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Neue Ökonomische Politik

Die Neue Ökomische Politik NEP (novaja ekonomitscheskaja politika) bezeichnet eine liberalere Wirtschaftsphase, die von März 1921 bis anfangs 1929 andauerte und in starkem Kontrast zum eigentlichen, kommunistischen Kurs der Bolschewiki stand. Die Einführung der NEP ging auf eine Initiative Lenins zurück, der sich gegen allen Widerhall im Zentralkomitee durchzusetzen vermochte. Lenin erkannte die dringende Notwendigkeit, vom sozialistischen Kurs abzuweichen und freie marktkapitalistische Elemente wiedereinzuführen, um damit der kriegsgebeutelten und hungernden Bevölkerung entgegenzukommen und die Versorgungskrise zu überwinden. Sein unorthodoxer Einsatz gründete kaum auf der Empathie mit der leidenden Gesellschaft, sondern war ein reines Provisorium, um die Machtstellung der Bolschewiki zu sichern.

Unter der städtischen Arbeiterschaft und den Soldaten verloren die Bolschewiki zunehmend den Rückhalt. Die ohnehin schon geringe Gunst der bäuerlichen Schicht verloren sie indes komplett durch die gewaltsamen Requirierungszügen und Kollektivierungsmassnahmen im Zuge des Kriegskommunismus während des Russischen Bürgerkriegs. Die Versorgung der Bevölkerung war prekär und konnte nur dank dem florierenden Schwarzmarkt – und damit der staatlichen Kontrolle entzogen, aufrechterhalten bleiben.
Mit der Einführung der NEP erhielten die Bauern das Recht, ihre Produktionsüberschüsse auf dem freien Markt anzubieten. Neben der Landwirtschaft erfuhren auch der Handel sowie die Kleinindustrie eine Liberalisierung und bereits verstaatlichte Zweige wurden reprivatisiert. Die sogenannten Kommandohöhen (Grossindustrie, Verkehrswesen und Aussenhandel) blieben jedoch unter staatlicher Kontrolle. Trotzdem lieferte die NEP wichtigen Impulse zur Wiederbelebung der Wirtschaft und zur Steigerung der Agrar- und Konsumgüterproduktion.((Vgl. Hildermeier, Geschichte der Sowjetunion, S. 23f.)) Auch die sich anbahnende Scherenkrise, die aufgrund steigender Preise für Konsumgüter und stagnierenden Getreidepreise zum Nachteil für die Bauernschaft wurde, konnte schnell überwunden werden. Die desolate Versorgungslage konnte bis 1923 überwunden werden und bereits Ende 1926 befand sich die Wirtschaft auf dem Vorkriegsstand von 1913, wobei dem privaten Sektor rund 54% der Gesamtleistung zuzurechnen war.((Vgl. Haumann, Geschichte und Gesellschaftssystem, S.51.))

Strassenmarkt in Moskau 1928; russiainphoto.ru

Obwohl die NEP durchaus eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage mit sich brachte, blieben strukturelle Probleme konserviert. Oberste Priorität für die staatliche Führung genoss der Auf- und Ausbau der industriellen Infrastruktur. Dazu wurden ausländische Devisen, die zum grossen Teil aus Getreideexport generiert wurden, unabdingbar. Die bauernfreundliche Politik wirkte sich zwar positiv auf die Getreideproduktion aus, jedoch sorgten die unattraktiven staatlichen Einkaufspreise dafür, dass Getreide entweder gehortet oder vermehrt auf dem Privatmarkt verkauft wurde. Dadurch entgingen dem Staat die benötigten Einnahmen für ihr Investitionsprogramm. Erneute Produktionsstörungen und Massenentlassungen waren die Folge.
Die Kritiker der NEP sahen sich folglich darin bestätigt, dass die liberale Politik gescheitert ist, und begannen gegen die reichen Bauern (Kulaken) zu agitieren. Ab Dezember 1927 verhärtete sich die Gangart gegenüber den Bauern zunehmend und beflügelten gleichzeitig den Zirkel um Stalin in ihrer Forderung nach staatlicher Lenkung und Zwang.((Vgl. Haumann, Grundbegriffe, S.37f.))
Mit dem Beginn des ersten Fünfjahresplanes 1929 war auch das Ende der NEP besiegelt und der private Handel unterbunden. Fortan war es den Bauern nur noch erlaubt, das Getreide gegen staatliche Produktionsgüter zu tauschen. Von den Behörden festgelegte Ablieferungsquoten sollten ein Rückgang der Getreideproduktion verhindern und die Devisenbeschaffung absichern.((Vgl. Haumann, Grundbegriffe, S.37f.)) Dieser Quotenwahn sollte in den 30er-Jahren erneut zu schlimmen Hungersnöten führen.

Titelbild: Basarplatz 1928; russiainphoto.ru.


Literaturangaben:

Haumann, Heiko, Geschichte und Gesellschaftssystem der Sowjetunion. Eine Einführung, Köln 1977.

Haumann, Heiko: Grundlinien und Grundbegriffe der Geschichte Russlands. Basel 2002.

Hildermeier, Manfred: Geschichte der Sowjetunion 1917-1991. Entstehung und Niedergang des ersten sozialistischen Staates, München 1998.