Carola Jäggi
Mit dem Amtsantritt Maurers 1967 war die Kunstgeschichte an der Universität Zürich erstmals seit dem Tod Vögelins 1888 wieder mit zwei Ordinarien vertreten. In den knapp 80 Jahren, die dazwischen vergangen waren, hatten sich die Studierendenzahlen allerdings vervielfacht: Mitte der 1960er-Jahre waren es 45 Hauptfach-[127] und wohl ebenso viele Nebenfachstudierende, und es waren nicht zuletzt diese Zahlen, die beim Antrag auf Umwandlung des Reinle’schen Extraordinariates in ein Ordinariat angeführt wurden, um die Notwendigkeit dieses Upgrades und des damit verbundenen Lehrangebots von 6–10 anstelle der bis dahin 4–6 Wochenstunden zu untermauern.[128] In den 20 Jahren bis zur Emeritierung von Reinle erhöhte sich die Zahl der Hauptfachstudierenden sukzessive auf etwa 350, stieg danach nochmals an, erreichte 1990 mit einer Zahl von etwas über 450 ihren Höhepunkt und flachte danach wieder etwas ab.[129] (Abb. 25)
Die Wahl Maurers zum Ordinarius bot nun die Chance zu einer Anpassung des Seminarbetriebs an die aktuelle Situation und zu einer Aufstockung der dafür notwendigen Mittel. Ganz offensichtlich in enger Absprache mit Reinle handelte Maurer bei seiner Berufung eine Erhöhung des jährlichen Seminarkredits von bis dahin 21’000 Franken auf 33’000 Franken aus, ebenso ein regelmässiges Jahresbudget von 30’000 Franken für die Bibliothek, die aufgrund ihres Zustandekommens durch Schenkungen «sehr unausgeglichen» sei und deshalb durch systematische Ankäufe ergänzt werden müsse, während «für eine planmässige Erneuerung der Diapositiv-Sammlung» 3’000 Franken einzusetzen seien.[130] Zu der bisherigen Assistenz, «die gegenwärtig [d. h. 1967, Anm. C. J.] mit zwei halbtagsweise beschäftigten Funktionären besetzt ist, von denen der eine mit allgemeinen Verwaltungsaufgaben sowie der Organisation des Vorlesungs- und Seminarbetriebes und der andere mit der Betreuung der Bibliothek betraut ist», wurde eine weitere halbe Assistentenstelle eingerichtet, zu deren Aufgaben die «Betreuung der Diapositivsammlung, die ca. 20 000 Nummern zählt, der Lichtbilderdienst im Rahmen der Seminar- und Proseminarübungen, die Ausleihe und Beschaffung neuer Diapositive usw.» zählen solle.[131] Dreieinhalb Jahre später, im Sommer 1971, ersuchten Maurer und Reinle dann gemeinsam die Erziehungsdirektion um Schaffung einer wissenschaftlichen Assistenz.[132] Zwar seien «die Hilfsassistenzen in den letzten Jahren beträchtlich vermehrt worden», doch würden sie ausschliesslich für «praktische Aufgaben» wie die Verwaltung, die «Betreuung der Bibliothek, der Diathek und der Fotothek» herangezogen, während die gesamte Lehre von den beiden Ordinarien, den beiden Assistenzprofessoren, dem Privatdozenten und «verschiedene[n] Lehrbeauftragte[n] für Spezialaufgaben» gestemmt werden müsse. In Blick auf die Studierendenzahlen und «in Würdigung des bekannten Bedürfnisses der Studierenden nach vermehrter Studienbegleitung und nach geführter Gruppenarbeit» erweise sich dieser Lehrkörper als «unvollständig und […] einseitig», kurz: es fehle an «‹Unteroffizieren›». Mindestens ein «wissenschaftlicher Vollassistent» sei wünschbar – darin seien sich «die Lehrenden und Lernenden unseres Seminars» einig. Diesem Vollassistenten – offenbar war damals nur ein Mann für