Was kann auf dem Weg zu einer Höhle alles vermittelt werden? Worin gründet das informationstragende Potenzial von unterschiedlichen Höhlenzugängen? Welche Bedeutung kommt der Gestaltung des Höhleninnenraums zu? Im folgenden Beitrag untersuchen wir verschiedene Teile der Minnegrotte aus Gottfrieds Tristan auf ihre medialen Funktionen hin. Dieser Raum gehört wohl zu den bekanntesten literarischen Höhlen und hat von der Forschung ein breites Interesse erfahren. Auch im Roman selbst ist die Minnegrotte zentral: Nur hier können Tristan und Isolde unbeschwert ihre Liebe ausleben, die sich nicht mit der höfischen Ordnung vereinbaren lässt.[1] Die kunstvoll gestaltete Höhle wird im Tristan zuerst objektiv beschrieben, danach wird eine zweite Bedeutungsebene erschlossen, in welcher Wertvorstellungen der Liebe allegorisch an der Höhle festgemacht werden. Dass die Minnegrotte als Trägerin von wichtigen Informationen fungiert, geht aus dem Text selbst hervor: Nune sol iuch niht verdriezen, / ir enlât iu daz entsliezen, / durch welher slahte meine / diu fossiure in dem steine / betihtet waere, als si was.[2] Durch die angekündigte Aufschlüsselung der Optik der Höhle legt der Text nahe, dass die Minnegrotte ganz bewusst gestaltet wurde, um bestimmte Informationen zu transportieren. Unsere Grundannahme ist, dass die Höhle im Text als Ort der Vermittlung zu begreifen ist, was der nachfolgende Rundgang vom Garten bis ins Höhleninnere veranschaulichen soll.

Der Garten

Um zur Minnegrotte zu gelangen, durchquert man zunächst einen idyllischen Garten, der die Grotte umgibt. Die Erzählinstanz stellt diesen Garten als einen Ort der romantischen Begegnung von Tristan und Isolde dar. Ein wichtiges Merkmal dieses Gartens sind die Lindenbäume, die das kleine Paradies zieren und im Text mehrmals erwähnt werden (vgl. V. 16731, 16741, 16882 und 17169). Sie sind auch die einzigen Pflanzen, die nach ihrer Art genannt und nicht mit einem Oberbegriff aufgezählt werden. In der Nähe der Grotte befinden sich drei dichtbelaubte Linden und noch drei weitere in der Nähe einer Quelle. Im späteren Verlauf des Textes erklärt die Erzählinstanz, dass Tristan und Isolde viel Zeit unter diesen Bäumen verbrachten und miteinander ruhten, dem Rauschen der Quellen zuhörten oder über ihre Liebe redeten. Somit können die Lindenbäume auch als Sinnbild für die romantische Beziehung zwischen Tristan und Isolde verstanden werden, die darüber hinaus verstärkend auf die Beziehung wirken. Zudem galten Lindenbäume in der Literatur des Mittelalters als Symbol verlässlicher Liebesbekundung, enger Freundschaft oder tragischer Leidenschaft.[3] Zwischen dem Verhalten des Paares und den Linden kann eine metonymische Beziehung festgestellt werden. Denn nicht nur die Liebkosung Tristans und Isoldes intensiviert als Körperzeichen die Zeichenhaftigkeit der lieblichen Bäume; diese wirken aufgrund ihrer räumlichen Nähe zum Paar ebenso zurück auf die Qualität der Partnerschaft zwischen den beiden. Diese Darstellungsform der metonymischen Beziehung des Paares mit den Linden verstärkt das Thema der Liebe im Garten der Minnegrotte.

Jedoch nennt die Erzählinstanz nicht ausschliesslich die Lindenbäume, sondern listet bei der Beschreibung der Gartenanlage auch Blumen, Gras, eine Quelle, Vögel und den Wind auf. Im Vergleich zum Leben am Hofe des Königs Marke, in dem Tristan und Isolde von Rittern, Mägden und der übrigen Hofgesellschaft umgeben waren, begründet die Erzählinstanz das Glück des Paares damit, dass dieser umliegende Garten nun ihren neuen Hofstaat darstelle: Ir staetez ingesinde / daz was diu grüene linde, / der schate und diu sunne, / diu riviere unde der brunne, / bluomen, gras, loup unde bluot, / daz in den ougen sanfte tuot (V. 16881–16886). Die Erzählinstanz versucht somit, den höfischen Lebensstil und dessen Personal mit dem Garten und seinen Beständen zu substituieren. Die umliegende Natur wird nun zur Dienerin der Verliebten; obendrein bietet sie den Verliebten Schutz, Geborgenheit und Sicherheit, aber auch Unterhaltung. In diesem Sinne besteht die zentrale Funktion des Gartens darin, dass er zwischen den beiden Lebenswelten vermittelt.

