Carola Jäggi: Kunstgeschichte in Zürich

Neue Kollegen: Hans Hoffmann und Peter Meyer

Carola Jäggi

Gleichzeitig mit ihrem Antrag auf Beförderung Jedlickas zum Ordinarius hatte die Fakultät auch darauf hingewiesen, dass «das weite Gebiet der Kunstgeschichte heute unmöglich von einem einzigen Fachvertreter versehen werden» könne, weshalb sie zusätzlich beantragte, Hans Hoffmann «zum ausserordentlichen Professor für Kunstgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der Architekturgeschichte» zu ernennen, «bei einer Lehrverpflichtung von mindestens 4 Wochenstunden Vorlesungen und Uebungen und einer Gehaltsansetzung, welche ihm die Aufgabe seiner bisherigen Tätigkeit ermöglicht».[71] Hoffmann sei, so argumentierte die Fakultät, eine perfekte Ergänzung zu Jedlicka, da er «das Hauptgewicht auf die Vermittlung gründlichster Stoffkenntnis und streng wissenschaftlicher Methode»[72] lege, während bei Jedlicka «nach Anlage und bisherigem Schaffen unmittelbares Kunsterleben und ursprüngliches, fast intuitives Kunstverständnis, aesthetische Würdigung und begriffliches Denken mit Neigung zu allgemein-geistesgeschichtlichen Gesichtspunkten im Vordergrund» stünden.[73] War bei Escher und Jedlicka vor allem auf eine thematische Komplementierung geachtet worden, insofern Escher «sich in erster Linie für die Kunst der Renaissance, des Barock und des Rokoko interessierte», bei Jedlicka hingegen «die moderne Kunst zu ihrem Recht kam», so war nun vielmehr die unterschiedliche Methodik im Blick:[74] «Die mehr zur Systematik und allgemeinen geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkten neigende, vor allem die neuere und neueste Geschichte bevorzugende Kunstbetrachtung von Prof. Jedlicka soll durch eine mehr nach der stofflichen Seite orientierte ergänzt werden mit vorwiegender Berücksichtigung der älteren Kunstgeschichte und hier insbesondere der Architekturgeschichte.»[75]

Hans Hoffmann
Abb. 16: Hans Hoffmann, undatiert.
UZH-Archiv, AB.1.0444, Repro aus dem JbUZH 1955/6, S. 93; Foto: UZH-Archiv.

Hans Hoffmann (1888–1955; Abb. 16) war ausgebildeter Sekundarlehrer und hatte – ganz ähnlich wie Jedlicka – erst als solcher zu studieren begonnen.[76] 1923 wurde er mit seiner von Zemp betreuten Dissertation zum Stuckplastiker Giovanni Battista Barberini (1625–1691) promoviert, 1928 folgte die Habilitationsschrift Die Architektur Mailands von 1550 bis 1650, auf deren Basis er die Venia legendi für neuere Kunstgeschichte bekam.[77] Nach neun Jahren als Privatdozent wurde er 1937 zum Titularprofessor ernannt.[78] Seine von der Fakultät bereits 1944 beantragte Beförderung zum «Ausserordentlichen Professor für Kunstgeschichte des Mittelalters und der neuen Zeit, unter besonderer Berücksichtigung der Architekturgeschichte» wurde erst zum Sommersemester 1947 vollzogen, nachdem Hoffmann zur Überbrückung nach dem Tod von Escher zunächst zwei einstündige Lehraufträge für das Sommersemester 1945 zugesprochen bekommen hatte.[79] Die mit dieser Ernennung einhergehende Festschreibung seines Lehrgebiets auf die Kunst des Mittelalters und der «neuen Zeit» und insbesondere die Architektur nahm Hoffmann offenbar ernst, um nicht mit dem Lehrgebiet von Jedlicka zu kollidieren; Hoffmann selbst empfand dies durchaus als Einschränkung – er habe auf diese Weise nicht mehr in gleicher Breite wie zuvor «seine[r] alte[n] Liebe zur Kunst der Spätrenaissance und des Frühbarocks» frönen können und sei «wider Willen […] zum Mediävisten geworden».[80] (Abb. 17)

Frequenzverzeichnis der Vorlesungen von Herrn Privatdozent Professor Dr. Hans Hoffmann
Abb. 17: «Frequenzverzeichnis der Vorlesungen von Herrn Privatdozent Professor Dr. Hans Hoffmann, vom Wintersemester 1937/38»; Beilage zur «Eingabe der Philosophischen Fakultät I vom 27. Oktober 1944 betr. Professur für Kunstgeschichte».
UZH-Archiv AB.1.0444; Foto: Carola Jäggi.

