982; Abb. 26) für seine langjährigen Dienste belohnt wurde, wurde mit der anderen durch Hans Rudolf Sennhauser (* 1931) ein neues kunsthistorisches Spezialgebiet – die Mittelalterarchäologie – etabliert, das bis heute Bestand hat (s. unten). Zürcher war 1936 auf Basis der Arbeit Der Anteil der Nachbarländer an der Entwicklung der deutschen Baukunst im Zeitalter des Spätbarocks an der Universität Zürich promoviert worden, hatte mit der Habilitation 1945 die Venia legendi für mittlere und neuere Kunstgeschichte bekommen und wurde 1954 zum Titularprofessor ernannt.[135] Neben den damit verbundenen Lehraufträgen arbeitete er hauptberuflich als Lehrer für Geschichte und Kunstgeschichte an der Töchterschule Zürich, bis er zum Sommersemester 1968 zum Assistenzprofessor für Kunstgeschichte an der Universität Zürich ernannt wurde und ihm ein zusätzlicher Lehrauftrag 1969 einen Austritt aus dem Schuldienst ermöglichte.[136] Seine Ernennung zum Assistenzprofessor wurde vornehmlich mit der «Zahl der Studierenden, welche im Hauptfach oder im Nebenfach Vorlesungen in Kunstgeschichte belegen», begründet und mit dem damit zusammenhängenden Wunsch, die beiden Ordinarii, in deren Proseminaren jeweils etwa 120 Studierende teilnähmen, zu entlasten.[137] Zürchers Deputat von zunächst vier bis fünf, ab 1969 sechs Wochenstunden[138] deckte ein breites thematisches Feld und alle gängigen Lehrformate ab, floss aber insbesondere in das damals neustrukturierte Grundstudium (s. oben), wo Zürcher bis zu seinem Altersrücktritt 1981 vor allem für die Heranführung der Nebenfachstudierenden an die Kunstgeschichte zuständig war.[139]

[127] So im Antrag des Dekanats vom 11. Juli 1980 an die Erziehungsdirektion des Kantons Zürich bzgl. Schaffung und Besetzung eines Ordinariats für moderne und zeitgenössische Kunst an der Philosophischen Fakultät I (UZH-Archiv E.3.1.294). Die genannte Zahl von 45 Hauptfachstudierenden soll sich auf das Jahr 1965 beziehen, Nebenfachstudierende werden nicht explizit aufgeführt. Vgl. auch den Antrag des Dekanats auf Ernennung von Prof. Dr. A. Reinle zum Honorarprofessor vom 27. Juni 1985, wo es im Zusammenhang mit der Würdigung von Reinles Tätigkeit an der Universität heisst, dass diese «in die Jahre der stark wachsenden Studentenzahlen» gefallen sei: «Seit 1970 hat sich die Zahl der Hauptfachstudenten in Kunstgeschichte verdreifacht, gegenüber 1950 sogar verzehnfacht».
[128] Wie Anm. 120.
[129] Die Zahl der Hauptfachstudierenden von WS 1971/72 bis SS 2006 ist der offiziellen Studierendenstatistik der Universität Zürich zu entnehmen (UZH-Archiv PUB.001.056); die Zahlen für WS 1971/72–WS 1975/76 finden sich auf S. 8 der Statistik für das WS 1976/77. Die wachsenden Studierendenzahlen waren freilich nicht auf die Kunstgeschichte beschränkt, sondern ein gesamtuniversitäres Phänomen; Die Universität Zürich 1933–1983. Festschrift zur 150-Jahr-Feier der Universität Zürich, hrsg. v. Rektorat der Universität Zürich, red. von Peter Stadler, Zürich 1983, S. 96–98, 111f., 120–122, 149–153 und 170–177.
[130] RRB vom 12. Januar 1967 (UZH-Archiv AI.7.08). Maurer selbst charakterisierte sich 1983 folgendermassen: «Aktiv im personellen und organisatorischen Ausbau des Seminars»; Maurer 1983 (wie Anm. 2), S. 553.
[131] RRB vom 17. November 1967, Nr. 4414 (UZH-Archiv AI.7.08). Vgl. auch RRB vom 4. Juli 1968, Nr. 2536 (ebd.).
[132] Auch dieser Antrag liegt im Dossier AI.7.08 des UZH-Archivs.
[133] Antrag von Maurer und Reinle vom 23. Juni 1971 an die Erziehungsdirektion des Kantons Zürich «um die Schaffung einer Assistentenstelle» (UZH-Archiv AI.7.08).
[134] Diese Information verdanke ich Brigitt Sigel, die 1967 an der UZH das neu strukturierte Studium der Kunstgeschichte aufnahm. Vgl. auch den RRB vom 11. September 1969, Nr. 3987, worin von einer «innerhalb der Disziplin der Kunstgeschichte durchzuführende[n] Neuordnung des Studienganges» die Rede ist (UZH-Archiv AB.1.1181).
[135] Zur Habilitation s. die Verfügung der Direktion des Erziehungswesens des Kantons Zürich vom 29. Januar 1945. Die Ernennung zum Titularprofessor erfolgte mit RRB vom 1. April 1954, Nr. 963 (alles UZH-Archiv AB.1.1181). Zu den biographischen Daten siehe auch die Würdigungen von Paul Hofer zum 60. und 70. Geburtstag von Richard Züricher (NZZ vom 26. Mai 1971, Morgenausgabe Nr. 239, und NZZ vom 26. Mai 1981) sowie die Nachrufe auf Zürcher von A. Reinle in der NZZ vom 6. Mai 1982 und im JbUZH 1982/83, S. 98.
[136] RRB vom 2. Mai 1968, Nr. 1706 und RRB vom 11. September 1969, Nr. 3987 (UZH-Archiv AB.1.1181). Vgl. den Antrag der Fakultät an die Erziehungsdirektion auf Ernennung von Richard Zürcher zum Assistenzprofessor vom 4. März 1968 (UZH-Archiv AL.7.43).
[137] Ebd.
[138] RRB vom 11. September 1969, Nr. 3987 (UZH-Archiv AB.1.1181).
[139] Zum Rücktritt s. RRB vom 22. April 1981, Nr. 1482 (UZH-Archiv AB.1.1181). Zur Würdigung von Zürchers Lehrtätigkeit s. den Nachruf von Reinle im JbUZH 1982/83, S. 98.

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