Die Tür

Bevor wir nun in die Minnegrotte eintreten, treffen wir auf eine metallene Tür, welche einerseits den Eingang zur Grotte bildet, andererseits selbst aber auch schon mit viel Bedeutung aufgeladen ist. Die êrîne tür (V. 17006) stellt die Grenze zwischen dem Garten und der eigentlichen Höhle dar, was sie aber keineswegs nur zu einem simplen Ein- und Ausgang macht. Ihre Funktion besteht auch in der Vermittlung zwischen Aussen und Innen sowie der Aussonderung von unerwünschten äusseren Einflüssen.

Es ist bedeutsam, ob eine Tür geöffnet oder geschlossen ist. Eine geöffnete Tür gewährt einen Einblick in das Innere, dieser kann limitiert sein und Neugierde schüren, ist die Tür einen Spalt weit geöffnet; er kann aber auch, bei weit geöffneter Tür, einladend als Angebot wirken. Die Aussenwelt erhält durch die Türöffnung visuelle Informationen über die Welt auf der anderen Seite der Tür, dies gilt vice versa in gleichem Maße. Ein einfaches Schliessen der Türe stoppt diese Informationsvermittlung. Doch auch eine geschlossene Tür kann Übermittler von Information sein: Aussenstehende erhalten den Eindruck, dass im Inneren etwas geschieht, das nur für die Augen der sich dort befindenden Personen bestimmt ist. Zusätzlich kann eine geschlossene Tür auch dazu einladen, geöffnet zu werden, um die andere, dahinterliegende Welt im Berg zu erkunden.

Für Personen, die sich in der Grotte befinden, steht sie für Schutz, was bei der Minnegrotte vor allem durch den einzigartigen Schliessmechanismus gewährleistet wird: Mit disen zwein insigelen, / mit disen reinen rigelen / sô ist der Minnen hûs bewart, / valsch unde gewalte vor bespart (V. 17027–17030). Die Tür besitzt, neben einem versteckten Schnappschloss, zwei Riegel an der Innenseite, durch die Personen im Inneren ihre Geliebten hereinlassen können. Dieser Mechanismus schützt nicht nur vor gewaltsamem Eindringen von Unerwünschten, sondern das Schloss ermöglicht der Person im Innern zugleich, der anderen im Außen zu zeigen, dass sie sie liebt und hereinlassen will. Da die Person im Inneren selbst entscheiden kann, ob sie die Tür öffnet, ist sie gegen erzwungene Liebe geschützt. Somit wird die Tür mit ihrem Schloss zu einem Medium der Kommunikation, das Treue, Liebe und Einverständnis auf die andere Seite übermitteln kann, was aber nur funktioniert, wenn beide Personen die Tür zu deuten vermögen. Durch die Erzählinstanz erfährt man von der Bedeutung der Tür, die allegorisch vermittelt wird und die man zuerst erlernen muss, um Öffnen und Schliessen der Tür interpretieren zu können. Ist man dazu in der Lage, dann steht die Tür nicht nur allegorisch für eine treue und beständige Liebe, sondern im Moment, in dem sie sich von innen öffnet, sagt sie dies nonverbal auch selbst aus: Durch daz ist dâ der Minnen tor, / diu êrine tür vor, / die nieman kann gewinnen, / ern gewinne sî mit minnen (V. 17005 –17008). Eine Öffnung kann somit als ein Beweis der Liebe gedeutet werden.

Eine Tür ist also nicht nur Grenze und Grenzraum zwischen zwei Welten, sondern lässt sich auch als Schwelle deuten, an der – unabhängig davon, ob sie geöffnet oder geschlossen ist – eine stetige Kommunikation zwischen den beiden Seiten stattfindet.

Die drei Fenster

Neben der Tür fallen auch Fenster als potenzielle Öffnungen der Höhle ins Auge. Die Erzählstimme löst hier direkt auf, wofür die Fenster stehen sollen, nämlich für güete, diemüete und zuht (V. 17063–17065). Somit werden die Fenster als Teil der Allegorie greifbar gemacht. Doch die Fenster haben zusätzlich eine spezielle Aufgabe: Sie vermitteln je nach Situation und je nach Person, die hindurchblickt, Unterschiedliches.