Dass er ein begeisterter und begeisternder Lehrer gewesen sein muss, zeigt sein langjähriges Engagement an der Volkshochschule, wo er auch als Professor noch Kurse anbot. An der Universität war sein Erfolg allerdings nicht mit jenem von Jedlicka zu vergleichen; seine grössten Publikumserfolge waren seine Vorlesungen zu Leonardo und Michelangelo in den 1940er-Jahren, die bis zu 90 Studierende und Auditor:innen anzogen.[81]

Peter Meyer
Abb. 18: Peter Meyer, 1973.
Archiv Jakob Meyer, Basel, Fotograf:in unbekannt.

Als Hoffmann 1955 unerwartet mit nur 67 Jahren verstarb, begann die Suche nach einer Ergänzung zu Jedlicka von Neuem, und erneut wurde «unter den Kunsthistorikern in der Schweiz und in Deutschland, die für eine solche Professur in Frage kommen, Umschau gehalten».[82] Gewählt wurde schliesslich Peter Meyer (Abb. 18), der bereits bei der Nachfolge von Escher ins Auge gefasst worden war, damals aber ausschied, weil er «als Dozent bedeutend weniger ausgewiesen» sei.[83] Peter Meyer (1894–1984) hatte 1918 in München sein Diplom als Architekt erworben und machte sich durch seine langjährige Tätigkeit (1930–1943) als Redaktor der Zeitschrift Das Werk einen Namen als Architekturkritiker.[84] 1935 erfolgte die Habilitation an der ETH mit einer Arbeit zur Systematik und Aesthetik der neueren Architektur. Es folgten Studien an der Universität Zürich, die 1941 mit der Dissertation Zur Formenlehre und Syntax des griechischen Ornamentes – betreut durch den Klassischen Archäologen Arnold von Salis – abgeschlossen wurden.[85] Eine weitere Schrift zum Ornament, dieses Mal zum frühmittelalterlichen (Die Struktur des frühmittelalterlichen Ornamentes), reichte Meyer 1944 an der Universität Zürich als Habilitationsschrift ein und erhielt auf dieser Basis die Venia legendi für «Geschichte der europäischen Kunst bis zum Beginn des romanischen Stils».

Verleihung der Ehrendoktorwürde
Abb. 19: Peter Meyer anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Dublin, 1952.

In den 1940er-Jahren entstanden mehrere grosse Buchpublikationen zu Themen aus dem Bereich der mittelalterlichen Architektur, 1950 die Faksimile-Ausgabe des Book of Kells, was Meyer die Ehrendoktorwürde der University of Dublin einbrachte (Abb. 19). Seit dem Sommersemester 1951 hatte Meyer eine halbe ausserordentliche Professur für «Systematik und Aesthetik der neuern Baukunst» an der ETH inne, während die Universität Zürich 1953 Meyers damals neunjährige Tätigkeit als Privatdozent mit einer Titularprofessor würdigte.[86] Meyer scheint ein gewisses Polarisierungspotential sowie eine «charakteristische Schärfe»[87] besessen zu haben, die von weniger wohlmeinenden Zeitgenossen als «einseitiges überscharfes Urteil und ein ganz persönliches Bedürfnis nach Polemik» kritisiert wurde; aus inneruniversitären Kreisen wurde zudem seine «Abneigung gegen proseminaristische Aufgaben» und der fehlende Kontakt zu den Studierenden als hinderlich gewertet.[88] So scheint auch seine Nichtberücksichtigung bei der Nachfolge von Konrad Escher nicht bloss seiner geringeren Lehrerfahrung geschuldet gewesen zu sein, sondern auch einer persönlichen Inkompatibilität zu Jedlicka und anderen Fakultätsvertretern.[89] Als er durch seine Stellung als Privatdozent bzw. Titularprofessor nach dem Tod von Hoffmann 1955 wieder als potentieller Kandidat ins Gespräch kam, waren es insbesondere die übergeordneten Stellen, die sich für ihn verwendeten, während die Fakultät einerseits auf das schon vorgerückte Alter von Meyer verwies, andererseits an ihrer Skepsis bezüglich Passung und Eignung festhielt und deshalb Paul Hofer aus Bern favorisierte.[90] Am 12. April 1956 kam es schliesslich zur regierungsrätlichen Wahl des damals 62-jährigen Peter Meyer zum Extraordinarius für «Kunstgeschichte des Mittelalters und der neuen Zeit unter besonderer Berücksichtigung der Architekturgeschichte»[91], ergo mit derselben Lehrgebietsumschreibung, wie sie bereits Hoffmann gehabt hatte. Anders als Hoffmann sah Meyer dies allerdings nicht als Einschränkung, sondern nahm dies zum Anlass, in den neun verbleibenden Jahren seiner Tätigkeit als Universitätsprofessor eine reiche Palette von Lehrveranstaltungen zur früh- und hochmittelalterlichen Kunst und innerhalb dieser insbesondere zur Ornamentik anzubieten.[92]