diesen Posten denkbar! – seien «neben den reglementarischen Obliegenheiten» die «Einführung der Anfänger» anzuvertrauen, ferner die «Einführung in die Abfassung von Seminararbeiten und Referaten und in die Vortragstechnik», die «Mitarbeit in Proseminaren, Uebungen, Exkursionen usw.», «ev. Uebernahme von bestimmten Lehraufträgen» sowie die «Entlastung des Verwaltungsassistenten». Dass der Antrag nicht schon früher gestellt worden sei, wurde damit begründet, dass erst jetzt mit Werner Oechslin ein geeigneter Kandidat «aus der eigenen ‹Schule›» nominiert werden könne.[133] Die zitierte Passage zeigt, dass sehr bald nach Maurers Amtsantritt eine Reorganisation des Studiums umgesetzt worden war, die insbesondere eine Systematisierung der Studieneingangsphase zum Ziel hatte – mit obligatorischen Einführungskursen für Studienanfänger:innen und einer Akzessprüfung, mit deren Bestehen die Proseminarstufe abgeschlossen wurde und nicht nur der Zugang zu den Hauptseminaren offen stand, sondern auch jener zur Seminarbibliothek, die von den Studierenden erst nach diesem Initiationsschritt genutzt werden durfte.[134]
Aus dem paraphrasierten Antrag von Maurer und Reinle um Schaffung einer wissenschaftlichen Assistenz geht aber auch hervor, dass zum Sommersemester 1971 zwei Assistenzprofessoren ihren Dienst aufgenommen hatten, die die beiden Ordinarien in der Lehre entlasteten. Die Entstehungs- und Besetzungsgeschichte dieser beiden Assistenzprofessuren verlief allerdings ausgesprochen unterschiedlich: Während mit der einen der seit 1945 am Kunsthistorischen Seminar wirkende Privatdozent und Titularprofessor Richard Zürcher (1911–1982; Abb. 26) für seine langjährigen Dienste belohnt wurde, wurde mit der anderen durch Hans Rudolf Sennhauser (* 1931) ein neues kunsthistorisches Spezialgebiet – die Mittelalterarchäologie – etabliert, das bis heute Bestand hat (s. unten). Zürcher war 1936 auf Basis der Arbeit Der Anteil der Nachbarländer an der Entwicklung der deutschen Baukunst im Zeitalter des Spätbarocks an der Universität Zürich promoviert worden, hatte mit der Habilitation 1945 die Venia legendi für mittlere und neuere Kunstgeschichte bekommen und wurde 1954 zum Titularprofessor ernannt.[135] Neben den damit verbundenen Lehraufträgen arbeitete er hauptberuflich als Lehrer für Geschichte und Kunstgeschichte an der Töchterschule Zürich, bis er zum Sommersemester 1968 zum Assistenzprofessor für Kunstgeschichte an der Universität Zürich ernannt wurde und ihm ein zusätzlicher Lehrauftrag 1969 einen Austritt aus dem Schuldienst ermöglichte.[136] Seine Ernennung zum Assistenzprofessor wurde vornehmlich mit der «Zahl der Studierenden, welche im Hauptfach oder im Nebenfach Vorlesungen in Kunstgeschichte belegen», begründet und mit dem damit zusammenhängenden Wunsch, die beiden Ordinarii, in deren Proseminaren jeweils etwa 120 Studierende teilnähmen, zu entlasten.[137] Zürchers Deputat von zunächst vier bis fünf, ab 1969 sechs Wochenstunden[138] deckte ein breites thematisches Feld und alle gängigen Lehrformate ab, floss aber insbesondere in das damals neustrukturierte Grundstudium (s. oben), wo Zürcher bis zu seinem Altersrücktritt 1981 vor allem für die Heranführung der Nebenfachstudierenden an die Kunstgeschichte zuständig war.[139]