Marke beobachtet den Schlaf der Liebenden in der Minnegrotte und verstopft eines der Fenster (Mitte). ‚Tristan‘-Handschrift (erste Hälfte 13. Jh.), München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 51, fol. 90r. Digitalisat: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb00088332?page=183

So scheint etwa die Sonne durch die Fenster in die Höhle hinein (vgl. V. 17061f.). Damit wird klar markiert, dass es ein Innen und ein Aussen gibt. Die Art und Weise, wie die Sonne in die Höhle scheint, wird anschliessend ausgeführt: Ze disen drîn / dâ lachet în der süeze schîn, / diu saelige gleste, / êre, aller liehte beste / und erliuhtet die fossiure / wertlîcher âventiure (V. 17065–17070). Das Sonnenlicht aktiviert hier gewissermassen die höfischen Werte güete, diemüete und zuht in der Höhle durch die Fenster. Die Fenster spenden nicht nur Licht, sondern können mit ihrem Glanz bis in daz herze mîn (V. 17134) dringen. Die Erzählinstanz schreibt hier den Fenstern das Potenzial zu, die Allegorie über den Text hinaus auf Herzen, vielleicht sogar auf die der Rezipierenden, wirken lassen zu können. Die Fenster fungieren somit als vermittelnde Schnittstelle sowohl zwischen Minnegrotte und Hof als auch zwischen dem Text und den Leser*innen sowie zwischen Innen und Aussen.

Schon bald begegnet man einem weiteren Fenster, durch das sogar eine Figur der Handlung Einblick in die Minnegrotte erhält. Dies nämlich, als der Jäger Markes zufällig auf die Grotte stösst, durch die Tür nicht eintreten kann und auf der Suche nach einem anderen Eingang dieses Fenster entdeckt. Die Betonung liegt hier auf dem Singular des Wortes: ein tougenlîches vensterlîn (V. 17435). Es handelt sich um eines der drei Fenster, das nun in seiner Eigenständigkeit eine neue Funktion einnimmt. Genau wie die Tür, die nur wahre Liebende eintreten lässt, wandelt sich auch dieses eine Fenster in seiner Funktion je nach Situation. Tritt der Jäger an das Fenster, ist der Kontrast vom äusseren Höfischen zum inneren Mythischen klar markiert, zumal der Jäger beim Anblick der Liebenden Angst verspürt und denkt, […] ez waere / estwaz von wilden dingen (V. 17450f.). Das Fenster fungiert hier somit wieder als eine Verbindung von Aussen und Innen. Es wirkt zudem als ein Medium des Sehens, durch das Marke, wenn auch nur indirekt mittels seines Jägers, das Liebespaar, getrennt durch das Schwert, erblickt (vgl. V. 17503–17507). Dabei handelt es sich jedoch keineswegs um eine verschärfende Sehhilfe. Das Fenster fungiert eben gerade nicht, wie so oft in der mittelalterlichen Literatur, als Metapher der Erkenntnis.[4] Markes Sicht durch das Fenster ist getrübt und er lässt sich durch die Schönheit Isoldes blenden, welche durch das einfallende Sonnenlicht besonders erstrahlt (vgl. V. 17576–177586). Das eintretende Sonnenlicht ist demnach nicht das Licht der Erkenntnis oder Bringer von höfischen Tugenden, sondern es wird aufgrund des sich wandelnden Fensters zum Medium der Täuschung.

Der Boden und das Bett

Treten wir nun als Abschluss dieses Rundgangs in die Minnegrotte selbst ein. In der ersten Beschreibung der Grotte ist der grüne Marmorboden das Einzige, das einen Vergleich erfährt. So heisst es in V. 16713–16715: und unden was der esterîch […] von grüenem marmel alse gras. Der Boden der Grotte macht also den Eindruck, als ob er aus Gras bestünde. In der Allegorese wird der Fussboden mit der staete gleichgesetzt, was auf Neuhochdeutsch u. a. mit Treue, Beständigkeit und Dauer übersetzt werden kann.[5] Der Erzählinstanz zufolge ist staete die treffendste Deutung des Bodens, da er grün und ebenmässig ist (vgl. V. 16969–16976). Dabei fällt besonders auf, dass der Text auf den Vergleich mit dem Gras aus der ersten Beschreibung rekurriert: diu staete sol ze rehte / ingrüene sîn reht alse gras (V. 16974–16975). Die Beständigkeit soll so zuverlässig sein wie die Tatsache, dass Gras grün ist. Interessant ist, dass die Erzählinstanz den Boden in seiner Funktion als Informationsträger für die Botschaft staete über die Farbe legitimiert. Die entscheidende Brücke zwischen Farbe und Information des Bodens wird dabei über den zweifachen Vergleich mit dem grünen Gras geschlagen. Die Erzählinstanz begründet jedoch nicht nur das vermittelnde Element, sondern teilt durch die Bewertung von staete als treffendste Deutung implizit mit, dass der Boden auch andere Inhalte transportieren könnte.