[71] Antrag der Fakultät an die Erziehungsdirektion des Kantons Zürich vom 27. Oktober 1944, Betreff: Professur für Kunstgeschichte (UZH-Archiv AB.1.0444).
[72] Ebd.
[73] Zitat aus dem Brief des Dekans an die Erziehungsdirektion vom 2. Dezember 1946 (UZH-Archiv AB.1.0444). Zur Methode Jedlickas s. auch Reinles Nachruf auf Jedlicka 1965/66 (wie Anm. 60), S. 90f. sowie den Beitrag von Roger Fayet in diesem Band.
[74] Zitate aus der «Beilage 1) zur Eingabe der phil. Fakultät I vom 27. Oktober 1944 betr. Professur für Kunstgeschichte» im Dossier AB.1.0444 des UZH-Archivs.
[75] RRB vom 28. Dezember 1946, Nr. 4198 (UZH-Archiv AB.1.0444).
[76] Alle biographischen Angaben sind Unterlagen im Dossier AB.1.0444 des UZH-Archivs entnommen. Siehe auch Jedlicka, G[otthard]: Professor Hans Hoffmann, 26. Juli 1888 bis 17. Oktober 1955 (Nekrolog), in: JbUZH 1955/56, S. 91–93.
[77] Auszug aus dem Protokoll des Erziehungsrates des Kantons Zürich vom 12. Juli 1928, Nr. 495 (UZH-Archiv AB.1.0444).
[78] RRB vom 9. Dezember 1937, Nr. 3230 (UZH-Archiv AB.1.0444).
[79] Auszug aus dem Protokoll des Erziehungsrates vom 6. März 1945; RRB vom 28. Dezember 1946, Nr. 4198 (beides im UZH-Archiv AB.1.0444).
[80] Nachruf von j. f. vom 20. Oktober 1955 im Tages Anzeiger, N°246. Dass Hoffmann vor seiner Beförderung zum Extraordinarius vor allem Lehrveranstaltungen zur neueren Kunstgeschichte bis hin zur Kunst der Gegenwart anbot, zeigt die Auflistung seiner Lehrveranstaltungen bis Sommersemester 1944; Vignau-Wilbert 1976 (wie Anm. 4), S. 123f.
[81] Dies ist dem «Frequenzverzeichnis der Vorlesungen von Herrn Privatdozent Professor Dr. Hans Hoffmann, vom Wintersemester 1937/38 an» zu entnehmen, das als Anhang dem Brief des Dekans der Philosophischen Fakultät I vom 27. Oktober 1944 an die Erziehungsdirektion des Kantons ZH: Betreff: Professur für Kunstgeschichte, beigefügt ist (UZH-Archiv AB.1.0444).
[82] Antrag der Philosophischen Fakultät I für die Neubesetzung des Extraordinariates für Kunstgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Architekturgeschichte an der Universität Zürich vom 25. Februar 1956 (UZH-Archiv AB.1.0661).
[83] RRB vom 28. Dezember 1946, Nr. 4198 (UZH-Archiv AB.1.0444).
[84] Alle biographischen Informationen sind den Dokumenten in den Dossiers AB.1.0661 und AB.1.0444 im UZH-Archiv entnommen. Besonders ertragreich sind in dieser Hinsicht die dort gesammelten Zeitungsbeiträge zu den runden Geburtstagen von Meyer (z. B. Adolf Reinle zum 80. Geburtstag von Peter Meyer in der NZZ vom 14./15. Dezember 1974) sowie die Nachrufe, etwa von Stanislaus von Moos im JbUZH 1965/66, S. 102f. und in der NZZ vom 26. November 1984 sowie von Katharina Medici-Mall im Tages-Anzeiger vom 22. November 1984; vgl. auch den Beitrag von Katharina Medici-Mall zum zehnjährigen Todestag von Peter Meyer in der NZZ vom 3./4. Dezember 1994.
[85] Das Jahr 1941 wird im RRB vom 12. April 1956, Nr. 1160 als Jahr von Meyers Promotion genannt (UZH-Archiv AB.1.0661 und AL.7.42), in anderen Dokumenten ist bisweilen von 1942 oder gar 1943 die Rede.
[86] RRB vom 21. Mai 1953, Nr. 1298 (UZH-Archiv AB.1.0661).
[87] So im Nachruf auf Peter Meyer von Stanislaus von Moos im JbUZH 1965/66 (wie Anm. 84), S. 102. Einige Belege für diese Schärfe finden sich in den «Autobiographische[n] Notizen», zusammengestellt aus einer «Collage von Briefen, einem Lebenslauf für die Habilitation von 1943 und Erinnerungen für seine Enkel aus den siebziger Jahren», in: Medici-Mall, Katharina: Im Durcheinandertal der Stile. Architektur und Kunst im Urteil von Peter Meyer (1894–1984), Basel/Boston/Berlin 1998, S. 413–436.
[88] Vgl. die Briefe des Dekans der Philosophischen Fakultät I an die Erziehungsdirektion vom 27. Oktober 1944 und vom 2. Dezember 1946 (UZH-Archiv AB.1.0444), nochmals bekräftigt im «Antrag der Philosophischen Fakultät I für die Neubesetzung des Extraordinariates für Kunstgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Architekturgeschichte an der Universität Zürich» vom 25. Februar 1956 (UZH-Archiv AB.1.0661).
[89] Dies geht implizit aus dem RRB vom 28. Dezember 1946, Nr. 4198 hervor, wo Hoffmann auch deshalb als beste Wahl bezeichnet wird, weil er eine «glückliche Ergänzung zu Prof. Jedlicka» darstelle, «sowohl persönlich als auch methodisch» (UZH-Archiv AB.1.0444).
[90] «Antrag der Philosophischen Fakultät I für die Neubesetzung des Extraordinariates für Kunstgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Architekturgeschichte an der Universität Zürich» vom 25. Februar 1956 (UZH-Archiv AB.1.0661 und AL.7.42). Vgl. das Protokoll der 3. Sitzung der Hochschulkommission vom 4. April 1956 (UZH-Archiv AB.1.0444), aus dem hervorgeht, dass Hochschulkommission und Regierungsrat für Meyer votierten, die Anliegen der Fakultät hingegen vom Stadtpräsidenten unterstützt wurden. Die Vorgeschichte dazu findet sich in Form eines Briefwechsels zwischen Dekanat und Erziehungsdirektion aus dem Zeitraum Dezember 1953 bis Juli 1955 im Dossier AL.7.41 des UZH-Archivs.
[91] RRB vom 12. April 1956, Nr. 1160 (wie Anm. 85).
[92] Vgl. das «Frequenzverzeichnis der Vorlesungen von Herrn Privatdozent Prof. Dr. Peter Meyer, vom Sommersemester 1944 an», das dem «Antrag der Philosophischen Fakultät I für die Neubesetzung des Extraordinariates für Kunstgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Architekturgeschichte an der Universität Zürich» vom 25. Februar 1956 als Anhang beiliegt (UZH-Archiv AB.1.0661). Die Teilnehmer:innenzahl schwankte zwischen 8 und 48, Studierende und «Auditoren» zusammengenommen. Nur sehr ausschnitthaft, da 1945 endend, ist die Aufstellung bei Vignau-Wilbert 1976 (wie Anm. 4), S. 125.

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