Das Kristallbett in der Mitte der Minnegrotte ist der einzige Einrichtungsgegenstand, der ohne Allegorese der Erzählinstanz von den Leser*innen als Medium erkannt werden kann. Rundum sind nämlich Buchstaben in das Bett eingraviert, die besagen, dass das Bett ûz cristallînem steine (V. 16718) der gottinne Minne (V. 16723), also der Liebesgöttin, gewidmet ist. Diese Information erhalten die Leser*innen bereits bei der ersten, vorwiegend deskriptiven Beschreibung der Minnegrotte. In der zweiten Schilderung der Grotte, der Allegorese, geht die Erzählinstanz interessanterweise nicht mehr auf die Inschrift ein. Der Fokus liegt hier auf dem Material des Bettes, dem Kristall. Dieser übermittelt die Information, dass die Minne genau wie der Edelstein klar, durchsichtig und lauter sein soll (vgl. V. 16977–16984). Folglich ist das Kristallbett ein doppeltes Medium: Einerseits vermittelt es durch seine Materialität einen Teil der minne-Wertvorstellungen, die aber von der Erzählinstanz aufgeschlüsselt werden müssen. Andererseits trägt es die explizite Botschaft, dass dieses Bett der Liebesgöttin geweiht und somit ein Ort der Liebe ist. Diese Doppelung stellt das Kristallbett nicht nur als räumliches, sondern auch als allegorisches Zentrum der Minnegrotte aus.

Austritt aus der Grotte und Rückblick

Die bisherigen Streifzüge haben den Nachweis zu erbringen versucht, dass nicht nur Bilder, Filme oder Erzählinstanzen, sondern auch der Text an sich oder Objekte in der Erzählung Informationen tragen können. Dies manifestiert sich bereits im Garten, der in seiner Abgeschiedenheit das Zusammenleben des Paares erst ermöglicht und somit als vermittelnde Instanz der Liebe und als Durchlass des Höfischen fungiert. Noch klarer eröffnen sich mediale Funktionen an der Tür mit dem Liebesschloss als Vermittler zwischen Innen und Aussen sowie als Kommunikationspunkt. Mit den Fenstern kommen die Komponenten des Sehens und der Täuschung hinzu. Im beschrifteten Bett, das durch die Inschrift sich selbst als Medium zu erkennen gibt, erreichen die unterschiedlichen informationsübermittelnden Funktionen der Minnegrotte ihren Höhepunkt. Somit unterstreicht der in diesem Beitrag aufgezeigte facettenreiche Vermittlungscharakter, dass Höhlen und Grotten mehr sind als eindimensionale Schauplätze und sich eine eingehendere Untersuchung als äusserst fruchtbar erweisen könnte.


[1] Andreas Hammer: Minnegrotte. In: Tilo Renz / Monika Hanauska / Mathias Herweg (Hg.): Literarische Orte in deutschsprachigen Erzählungen des Mittelalters. Ein Handbuch. Berlin/Boston 2019, S. 427–436, bes. S. 429.

[2] Gottfried von Straßburg: Tristan. Band 2. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch. Reclam. Stuttgart 2002 (Tristan Band 4472), V. 16923–16927. Im Folgenden werden bei Zitation dieser Primärliteratur nur die Verse angegeben.

[3] Gerhard Robert Richter: Zur Kulturgeschichte der Linde. In: LWF Wissen 78 (2016), S. 73–78, bes. S. 75.

[4] Pia Selmayr: Tor, Tür, Treppe, Fenster. In: Tilo Renz / Monika Hanauska / Mathias Herweg (Hg.): Literarische Orte in deutschsprachigen Erzählungen des Mittelalters. Ein Handbuch. Berlin/ Boston 2019, S. 519–531, bes. S. 520.

[5] Beate Hennig: Art. stæte. In: Kleines mittelhochdeutsches Wörterbuch. 6. Auflage (2014), S. 299.

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